Die Aielfrauen zeigten genausowenig Reaktionen, genausowenig Ausdruck wie bei ihrer Ankunft. Das kam doch etwas überraschend; Könige und Königinnen verrieten ihre geheimsten Regungen, wenn sie zwei oder drei Aes Sedai gegenüberstanden, ganz zu schweigen von einem halben Dutzend — unzivilisierte Wilde sollten in diesem Augenblick eigentlich vor ihnen zittern und beben. Das hätte ja wohl die mindeste Reaktion sein sollen. Ihre Anführerin — sie hieß Sevanna, gefolgt von irgendeinem Unsinn wie ›Septime‹ und ›Shaido Aiel‹ und ›Weise‹ — sagte: »Ihr habt unser Einverständnis, solange ich einen Blick auf sein Gesicht werfen kann.« Sie hatte einen Schmollmund und trug die Bluse so weit offen, um Männerblicke anzulocken. Daß die Aiel eine wie sie zur Anführerin machten, zeigte, wie primitiv sie waren. »Ich will ihn sehen und ich will, daß er mich sieht, wenn er besiegt ist. Nur bei dieser Gegenleistung wird Eure Burg in den Shaido einen Verbündeten finden.«
Die Andeutung von Anbiederung in ihrem Tonfall zwang Katerine, ein Lächeln zu unterdrücken. Weise? Diese Sevanna war wirklich töricht. Die Weiße Burg hatte keine Verbündeten. Es gab die einen, die ihr willig dienten, und die anderen, die ihr gegen den eigenen Willen dienten, und sonst niemanden.
Ein leichtes Zucken an Coirens Mundwinkeln verriet, daß ihr das alles auf die Nerven ging. Die Graue war eine gute Verhandlungsleiterin, aber sie hatte es nun mal am liebsten, wenn alles seine vorbestimmte Ordnung hatte, wenn jede Einzelheit so ablief, wie sie es vorher festgelegt hatte. »Zweifellos verdient Eure Unterstützung das, was Ihr fordert.«
Eine der grauhaarigen Aiel — Tarva oder so ähnlich hieß sie wohl — kniff die Augen zusammen, aber Sevanna nickte. Sie hatte genau das herausgehört, was Coiren beabsichtigt hatte.
Coiren machte sich auf, die Aielfrauen bis hinunter zum Fuß des Hügels zu begleiten, zusammen mit Erian, einer Grünen, und Nesune, einer Braunen, und den fünf Behütern, die insgesamt zu ihnen gehörten. Katerine selbst ging nur bis zum Rande des Gehölzes und blickte den anderen hinterher. Bei ihrer Ankunft hatte man den Aiel gestattet, allein hier heraufzukommen, wie es solchen Helfern zustand, doch nun erwies man ihnen alle Ehren, um sie glauben zu machen, man schätze sie als Freunde und Verbündete. Katerine fragte sich, ob sie wohl zivilisiert genug seien, um die feinen Unterschiede überhaupt wahrzunehmen.
Gawyn befand sich dort unten, saß auf einem Felsen und blickte auf die grasbewachsene Ebene hinaus. Was würde dieser junge Mann denken, wenn er erführe, daß er und seine Kindertruppe sich nur hier befanden, weil man sie in Tar Valon loswerden wollte? Weder Elaida noch der Saal hatten gern ein Rudel junger Wölfe in der Nähe, das sich nicht an die Leine legen zu lassen gedachte. Vielleicht sollte man es den Shaido überlassen, dieses Problem auszuräumen. Elaida hatte das bereits angedeutet. Auf diese Weise würde seine Mutter seinen Tod nicht mit der Burg in Verbindung bringen.
»Wenn du diesen jungen Mann noch länger anhimmelst, Katerine, dann muß ich wohl langsam glauben, du wärst bei den Grünen besser aufgehoben.«
Katerine unterdrückte ihren plötzlich aufflammenden Ärger und neigte den Kopf respektvoll. »Ich habe nur über seine Gedanken spekuliert, Galina Sedai.«
Das war genug Respekt, wie ihn ein Gespräch vor aller Augen verlangte; vielleicht sogar ein wenig mehr. Galina Casban sah bestenfalls nur wenig jünger aus, als Katerine in Wirklichkeit war, war aber doppelt so alt.
Seit achtzehn Jahren war die Frau mit dem runden Gesicht das Oberhaupt der Roten Ajah. Diese Tatsache war außerhalb der Ajah natürlich nicht bekannt; solche Kenntnisse waren nur für den internen Gebrauch bestimmt. Sie gehörte nicht einmal zu den Sitzendenden Abgeordneten also — der Roten im Burgsaal. Katerine vermutete, bei den anderen Ajah sei es dasselbe. Elaida hätte sie ja zur Leiterin dieser Expedition ernannt anstatt dieser Coiren, die sich selbst so ungeheuer wichtig nahm, aber Galina selbst hatte sie darauf aufmerksam gemacht, daß eine Rote Rand al'Thor möglicherweise mißtrauisch gemacht hätte. Die Amyrlin gehörte allen Ajahs und dabei doch keiner einzelnen an, mußte ihre alte Bindung bei Amtsantritt aufgeben, aber wenn Elaida den Rat einer anderen suchte, was allerdings wohl kaum jemals der Fall zu sein schien, dann den Galinas.
»Wird er freiwillig mitkommen, wie Coiren glaubt?« fragte Katerine.
»Vielleicht«, antwortete Galina trocken. »Die Ehre, die man ihm mit dieser Delegation erweist, sollte ausreichen, einen König dazu zu bringen, daß er seinen eigenen Thron bis nach Tar Valon schleppt.«
Katerine machte sich nicht einmal die Mühe eines Kopfnickens. »Diese Sevanna wird ihn töten, falls sie die Chance dazu bekommt.«
»Dann darf man ihr keine Gelegenheit geben.« Galinas Stimme klang kalt und ihre dicken Lippen hatte sie aufeinander gepreßt. »Es würde der Amyrlin nicht gefallen, wenn ihre Pläne auf diese Art zunichte gemacht würden. Und du und ich würden tagelang im Dunklen vor Schmerzen schreien, bevor man uns sterben ließe.«
Katerine zog unwillkürlich ihre Stola eng um die Schultern zusammen und schauderte. Staub lag in der Luft; sie würde ihren leichten Sommerumhang herausholen. Es wäre nicht einmal Elaidas Zorn, der sie töten würde, obwohl ihr Zorn schrecklich sein konnte. Siebzehn Jahre lang war Katerine nun schon Aes Sedai, aber erst am Morgen vor ihrer Abreise hatte sie erfahren, daß sie mehr als nur die Zugehörigkeit zu den Roten Ajah mit Galina gemein hatte. Zwölf Jahre lang nämlich war sie bereits Mitglied der Schwarzen Ajah, und in all dieser Zeit hatte sie nicht gewußt, daß auch Galina eines ihrer Mitglieder war, und zwar seit viel längerer Zeit schon. Notwendigerweise tarnten sich die Schwarzen Schwestern sehr sorgfältig, sogar voreinander. Bei ihren seltenen Versammlungen verhüllten sie die Gesichter und verstellten die Stimmen. Vor Galina hatte Katerine nur zwei andere kennengelernt, die sie wiedererkennen durfte. Befehle wurden auf ihrem Kopfkissen hinterlassen, oder in einer Tasche ihres Umhangs, und die Tinte, mit der sie geschrieben waren, verblaßte augenblicklich, wenn eine andere Hand als die ihre das Papier berührte. Es gab einen geheimen Ort, an dem sie Nachrichten hinterließ, und einen strengen Befehl, nicht zu warten und zu belauern, wer sie abzuholen komme. Sie war immer gehorsam gewesen. Es konnte unter denen, die im Abstand einer Tagesreise folgten, durchaus Schwarze Schwestern geben, aber sie hatte keine Möglichkeit, das festzustellen.
»Warum?« fragte sie. Befehle, den Wiedergeborenen Drachen am Leben zu halten, ergaben keinen Sinn, genausowenig wie eine Auslieferung an Elaida.
»Fragen zu stellen ist gefährlich für eine, die geschworen hat, bedingungslos zu gehorchen.«
Katerine schauderte wieder und konnte sich gerade noch davon abhalten, vor Galina einen Knicks zu machen. »Ja, Galina Sedai.« Aber sie konnte sich nicht helfen. Sie fragte sich immer noch, warum.
»Sie zeigen weder Respekt noch ehrenhaftes Verhalten«, grollte Therava. »Sie gestatten uns, ihr Lager zu betreten, als seien wir zahnlose Hunde, und dann bringen sie uns unter Bewachung hinaus, als verdächtigten sie uns des Diebstahls.«
Sevanna blickte sich nicht um. Das würde sie erst wieder tun, wenn sie sich in der Deckung der Bäume befanden. Die Aes Sedai würden bestimmt nach Anzeichen der Nervosität bei ihnen Ausschau halten. »Sie haben sich einverstanden erklärt Therava«, sagte sie. »Das reicht fürs erste.« Für den Moment. Eines Tages würden diese Länder hier den Shaido zum Plündern offenstehen. Einschließlich der Weißen Burg.
»Das ist alles zu unausgegoren«, sagte die dritte Frau mit Nervosität in der Stimme. »Die Weisen Frauen meiden alle Aes Sedai; das war schon immer so. Vielleicht war es bei dir in Ordnung, Sevanna, denn als Couladins und Suladrics Witwe vertrittst du den Clanhäuptling, bis wir wieder einen Mann nach Rhuidean schicken können, aber wir anderen hätten nicht daran teilnehmen sollen.«