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Sevanna zwang sich mit Mühe zum Weitergehen. Desaine hatte sich gegen ihre Wahl zur Weisen Frau ausgesprochen und laut lamentiert, sie habe keine Lehrzeit absolviert und Rhuidean nicht besucht. Außerdem hatte sie behauptet, gerade ihr Rang als Stellvertreterin des Clanhäuptlings mache es unmöglich, sie auch noch zur Weisen Frau zu erheben. Und dazu konnte es sein, da ihr nicht nur ein Ehemann, sondern gleich zwei gestorben waren, daß sie dem Clan Unglück brachte. Glücklicherweise hatten genügend Weise Frauen der Shaido auf Sevanna gehört und nicht auf Desaine. Andererseits hatten allzu viele auf Desaine gehört, als daß man sie problemlos hätte beseitigen können. Die Weisen Frauen waren an sich ja unverletzlich — sogar diejenigen, die zu diesen Verrätern und Narren drunten in Cairhien hielten, begaben sich gelegentlich unbehelligt zu den Shaido —, doch Sevanna hatte vor, eine Methode zu finden, sie aus dem Weg zu schaffen.

Als hätten Desaine mit ihren Zweifeln Therava angesteckt, begann diese halb in sich hinein zu knurren: »Alles Üble, das wir tun, richtet sich gegen die Aes Sedai. Wir dienten ihnen vor der Zerstörung der Welt und wir haben dabei versagt. Deshalb wurden wir ins Dreifache Land gesandt. Wenn wir noch einmal versagen, werden wir vernichtet.«

Das jedenfalls glaubten alle. Es war Teil der alten Legenden und gehörte zum Brauchtum. Sevanna war jedoch keineswegs so sicher. Diese Aes Sedai kamen ihr schwach und töricht vor. Sie reisten mit ein paar hundert Mann Begleitung durch ein Gebiet, in dem sie die wahren Aiel, die Shaido, zu Tausenden leicht überrennen konnten. »Ein neuer Tag ist angebrochen«, sagte sie in scharfem Ton, wobei sie einen Teil einer ihrer Ansprachen vor den Weisen Frauen wiederholte. »Wir sind nicht mehr an das Dreifache Land gebunden. Jedes Auge kann erkennen, daß alles, was einmal war, sich nun geändert hat. Wir selbst müssen uns ändern, sonst werden wir vernichtet und es wird sein, als seien wir nie gewesen.« Natürlich hatte sie ihnen niemals gesagt, welche Änderungen sie wirklich durchführen wollte. Wenn es nach ihr ginge, würden die Weisen Frauen der Shaido niemals mehr einen Mann nach Rhuidean schicken.

»Neuer Tag oder alter«, brummte Desaine, »was werden wir mit Rand al'Thor anfangen, wenn wir es fertigbringen, ihn den Aes Sedai abzujagen? Es wäre besser und leichter, ihm ein Messer zwischen die Rippen zu jagen, während sie ihn nach Norden begleiten.«

Sevanna antwortete nicht. Sie wußte nicht, was sie antworten sollte. Noch nicht. Alles, was sie wußte, war: Sobald sie diesen sogenannten Car'a'carn, den Häuptling aller Häuptlinge der Aiel, wie einen tollen Hund vor ihrem Zelt angekettet hatte, würde dieses Land wirklich und wahrhaftig den Shaido gehören. Und ihr. Das war ihr schon klargewesen, bevor dieser eigenartige Feuchtländermann sie irgendwie in diesen Bergen aufgespürt hatte, die von den Leuten hier als Brudermörders Dolch bezeichnet wurde. Er hatte ihr einen kleinen Würfel aus irgendeinem harten Stein gegeben, auf dessen Seiten kunstvolle aber seltsame Muster eingemeißelt waren, und ihr gesagt, was sie damit anstellen solle — mit Hilfe einer Weisen Frau, die mit der Macht umgehen konnte —, sobald sich al'Thor in ihrer Hand befinde. Sie trug den Würfel nun ständig in einer Gürteltasche mit sich herum. Noch hatte sie sich nicht entschlossen, was sie damit anstellen werde, hatte aber auch niemanden von dem Mann oder dem Würfel erzählt. Mit hoch erhobenem Kopf schritt sie unter der sengenden Sonne des Herbsthimmels davon.

Hätte es im Palastgarten ein paar Bäume gegeben, wäre dadurch wohl ein Anschein von Kühle erweckt worden, aber so waren die höchsten Gewächse kunstvoll beschnittene Sträucher, die man in die Formen von galoppierenden Pferden oder Bären gezwungen hatte, oder die von Akrobaten in der Bewegung und ähnliches mehr. Gärtner in Hemdsärmeln eilten mit Eimern voll Wasser unter der sengenden Nachmittagssonne einher, um ihre Schöpfungen zu retten. Die Blumen hatten sie bereits aufgegeben, die in Mustern angelegten Beete geleert und mit Grassoden bedeckt, die aber auch schon abstarben.

»Wie schade, daß die Hitze so schlimm ist«, sagte Ailron. Er zog ein spitzenbesetztes Taschentuch aus dem ebenfalls mit Spitzenmanschetten versehenen Ärmel seines gelben, seidenen Kurzmantels, tupfte geziert sein Gesicht ab und warf es weg. Ein Diener in goldener und roter Livree hob es schnell von dem Kiesweg auf und zog sich wieder unauffällig in den Hintergrund zurück. Ein weiterer livrierter Mann legte dem König ein frisches Taschentuch in die Hand, das dieser in seinen Ärmel schob. Ailron tat natürlich so, als bemerke er überhaupt nichts. »Diese Burschen bringen es für gewöhnlich fertig, alles bis zum Frühling am Leben zu halten, aber diesen Winter werde ich möglicherweise doch ein paar verlieren. Denn es sieht so aus, als werde es diesmal gar keinen Winter geben. Sie vertragen die Kälte besser als diese Dürre. Findet Ihr nicht auch, daß sie sehr schön sind, meine Liebe?«

Ailron, vom Licht gesalbt, König und Verteidiger von Amadicia, Wächter des Südlichen Tores, sah keineswegs so gut aus, wie es den Gerüchten entsprochen hätte, aber Morgase hatte schon vor Jahren, als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, vermutet, er habe diese Gerüchte selbst in die Welt gesetzt. Sein dunkles Haar war voll und lockig, und wurde vorn ganz eindeutig bereits licht. Seine Nase war ein wenig zu lang und seine Ohren eine Kleinigkeit zu groß. Seine gesamtes Gesicht deutete auf ein weiches Gemüt hin. Eines Tages würde sie ihn fragen. Das Südliche Tor wohin?

Sie wedelte mit ihrem geschnitzten Elfenbeinfächer und betrachtete eines der ... Kunstwerke der Gärtner. Es schien drei riesige nackte Frauen darzustellen, die verzweifelt mit enormen Schlangen kämpften. »Das ist sehr beeindruckend«, bemerkte sie. Man sagte eben, was von einem erwartet wurde, wenn man als Bettlerin ankam.

»Ja. Nicht wahr? Ach, es sieht danach aus, daß mich Staatsgeschäfte rufen. Dringende Angelegenheiten, fürchte ich.« Ein Dutzend Männer, in Umhänge gehüllt, so bunt wie die nicht mehr vorhandenen Blumen, war auf der niedrigen Marmortreppe am entfernten Ende des Pfades erschienen, und nun warteten sie vor einem Dutzend kannelierter Säulen, die überhaupt nichts stützten.

»Bis zum Abend, meine Liebe. Dann werden wir weiter über Eure schrecklichen Probleme sprechen und was ich tun kann, Euch zu helfen.«

Er beugte sich über ihre Hand und hielt knapp über dem Handrücken inne, bevor er ihn tatsächlich geküßt hätte, und sie knickste leicht. Sie murmelte dem Anlaß entsprechende Nichtigkeiten und dann rauschte er davon, von allen seinen Lakaien begleitet bis auf einen einzigen. Diesen Rattenschwanz hatte er den ganzen Tag über auf den Fersen.

Als er weg war, wedelte Morgase heftiger mit ihrem Fächer, als in seiner Gegenwart schicklich gewesen wäre. Der Mann tat so, als berühre ihn die Hitze kaum, dabei strömte ihm der Schweiß über das Gesicht. Sie wandte sich wieder ihren Gemächern zu. Ihren — in denen sie stillschweigend geduldet wurde. Auch das hellblaue, lange Kleid, das sie trug, war ein Geschenk. Sie hatte trotz des Wetters auf dem hohen Kragen bestanden, denn was tiefe Ausschnitte betraf, vertrat sie ihre eigenen Ansichten.

Der zurückgebliebene Diener folgte ihr in gebührendem Abstand. Und Tallanvor natürlich auch, wie immer dicht hinter ihr, und dazu hatte er auch noch darauf bestanden, den groben grünen Umhang zu tragen, mit dem er hier angekommen war. Außerdem trug er das Schwert an der Hüfte, als erwarte er einen Angriff mitten im Seranda Palast, keine zwei Meilen von Amador entfernt. Sie bemühte sich, den hochgewachsenen jungen Mann zu ignorieren, aber wie gewöhnlich ließ er das einfach nicht zu.

»Wir hätten nach Ghealdan reiten sollen, Morgase. Nach Jehannah.«