Es waren genau die Farben, die die Roboter bei der vergrößerten Reproduktion des Photos von Alice benutzt hatten. Damals war Ross über das Bild begeistert, und das mochte wohl auch der Grund gewesen sein, daß die Roboter dieser Farbenkomposition treu blieben. Und schon nach wenigen Tagen hatte er sich an die grünlichen Gesichter gewöhnt.
Ob ich die Schwester bitte, mich wieder in Tief schlaf zu versetzen? dachte Ross. Das mußte er wie immer möglichst schlau anfangen — aber wie? Er überlegte kurz und fiel gleich mit der Tür ins Haus.
„Ich möchte wieder in meinen Schlafsarg zurückkehren, Schwester“, sagte er.
Merkwürdigerweise war die Robotschwester sofort einverstanden.
Die Jahrhunderte vergingen…
Als Ross erwachte, war der Verdunstungsprozeß des Meeres erschreckend weit fortgeschritten, und die Luft eine einzige weiße Nebelwolke. Dabei war es draußen so heiß wie in einem Dampfbad. Ross spürte einstweilen noch nichts, denn Kühl- und Klimaanlagen innerhalb des Palastes waren noch intakt. Am ersten Tag blickte er noch hinaus. So fürchterlich dieser Anblick auch war, so gab es doch manch eine interessante Erscheinung, die er gierig in sich aufnahm.
Dann wanderte er rastlos durch den Palast, durch Hallen, Korridore und Zimmer, deren Fußboden spiegelglatt poliert war. Lagen Teppiche, dann waren sie so dick, daß er auch dann keinen Laut hörte, wenn er mit dem Fuß aufstampfte. Er schritt so geräuschlos dahin wie ein Gespenst. Und war er nicht nur noch ein Gespenst seiner selbst?
Er sprach nicht mehr viel, und wenn er das tat, unterhielt er sich mit dem Robotschneider. Seine neue Kleidung wurde ein getreues Abbild der Gedanken und Stimmungen.
Da war die schwarze Uniform mit Extraschnitt und silberbortigem Kragen, und die lange, bis zu den Knöcheln reichende Robe, die eine silberne Spange am Hals zusammenhielt. Das war die Uniform der Tragödie. Dann gab es noch die weiße Uniform mit breiten Goldlitzen, Orden und Ehrenzeichen und einer scharlachroten Kordel quer über der rechten Brusthälfte. Hierzu trug er eine Purpurrobe und eine Krone, die überreich mit Edelsteinen verziert war. Das war die Kleidung eines Menschen, der die Welt beherrschte. Dann besaß er noch einen weißen Kittel, und das war die,Uniform’ eines Arztes…
Diese Uniform mochte die Robotschwester nicht gern. Sie war auch nicht einverstanden, als Ross ihr den Vorschlag machte, einigen Robotern eine menschliche Form zu geben. Er hatte ernsthaft daran gedacht, sie mit einem Überzug aus Schaumgummi zu versehen. Solche Bestrebungen seien nicht wünschenswert, klärte ihn die Robotschwester ruhig auf, und psychologisch nicht vertretbar. Und es war die Robotschwester, die Ross achtzehn Tage nach der letzten Wiederbelebung den Vorschlag machte, sich wieder in Tiefschlaf versetzen zu lassen.
Ross wunderte sich über dieses Entgegenkommen, wunderte sich noch, als er wiederbelebt wurde…
17.
Aus der Sonne war ein teuflisch grinsender Himmelskörper geworden, der sich einen Spaß daraus zu machen schien, die Erde zu rösten. Es herrschte eine Hitze wie in einem Backofen.
Längst waren die Seen und Meere verdunstet. Die Erde besaß keine Lufthülle mehr, so daß die Meteoritenschwärme nicht mehr verglühen konnten und sich tief ins Erdreich bohrten.
Der Himmel war schwarz, soweit das Auge reichte. Die Sonne, die Ringe der Planeten, die geborstene, staubige Erde strahlten im harten Weiß.
Ein hohes, schrilles Summen erfüllte jeden Korridor und jeden Raum des Palastes. Als Ross sich nach dem Grund dieses Geräusches erkundigte, erklärte ihm die Robotschwester, daß man eine hochleistungsfähige Klimaanlage eingebaut habe, um die Temperatur in erträglichen Grenzen zu halten. Dabei ließen sich diese Töne nicht vermeiden.
Ross fiel auf, daß ihn die Robotschwester nicht mehr auf Schritt und Tritt begleitete. Früher war sie immer in seiner Nähe gewesen. Anfangs ärgerte er sich darüber, später gewöhnte er sich daran und jetzt vermißte er sie sogar. Er erkundigte sich bei einem anderen Roboter und bekam die Auskunft, daß sie zusätzlichen Pflichten nachzugehen habe und sich daher nicht mehr so oft um ihn kümmern könne.
Drei Tage lang blieb die Robotschwester unauffindbar. Als Ross planlos in einem der unteren Stockwerke herumwanderte, sah er sie neben der Tür einer Kraftzentrale stehen. Sie war nicht nur bewegungslos, sondern schien völlig ohne Leben zu sein. Das war ein großer Schock für ihn. Nie hätte er es für möglich gehalten, daß man sich derart an eine Maschine gewöhnen könne. Er stellte hastig Wiederbelebungsversuche’ an, schrie, so laut er konnte und pochte gegen ihr glänzendes Metallgehäuse. Doch er vernahm nicht das leiseste Lebenszeichen.
Zum erstenmal Begriff er, was sie ihm bedeutet hatte. Sie war kein seelenloser Roboter, sondern ein treuer Freund und Diener. Plötzlich fühlte er sich noch ängstlicher und einsamer als je zuvor. Denn erst wenn man jemand verloren hat, weiß man ihn richtig zu schätzen.
Ich habe nur Zeit verschwendet, dachte Ross betrübt, ich hätte schon früher mit mir Schluß machen sollen. Habe ich nur gearbeitet, um auf diesen Tiefstand zu kommen? Was für ein wahnsinniger Gedanke, aus dem Nichts Lebewesen schaffen zu wollen!
Die zwei Jahre in der rauchenden und pechschwarzen Welt waren noch seine glücklichsten gewesen. Er hatte gearbeitet, studiert, geplant und die erste Robotexpedition auf die Suche nach Überlebenden geschickt. Das war noch etwas, worauf er stolz sein konnte. Vor allem hielt ihn damals noch die Hoffnung aufrecht. Eine verhältnismäßig glückliche Zeit hatte es auch nach seiner zweiten Erweckung aus dem Tiefschlaf gegeben. Die herrliche, frische, grüne Welt…! Er erinnerte sich noch an den Ausflug mit der Robotschwester und dem Raumschiff A 17. Er konnte sich nicht entsinnen, daß er jemals so optimistisch gewesen war. Doch komischerweise wurde er bald wieder unzufrieden, so als hätte ihm eine innere Stimme zugeflüstert, daß letzten Endes doch alles vergeblich wäre. So ließ er sich wieder in Tiefschlaf versetzen — und nach diesem Erwachen löste eine Enttäuschung die andere ab. Eine Kette von Mißerfolgen in einer sich gefährlich verändernden Welt. Für Ross waren nur ein paar Tage vergangen, seitdem die beiden Robotflugschiffe in der Luft zusammenkrachten. Er bedauerte diesen Zwischenfall noch immer. Seine Haut war auch noch gebräunt. Ja, er hatte in der Sonne gelegen, und es kam ihm so vor, als wäre es erst gestern gewesen.
Er glaubte es nicht, konnte es nicht glauben. Die Robotschwester, so schien es ihm, hatte sorgfältig vermieden, genaue Jahreszahlen anzugeben. Doch Ross wußte jetzt, daß unzählige Millionen Jahre vergangen sein mußten, in denen er nur wenige Wochen älter geworden war. In diesem Zeitverhältnis konnte das ganze Universum geschaffen und vernichtet werden, und Ross hatte noch lange nicht sein dreißigstes Lebensjahr erreicht. Er würde weiterleben und nur den einzigen Wunsch haben, in die fernere Zukunft hineinzuschlafen, während sich um ihn die ewige Finsternis ausbreitete und die kalte Schlacke der einst silbern funkelnden Sterne.
Er lebte schon zu lange. Wäre er damals gestorben, als das Seegras sich zwecks Weiterexistenz zu Teppichen zusammenschloß und damit erstmals organische Bewegungen anzeigte, so hätte er vor dem letzten Atemzug die Hoffnung gehabt, daß das Leben in der Welt eines Tages wiedererwachen könnte. Zumindest wäre er mit der Gewißheit gestorben, daß er sein Möglichstes getan hatte. Nach diesem Grundsatz hatten auch Doktor Pellew, Courtland und alle anderen Wissenschaftler gehandelt. Wieder gedachte Ross dieser großartigen alten Männer, die die immer geringer werdende Zahl der Tiefschlaf-Patienten bewachten und selber schon mitten in der Ewigkeit standen. Sie hatten Einsamkeit und Verzweiflung ertragen und mußten dem Wahnsinn nahe gewesen sein. Dennoch hatten sie ihre hoffnungslosen Bemühungen zur Rettung der Menschheit ohne Rücksicht fortgesetzt. Bis zum letzten Atemzug. Ob sie geglaubt hatten, daß Ross noch Millionen Jahre leben würde? Oder nahmen sie an, daß er noch etwas am Lauf der Welt ändern könne? Sicher nicht. Doch ihre verzweifelten Bemühungen mußten für Ross ein Ansporn sein, sich selber bis zum letzten Atemzug zu behaupten. Aber das war nicht leicht.