Выбрать главу

Osan'gar bemühte sich zu schlucken, aber sein Mund war staubtrocken. Sicher hatte dieses Geschöpf doch nichts mit dem zu tun, was man mit ihm gemacht hatte. Myrddraal hatten Fähigkeiten gewisser Art, aber so weit ging das doch nicht. Und dennoch wußte er Bescheid. Er hatte die Halbmenschen nie leiden können. Er hatte mitgeholfen, die Trollocs zu züchten, indem er menschliches und tierisches Zuchtvieh kreuzte, und er war stolz darauf, das notwendige Können zu besitzen und all die Schwierigkeiten überwunden zu haben, aber diese gelegentlichen Rückfälle unter ihren Nachkommen erzeugten selbst im besten Fall noch ein Kribbeln in seinem Magen.

Shaidar Haran wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Frau zu, die in seiner Faust zappelte. Ihr Gesicht begann, purpurn anzulaufen, und ihre Füße zuckten schwach. »Ihr werdet Euch schon anpassen. Der Körper unterwirft sich der Seele, aber der Verstand beugt sich dem Körper. Ihr paßt Euch jetzt bereits an. Bald wird es sein, als hättet Ihr nie einen anderen besessen. Oder Ihr verweigert Euch. Dann wird eine andere Euren Platz einnehmen und Euch übergibt man ... meinen Brüdern, von der Quelle abgeschnitten wie ihr jetzt seid.« Diese dünnen Lippen verzogen sich erneut. »Ihnen fehlt jegliches Vergnügen, dort in den Grenzlanden.«

»Sie kann nicht sprechen«, sagte Osan'gar. »Du bringst sie um! Weißt Du nicht, wer wir sind? Laß ab von ihr, Halbmensch! Gehorche mir!« Das Ding mußte einem der Auserwählten gehorchen.

Aber der Myrddraal musterte nur tatenlos Aran'gars immer dunkler anlaufendes Gesicht eine Weile lang, bevor er ihre Füße auf den Teppich sinken ließ und seinen Griff loste. »Ich gehorche dem Großen Herrn. Keinem anderen.« Sie hielt sich fest, wankte, keuchte und saugte gierig Luft ein. Hätte er die Hand weggenommen, wäre sie gefallen. »Werdet Ihr Euch dem Willen des Großen Herrn beugen?« Das war kein Befehl, sondern nur eine nichtssagende Frage, von dieser röchelnden Stimme gestellt.

»Ich, ich werde mich beugen«, stieß sie heiser hervor, und Shaidar Haran ließ sie los.

Sie wankte noch und massierte ihre Kehle. Osan'gar wollte hingehen und ihr behilflich sein, doch sie wehrte ihn mit einem drohenden Blick und geballter Faust ab, damit er sie nicht berührte. Er zog sich mit erhobenen Händen zurück. Für solche Feindseligkeiten war jetzt nicht die Zeit. Aber es war ein schöner Körper und ein guter Witz dazu. Er hatte sich immer etwas auf seinen Humor eingebildet, und dieser Witz war prachtvoll.

»Empfindet Ihr keine Dankbarkeit?« fragte der Myrddraal. »Ihr wart tot, und nun lebt Ihr. Denkt an Rahvin, dessen Seele für immer verloren ist. Ihr habt die Möglichkeit, dem Großen Herrn wieder zu dienen und Euch für Eure Fehler zu rehabilitieren.«

Osan'gar beeilte sich, zu versichern, wie dankbar er sei und daß er nichts lieber täte, als zu dienen und sich zu rehabilitieren. Rahvin tot? Was war da geschehen? Es spielte keine Rolle, denn einer weniger unter den Auserwählten erhöhte die Chance auf den Gewinn wirklicher Macht, wenn der Große Herr befreit war. Es wurmte ihn wohl, daß er sich von etwas demütigen lassen mußte, das man mit Fug und Recht genau wie die Trollocs als seine Schöpfung betrachten durfte, aber er erinnerte sich nur zu deutlich an den Tod. Um das noch einmal zu vermeiden, würde er auch vor einem Wurm im Dreck kriechen. Aran'gar stand ihm nun nicht mehr nach, wie er bemerkte, trotz des Zorns in ihrem Blick. Eindeutig erinnerte auch sie sich.

»Dann ist es an der Zeit, daß Ihr wieder im Dienst des Großen Herrn in die Welt hinaustretet«, sagte Shaidar Haran. »Niemand außer mir und dem Großen Herrn weiß, daß Ihr wieder lebt. Habt Ihr Erfolg, werdet Ihr für alle Ewigkeit leben und über alle anderen erhoben. Versagt Ihr... Aber Ihr werdet nicht versagen, nicht wahr?« Dann lächelte der Halbmensch tatsächlich. Es war, als sehe man den Tod lächeln.

1

Der Löwe auf dem Hügel

Das Rad der Zeit dreht sich, und die Zeitalter kommen und gehen, hinterlassen Erinnerungen, die zu Legenden werden, verblassen zu bloßen Mythen und sind längst vergessen, wenn das Zeitalter wiederkehrt, das diese Legende einst gebar. In einem Zeitalter, von einigen das Dritte genannt, einem Zeitalter, das noch kommen wird und das schon lange vorbei ist, erhob sich ein Wind in den von bräunlich vertrocknetem Gestrüpp überzogenen Hügeln von Cairhien. Der Wind stand nicht am Anfang. Es gibt weder Anfang noch Ende, wenn sich das Rad der Zeit dreht. Aber es war ein Anfang.

Nach Westen wehte der Wind über verlassene Dörfer und Bauernhöfe hinweg, von denen viele nur noch aus verkohlten Balken und Trümmern bestanden. Der Krieg hatte Cairhien überzogen, Krieg und Bürgerkrieg, Invasion und Chaos, und selbst jetzt, da es vorüber war, soweit es tatsächlich vorüber war, zogen nur eine Handvoll zu ihrer Heimstatt zurück. Der Wind brachte keine Feuchtigkeit, und die Sonne bemühte sich, alles, was dem Land noch geblieben war, zu verbrennen. Wo die kleine Stadt Maerone dem größeren Aringill auf der anderen Seite des Erinin gegenüberlag, überquerte der Wind den Fluß und kam nach Andor. Beide Städte stöhnten unter der Backofenhitze, und falls in Aringill mehr Gebete um Regen ausgestoßen wurden, dann lag es an den Flüchtlingen aus Cairhien, die sich wie die Fische in der Transportkiste innerhalb der Stadtmauern zusammendrängten. Auch auf der anderen Seite des Flusses beteten sogar die um Maerone herum lagernden Soldaten, manchmal betrunken, manchmal fieberhaft, zum Schöpfer. Der Winter hätte normalerweise seine Fühler nach dem Land ausstrecken sollen, und der erste Schnee wäre in anderen Jahren längst vorüber gewesen, doch die Menschen, die nun statt dessen in der Gluthitze schwitzten, fürchteten vor allem den Grund, der an diesem chaotischen Wetter schuld sein mochte, wenn auch nur wenige wagten, diese Furcht in Worte zu kleiden.

Nach Westen wehte der Wind, spielte mit den von der Dürre geschrumpelten Blättern an den Bäumen und ließ kleine Wellen über die Oberflächen der wenigen Bäche laufen, die noch zwischen Rändern aus hartgebackenem Lehm dahinplätscherten. In Andor waren keine ausgebrannten Ruinen zu sehen, aber die Dorfbewohner blickten nervös zu der angeschwollenen Sonne auf, und die Bauern mieden den Blick auf Felder, die im Herbst keine Ernte hervorgebracht hatten. Nach Westen, bis der Wind über Caemlyn wehte und über dem Königlichen Palast im Herzen der von Ogiern erbauten Innenstadt zwei Flaggen zum Flattern brachte. Eine Flagge flatterte rot wie Blut, und eine von einer Schlangenlinie geteilte Scheibe, halb weiß und halb ebenso tiefschwarz wie das Weiß blendend, war darauf zu sehen. Die andere Flagge hob sich schneeweiß vom Himmel ab. Die Gestalt darauf, wie eine seltsame vierbeinige Schlange mit goldener Mähne, mit Augen wie die Sonne und roten und goldenen Schuppen, schien auf dem Wind zu reiten. Die Frage, welche von beiden Flaggen mehr Furcht ausloste, blieb wohl unentschieden. Manchmal regte sich in der gleichen Brust Hoffnung, in der andererseits ein Herz voll Angst schlug. Hoffnung auf Rettung und Furcht vor der Zerstörung, und beides entsprang der gleichen Quelle.

Viele behaupteten, Caemlyn sei die zweitschönste Stadt der Welt, und das waren nicht nur Andoraner. Bei denen kam es häufig sogar an erster Stelle, noch vor Tar Valon selbst. Hohe, runde Türme standen in Abständen innerhalb der großen, grauen Stadtmauer mit ihren silbern und weiß gemaserten Steinen, und im Innern erhoben sich noch höhere Türme. Weiße und goldene Kuppeln glänzten im Licht einer erbarmungslosen Sonne. Die Stadt erklomm mehrere Hügel auf dem Weg zu ihrem Herzen, der uralten Innenstadt, die von ihrer eigenen schimmernden Mauer umgeben war und die wiederum dem Himmel Türme und Kuppeln entgegenstreckte, purpurn und weiß und golden und mit glitzernden Mosaiken aus glasierten Ziegeln. So blickte sie auf die Neustadt hinab, die ein gutes Stück jünger als zweitausend Jahre war.

So, wie die Innenstadt das Herz Caemlyns darstellte, und nicht nur, weil sie im Zentrum lag, war der Königliche Palast das Herz der Innenstadt, ein märchenhaftes Gewirr von schneeweißen, schlanken Türmchen und goldenen Kuppeln und wie Spitzen durchbrochene Steinmetzarbeiten. Ein Herz, das im Schatten jener zwei Flaggen schlug.