Sie bot ihnen Tee an mit der ganz zwanglos vorgebrachten Begründung, sie könnten sich darüber unterhalten, wie man den Menschen am besten des Wetters wegen Mut machte. Nach den Gesprächen der letzten paar Minuten traf das die anderen unter der Gürtellinie, und so überschlugen sie sich fast mit ihren Beteuerungen, sie hätten Pflichten zu erfüllen, die ihnen kein Verweilen gestatteten.
Nachdenklich blickte sie ihnen nach. Milla ging wie üblich hinter den anderen her, wie ein Kind, das den älteren Geschwistern nachtrödelt. Vielleicht war es möglich, mit einigen Mitgliedern des Frauenzirkels von Taren-Fähre ein paar ruhige Worte zu wechseln. Jedes Dorf brauchte in diesen Zeiten einen starken Gemeindevorsteher und ebenso eine Seherin, die eine starke Führungspersönlichkeit darstellte, um ihre jeweiligen Interessen zu vertreten. Ruhige, sorgfältig gewählte Worte. Als Perrin herausfand, daß sie vor der Wahl zum Gemeindevorsteher in Taren-Fähre mit den Männern dort gesprochen hatte — wenn ein Mann den Verstand besaß, sie und Perrin energisch zu unterstützen, warum sollten dann die Männer, die zur Wahl gingen, nicht erfahren, daß sie und Perrin diese Unterstützung erwiderten? — als er das herausfand... Er war ein sanfter Mann, der nicht so schnell wütend wurde, aber um ganz sicherzugehen, hatte sie sich dann doch in ihrem Schlafzimmer verbarrikadiert, bis sein Zorn abgekühlt war. Das war nicht geschehen, bis sie versprochen hatte, auf keinen Fall mehr in einen Wahlkampf einzugreifen, weder offen noch hinter seinem Rücken. Letzteres hatte sie von ihm als äußerst unfair empfunden. Und auch als ziemlich lästig. Zum Glück war ihm nicht eingefallen, die Wahlen zur Versammlung der Frauen zu erwähnen. Nun, was er nicht wußte, war nur gut für ihn. Und auch für Taren-Fähre in diesem Fall.
Der Gedanke an ihn erinnerte sie an ihr Versprechen sich selbst gegenüber. Der Federfächer schlug nun erheblich schneller. Heute war noch keineswegs der schlimmste Tag gewesen, was den Unsinn betraf, den man vor sie brachte, und auch was die Seherinnen betraf, hatte es schlimmere Tage gegeben. Dem Licht sei Dank, daß ihr nicht wieder die Frage gestellt wurde, wann Lord Perrin denn einen Erben erwarten durfte! Vielleicht hatte die nicht nachlassende Hitze ihren Zorn nun soweit angestachelt... Perrin würde seine Pflicht tun, oder...
Donner grollte über dem Herrenhaus und ein Blitz erleuchtete das Fenster. Hoffnung kam in ihr auf. Falls Regen kam...
Sie eilte leise auf ihren weichen Pantoffeln davon, um Perrin zu suchen. Sie hätte den Regen gern mit ihm geteilt. Und außerdem noch ein ernstes Wörtchen mit ihm gesprochen. Mehr als nur eines, falls notwendig.
Perrin befand sich genau dort, wo sie es erwartet hatte, ganz oben im zweiten Stock. Er saß in der überdachten Veranda an der Vorderfront des Hauses. Lockiges Haar, eine einfache braune Jacke, kräftige Schultern und Arme, so kehrte er ihr den breiten Rücken zu, während er an einer der Säulen lehnte. Er blickte hinunter zum Erdboden an der einen Seite des Herrenhauses, und nicht zum Himmel hoch. Faile blieb in der Tür stehen.
Wieder grollte Donner, und ein Flächenblitz erleuchtete die blaue Kuppel über ihnen. Ein Hitzegewitter, und das bei wolkenlosem Himmel. Kein Vorbote des Regens. Kein Regen, der die Hitze mildern würde. Keine Aussicht auf den lange erwarteten Schnee. Auf ihrem Gesicht standen Schweißperlen, doch sie schauderte.
»Ist die Audienz vorbei?« fragte Perrin, und sie fuhr zusammen. Er hatte den Kopf nicht gehoben. Manchmal fiel es ihr schwer, sich im rechten Moment daran zu erinnern, wie außerordentlich fein sein Gehör war. Vielleicht hatte er sie auch gewittert, doch falls ja, dann hoffte sie, er habe sie am Parfüm erkannt und nicht am Schweiß.
»Ich hatte schon geglaubt, ich würde dich hier mit Gwil oder Hai antreffen.« Das war einer seiner schlimmsten Fehler: Sie bemühte sich, die Diener auszubilden, doch für ihn waren sie lediglich Männer, mit denen er lachte und einen Krug Bier leerte. Wenigstens warf er kein Auge auf die Mädchen wie so mancher andere Mann. Er hatte nicht bemerkt, daß sich Calle Coplin im Herrenhaus verdingt hatte, weil sie hoffte, mehr für Lord Perrin tun zu können als nur sein Bett zu machen. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, wie Faile Calle mit einem Schürhaken aus dem Haus gejagt hatte.
Als sie zu ihm ging, sah sie auch, was er beobachtete. Zwei Männer mit nackten Oberkörpern arbeiteten dort unten mit hölzernen Übungsschwertern. Tam al'Thor war ein kräftiger, alternder Mann mit leicht ergrautem Haar. Aram dagegen war schlank und jung. Aram lernte schnell. Sehr schnell. Tarn war Soldat gewesen und Schwertmeister, aber Aram setzte ihm gewaltig zu.
Automatisch wanderte ihr Blick hinüber zu den Zelten, die sich auf einem mit Steinen eingefaßten Acker eine halbe Meile entfernt in Richtung Westwald zusammendrängten. Wer von den Kesselflickern überlebt hatte, lagerte dort zwischen halbfertigen Wohnwagen, die wie kleine Häuser auf Rädern aussahen. Natürlich betrachteten sie Aram nicht mehr als einen der ihren; nicht mehr, seit er das Schwert genommen hatte. Die Tuatha'an bedienten sich niemals der Gewalt, gleich, aus welchem Grund auch immer. Sie fragte sich, ob sie wie geplant abreisen würden, wenn die von den Trollocs verbrannten Wagen ersetzt waren. Nachdem sie alle aufgelesen hatten, die sich in irgendwelchen Dickichten versteckt hatten, waren es immer noch nicht viel mehr als hundert. Vielleicht würden sie tatsächlich weiterziehen, und Aram würde aus freien Stücken zurückbleiben. Soweit sie gehört hatte, hatten sich noch niemals Tuatha'an an einem Ort niedergelassen.
Aber die Menschen der Zwei Flüsse behaupteten ja, es ändere sich nie etwas. Und doch hatte sich seit der Invasion der Trollocs eine Menge geändert. Emondsfeld, nur hundert Schritt südlich des Herrenhauses, war größer als damals bei ihrer Ankunft. Alle die niedergebrannten Häuser wurden wieder aufgebaut und neue dazu. Einige sogar mit Backsteinen, und auch das war neu hier. Und manche bekamen Ziegeldächer. Bei dem Tempo, mit dem man neue Wohnhäuser errichtete, würde das Herrenhaus bald im Dorf liegen. Man sprach auch von einer Mauer, falls die Trollocs noch einmal zurückkämen. Veränderungen. Eine Handvoll Kinder folgten Loials riesiger Gestalt eine der Dorfstraßen entlang. Vor wenigen Monaten noch, als der Anblick des Ogiers mit seinen behaarten Ohren und der Nase, halb so breit wie sein ganzes Gesicht, und seiner Größe, etwa wie eineinhalb ausgewachsene Männer, noch jedes Kind im Dorf mit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf die Straße gelockt hatte, hatten die Mütter noch Todesangst um ihre Kinder ausgestanden. Jetzt schickten die gleichen Mütter ihre Kinder zu Loial, damit er ihnen aus Büchern vorlas! Die Ausländer in ihren eigenartig geschnittenen Jacken und Kleidern hoben sich auf der Straße beinahe genauso von den Emondsfeldern ab wie Loial, aber niemand beachtete sie besonders, genausowenig wie die drei Aiel, die im Augenblick im Dorf wohnten, fremdartige, hochgewachsene Leute, ganz in Braun- oder Grautöne gekleidet. Bis vor wenigen Wochen hatten sich auch zwei Aes Sedai hier aufgehalten, und selbst bei ihnen hatte man sich lediglich höflich verbeugt oder einen Knicks gemacht. Veränderungen. Die beiden Flaggenmasten auf dem Anger unweit der Weinquelle waren über die Dächer hinweg sichtbar. Auf einer Flagge war der rotgeränderte Wolfskopf zu sehen, der Perrins Abzeichen geworden war, und auf der anderen der rote, fliegende Adler, das Wappen von Manetheren. Manetheren war während der Trollockriege vor gut zweitausend Jahren untergegangen, aber dieses Gebiet hier war ein Teil davon gewesen, und so hatten sich die Einwohner der Zwei Flüsse entschlossen, diese Flagge wieder aufleben zu lassen. Veränderungen, und sie hatten im Grunde keine Ahnung, wie stark und unerbittlich diese Veränderungen wirklich waren. Doch Perrin würde sie durch diese Zeit führen und einer Zukunft entgegen, von der niemand wußte, was sie bringen würde. Mit ihrer Hilfe würde er das erreichen.