Faile verwies die Kräuterfrau an den Frauenzirkel des Ortes. Falls Espara Soman sich damit wirklich auskannte, würden sie wohl eine Arbeit bei einer der Seherinnen in den Dörfern der Umgebung für sie finden. Bei all den vielen Neuankömmlingen, von denen viele nach den Reisestrapazen in einem schlechten gesundheitlichen Zustand waren, hatten sich die Seherinnen der Zwei Flüsse ausnahmslos bereits ein oder zwei Helferinnen zugelegt und waren auf der Suche nach weiteren. Vielleicht entsprach das nicht ganz Esparas Vorstellungen, aber es war immerhin die Chance für einen Neubeginn. Nach ein paar Fragen war ihr klar, daß sich weder Thad noch Jon genau erinnerten, wo die Grenze zwischen ihren Äckern verlief — offensichtlich war der Streit bereits älter als sie selbst —, also wies sie die beiden an, sich den umstrittenen Streifen einfach zu teilen. Das schien genau die Lösung zu sein, die sie vom Rat der Gemeinde als Schiedsspruch erwartet hatten.
Weil der aber auf sich warten ließ, hatten sie den Streit die ganze Zeit über beibehalten.
Den anderen erteilte sie die Genehmigungen, um die sie nachgesucht hatten. Sie hätten an sich gar keine Genehmigungen gebraucht, aber es war am besten, wenn man sie von vornherein wissen ließ, wer hier das Sagen hatte. Als Gegenleistung für ihre Genehmigung und genügend Silber, um Vorräte und Arbeitsmaterial zu kaufen, verlangte Faile von den beiden Domanimännern, daß sie Perrin den zehnten Teil dessen abgeben sollten, was sie fanden, und nebenher die Lage der Eisenerzvorräte festzustellen. Perrin würde das nicht passen, aber es gab an den Zwei Flüssen keine Steuern, und von einem Lord erwartete man, daß er Dinge erledigte und für andere sorgte, was gewöhnlich mit Kosten verbunden war. Und das Eisen wäre genauso nützlich wie das Gold. Was Liale Mosrara betraf: Falls die Frau aus Tarabon den Mund zu voll genommen hatte, was ihre Fertigkeiten anging, würde sich ihre Werkstatt nicht lange halten, aber falls sie nicht übertrieben hatte... Drei Tuchweber sorgten bereits dafür, daß die Händler diesmal mehr als Rohwolle vorfinden würden, wenn sie nächstes Jahr aus Baerlon herüberkamen, und gut gewebte Teppiche wären ein weiteres Handelsgut, das der Region Geld einbrachte. Liale versprach, den ersten und besonders sorgfältig gefertigten Webstuhl dem Herrenhaus zu stiften, und Faile nickte gnädig ob dieses Geschenks. Sie konnte weitere Abgaben leisten, wenn die Teppiche in den Handel kamen, falls überhaupt. Die Böden im Haus mußten nicht unbedingt bedeckt werden. Alles in allem schien jeder durchaus zufrieden von dannen zu ziehen. Sogar Jon und Thad.
Als die Taraboner Frau sich knicksend zurückzog, stand Faile auf. Sie war heilfroh, fertig zu sein, doch dann hielt sie inne, als sie vier Frauen erblickte, die durch eine der Türen neben dem Kamin auf der gegenüberliegenden Seite eintraten. Alle waren mit der kräftigen Wollkleidung der Zwei Flüsse angetan und schwitzten dementsprechend. Daise Congar, groß wie ein Mann und breiter gebaut als die meisten, überragte die anderen Seherinnen und ging voran. Hier am Rand des eigenen Dorfes übernahm sie natürlich die Führung. Edelle Gaelin aus Wachhügel, schlank und mit ergrautem Zopf, zeigte durch ihre steife Haltung und das steinerne Gesicht deutlich, daß sie Anspruch auf Daises Platz erhob, zumindest ihres Alters und der langen Zeit wegen, die sie ihren Posten schon innehatte. Elwinn Taron, die Seherin von Devenritt, war die kleinste, eine rundliche Frau mit einem angenehmen, mütterlichen Lächeln, das sie selbst dann noch zeigte, wenn sie Menschen etwas gegen ihren Willen verrichten ließ. Die letzte, Milla al'Azar aus Taren Fähre, schritt hinter den anderen her. Sie war die jüngste, beinahe jung genug, um Edelles Tochter zu sein, und in der Gegenwart der anderen schien sie sich immer unsicher zu fühlen. Auf jeden Fall schien das Erscheinen dieser vier Faile nichts Gutes zu bedeuten.
Faile blieb stehen und fächelte sich langsam Luft zu. Nun wünschte sie sich noch mehr, daß Perrin hier sei. Sehr viel mehr. Diese Frauen besaßen in ihren Dörfern genausoviel Autorität wie der jeweilige Bürgermeister — manchmal auf gewisse Weise sogar mehr —und man mußte sie äußerst vorsichtig behandeln, ihnen gegenüber die notwendige Würde und viel Respekt zeigen. Das erschwerte die Lage um einiges. In Perrins Gegenwart verwandelten sie sich in anbetungsvolle Mädchen, die ihm gefallen wollten, aber bei ihr... An den Zwei Flüssen hatte es jahrhundertelang keine Adligen gegeben. Sie hatten schon sieben Generationen lang nicht einmal mehr einen Gesandten der Königin aus Caemlyn zu Gesicht bekommen. Jeder versuchte immer noch, herauszufinden, wie man sich einem Lord und einer Lady gegenüber benahm, und diese vier waren keine Ausnahme. Manchmal vergaßen sie, daß sie Lady Faile war, und sahen in ihr lediglich die junge Frau, deren Hochzeit mit Perrin Daise erst vor ein paar Monaten geleitet hatte. Sie brachten es fertig, ihr mitten in dem üblichen Geknickse und dem ewigen »Ja, selbstverständlich, Lady Faile« klipp und klar zu sagen, was sie in irgendeinem Fall zu tun habe, ohne darin einen Gegensatz zu sehen. Du wirst mir das nicht mehr allein überlassen, Perrin, verlaß dich darauf!
Nun knicksten sie — unterschiedlich geübt — und sagten alle fast gleichzeitig: »Das Licht leuchte Euch, Lady Faile«.
Nachdem auf diese Weise der Höflichkeit genüge getan war, begann Daise zu sprechen, bevor sie sich überhaupt richtig aufgerichtet hatte: »Drei weitere Jungen sind fort, Lady Faile.« Ihr Tonfall lag so etwa in der Mitte zwischen der respektvollen Anrede zuvor und ihrem Jetzt-hört-mir-mal-gefälligst-zu-junge-Frau-Tonfall, den sie gelegentlich anwandte. »Dav Ayellin, Ewin Finngar und Elam Dowtry. Einfach davongelaufen, um die Welt zu sehen! Und das der Geschichten Lord Perrins wegen, die er immer von der Welt dort draußen erzählt.«
Faile riß überrascht die Augen auf. Die drei waren wohl kaum noch Jungen. Dav und Elam waren genauso alt wie Perrin, und Ewin war in ihrem Alter. Und die Erzählungen Perrins, die er nur selten und dann zögernd vorbrachte, waren wohl kaum das einzige, aus dem die Jugend der Zwei Flüsse heutzutage etwas über die Außenwelt lernte. »Ich könnte Perrin bitten, mit Euch zu sprechen, falls Ihr das wünscht.«
Das löste Unruhe aus. Daise sah sich erwartungsvoll nach ihm um, Edelle und Milla strichen automatisch ihre Röcke glatt, während Elwinn genauso unbewußt ihren Zopf nach vorn zog und sorgfältig auf ihrer Schulter zurechtlegte. Mit einemmal wurde ihnen bewußt, was sie taten, und sie erstarrten. Keine wagte einen Blick zur anderen hin. Oder zu ihr. Failes wichtigster Vorteil lag in der Tatsache, daß sich die anderen der Wirkung ihres Mannes wohl bewußt waren. So viele Male nun hatte sie die eine oder andere beobachtet, wie sie sich nach einem Treffen mit Perrin zusammengerissen und offensichtlich vorgenommen hatte, sich nie wieder so zu benehmen. Und genauso oft hatte sie dann beobachtet, wie dieser Entschluß vergessen war, kaum, daß er wieder in Erinnerung trat. Keine von ihnen war sich ganz sicher, ob sie lieber mit ihm verhandelte oder mit ihr.
»Das wird nicht notwendig sein«, sagte Edelle nach einem Moment der Überlegung. »Weglaufende Jungen sind ein Ärgernis, aber eben nicht mehr als das.« Ihr Tonfall hatte sich ein bißchen weiter von ›Lady Faile‹ entfernt als der Daises zuvor, und die mollige Elwinn setzte noch ein Lächeln drauf, das eher das einer Mutter ihrer kleinen Tochter gegenüber war.
»Da wir nun schon hier sind, meine Liebe, könnten wir auch noch etwas anderes erwähnen. Wasser. Seht Ihr, einige Leute beginnen sich Sorgen zu machen.«