Die schräg stehenden Augen des Mannes aus Saldaea blickten so gelassen drein, als sitze er gemütlich bei sich zu Hause. »Das würde meiner Frau nicht passen. Ihr paßt ihr auch nicht, davon abgesehen. Wahrscheinlich würde Deira einfach die Führung übernehmen und wieder nach Taim suchen. Sie hält nichts von meinem Versprechen, Euch zu folgen.«
Rand schüttelte leicht den Kopf. Sein Zorn war zum Teil durch die Gelassenheit des Mannes verraucht. Und durch seine Worte. Es hatte ihn überrascht, zu erfahren, daß unter den neuntausend Berittenen, die Bashere aus Saldaea mitgebracht hatte, alle Adligen ihre Frauen dabei hatten, genau wie die meisten der übrigen Offiziere. Rand begriff wohl nicht, wie ein Mann seine Frau so in Gefahr bringen konnte, aber in Saldaea war das Tradition. Es gab nur eine Ausnahme, und das waren Kriegszüge in die Große Fäule.
Er mied jeden Blick in Richtung der Töchter. Sie waren von Kopf bis Fuß Soldaten, aber sie waren eben auch Frauen. Und er hatte versprochen, sie nicht von Gefahren und selbst vom Tod fernzuhalten. Allerdings hatte er nicht versprochen, bei solchen Gedanken nicht innerlich zusammenzuzucken. Es zerriß ihn beinahe, doch er hielt seine Versprechen. Er tat, was sein mußte, obwohl er sich selbst deswegen haßte.
Seufzend warf er den Dolch beiseite. »Eure Frage?« sagte er in höflichem Ton. »Warum?«
»Weil Ihr seid, wer Ihr seid«, sagte Bashere schlicht. »Weil ihr — und auch diese Männer, die Ihr um Euch versammelt, denke ich — seid, was Ihr seid.« Rand hörte, wie sich hinter ihm die Andoraner nervös bewegten. Sie konnten ihr Entsetzen über seine Amnestie nie verbergen. »Das, was Ihr mit dem Dolch gemacht habt, könnt Ihr immer vollbringen«, fuhr Bashere fort, hob sein Bein von der Lehne, stellte den Fuß auf den Boden und beugte sich eindringlich vor. »Und jeder gedungene Mörder, der Euch ans Leben will, muß erst einmal an Euren Aiel vorbei. Und auch an meinen Reitern, was das betrifft. Pah! Falls trotzdem irgend etwas an Euch herankommt, kann es nicht menschlich sein.« Er spreizte die Hände und lehnte sich wieder zurück. »Also, wenn Ihr mit dem Schwert üben wollt, dann tut es ruhig. Ein Mann muß sich ausarbeiten und entspannen. Aber laßt Euch dabei nicht den Schädel spalten. Zuviel hängt von Euch ab, und ich sehe keine Aes Sedai in der Nähe, die Euch heilen könnte.« Sein Schnurrbart verbarg das plötzliche Grinsen fast. »Außerdem — wenn Ihr sterbt, glaube ich nicht, daß unsere andoranischen Freunde ihren warmherzigen Empfang für mich und meine Männer noch aufrechterhalten werden.«
Die Andoraner hatten die Schwerter weggesteckt, aber ihre Blicke ruhten haßerfüllt auf Bashere. Das hatte nichts damit zu tun, daß er Rand beinahe getötet hätte. Gewöhnlich zeigten sie in Basheres Gegenwart keine Gefühlsanwandlungen, obwohl er ja ein ausländischer General war, der mit einem ausländischen Heer auf dem Boden Andors stand. Der Wiedergeborene Drache wollte, daß sich Bashere hier befand, und dieser Haufen hätte selbst einen Myrddraal angelächelt, wäre es der Wunsch des Wiedergeborenen Drachen gewesen. Doch falls sich Rand gegen ihn stellen sollte... Dann wäre es nicht nötig, die wahren Gefühle zu verbergen. Sie waren Geier, die bereit gewesen waren, Morgase zu zerfleischen, bevor sie starb, und sie würden auch Bashere zerreißen, wenn sich die Gelegenheit ergab. Und Rand. Er konnte es kaum erwarten, sie endlich loszuwerden.
Der einzige Weg, zu leben, ist der Tod. Der Gedanke schlich sich plötzlich in seinen Kopf ein. Das hatte man ihm einst gesagt, und zwar auf eine Art, daß er daran glauben mußte, doch der Gedanke stammte nicht von ihm selbst. Ich muß sterben. Ich verdiene nichts anderes als den Tod. Er wandte sich von Bashere ab und preßte beide Hände an den Kopf.
Bashere war im Handumdrehen aus seinem Sessel und packte Rands Schulter, die allerdings für ihn einen Kopf zu hoch lag. »Was ist los? Hat dieser Schlag wirklich Eurem Kopf geschadet?«
»Mir geht es gut.« Rand nahm die Hände herunter. Er hatte keinen Schmerz dabei empfunden, nur den Schreck, die Gedanken eines anderen Mannes im Kopf zu haben. Bashere war nicht der einzige, der zusah. Die meisten der Töchter beobachteten ihn genauso aufmerksam wie den Hof, besonders Enaila und die blonde Somara, die größte unter ihnen. Diese beiden würden ihm wahrscheinlich irgendeinen Kräutertee bringen, sobald ihr Dienst beendet war, und dann würden sie bei ihm aufpassen, bis er ihn getrunken hatte. Elenia und Naean und die anderen Andoraner atmeten schwer, hatten die Hände in die Rocke und Jacken verkrampft und musterten Rand mit der offenen Angst von Menschen, die fürchteten, die ersten Anzeichen des Wahnsinns bei ihm zu bemerken. »Mir geht's gut«, versicherte er dem Hof. Nur die Töchter entspannten sich daraufhin, wenngleich das für Enaila und Somara nur bedingt gelten konnte.
Den Aiel war der ›Wiedergeborene Drache‹ gleich; für sie war Rand der Car'a'carn, von dem geweissagt worden war, daß er sie einen und dereinst vernichten werde. Sie nahmen das gelassen hin, obwohl auch sie sich natürlich Sorgen machten, und seinen Umgang mit der Macht und alles, was diese Fähigkeit mit sich brachte, nahmen sie genauso selbstverständlich hin. Die anderen — die Feuchtländer, dachte er mit trockenem Humor — nannten ihn den Wiedergeborenen Drachen und dachten überhaupt nicht darüber nach, was das wirklich bedeutete. Sie glaubten, er sei der wiedergeborene Lews Therin Telamon, der Drache, der das Loch im Gefängnis des Dunklen Königs versiegelt und den Schattenkrieg vor dreitausend Jahren oder mehr beendet hatte. Und er hatte auch das Zeitalter der Legenden beendet, als der letzte Gegenangriff des Dunklen Königs Saidin befleckt hatte, was dazu führte, daß jeder Mann, der die Macht lenkte, im Lauf der Zeit wahnsinnig wurde, beginnend bei Lews Therin selbst und seinen Hundert Gefährten. Sie nannten Rand den Wiedergeborenen Drachen und hatten keine Ahnung davon, daß ein kleiner Teil Lews Therin Telamons sich in seinem Kopf befand und immer noch so wahnsinnig war wie an dem Tag, an dem die Zeit des Wahns und die Zerstörung der Welt angebrochen war, genauso wahnsinnig wie alle diese männlichen Aes Sedai, die das Antlitz der Welt so verändert hatten, daß sie nicht mehr wiederzuerkennen war. Es hatte ganz langsam begonnen, doch je mehr Rand in bezug auf die Eine Macht lernte, je stärker er im Umgang mit Saidin wurde, desto stärker machte sich Lews Therin in ihm bemerkbar und desto härter mußte Rand darum kämpfen, sich nicht von den Gedanken eines toten Mannes beherrschen zu lassen. Das war einer der Gründe, warum er diese Schwertübungen so genoß: Die Abwesenheit aller Gedanken war wie eine Barriere, um sich zu schützen, um er selbst zu bleiben.
»Wir müssen eine Aes Sedai auftreiben«, knurrte Bashere. »Falls an diesen Gerüchten etwas dran ist... Das Licht soll mir die Augen ausbrennen, aber ich wünschte, wir hätten die eine niemals laufenlassen.«
Eine ganze Menge Menschen war aus Caemlyn geflohen in den Tagen, nachdem Rand und die Aiel die Stadt eingenommen hatten. Der Palast selbst war über Nacht plötzlich menschenleer. Es gab Leute, die Rand nur zu gern aufgespürt hätte, Menschen, die ihm einst geholfen hatten, aber sie waren alle verschwunden. Immer noch schlüpften manche heimlich fort. Eine, die in jenen ersten Tagen geflohen war, war eine junge Aes Sedai gewesen, jung genug jedenfalls, daß ihr Gesicht noch nicht die typische Alterslosigkeit der Aes Sedai aufwies. Basheres Männer hatten von ihr berichtet, als sie sie in einer Schenke aufspürten, doch als sie erfuhr, wer Rand war, lief sie schreiend davon. Sie schrie wirklich. Er erfuhr niemals ihren Namen oder ihre Ajah. Den Gerüchten zufolge befand sich noch eine andere in der Stadt, aber in Caemlyn kursierten mittlerweile Hunderte solcher Gerüchte, Tausende vielleicht, und jedes unwahrscheinlicher als das vorige. Es war gewiß unwahrscheinlich, daß eines davon sie zu einer Aes Sedai führte. Patrouillen der Aiel hatten mehrere gesichtet, die an Caemlyn vorbeizogen, und alle hatten es offensichtlich eilig, ihr Ziel zu erreichen. Keine hatte die Absicht gehabt, eine Stadt zu betreten, die vom Wiedergeborenen Drachen besetzt worden war.