»Könnte ich denn einer Aes Sedai trauen?« fragte Rand. »Es waren nur Kopfschmerzen. So hart ist mein Kopf nun auch wieder nicht, daß er nicht schmerzen würde, wenn einer draufhaut.«
Bashere schnaubte laut genug, daß sogar sein dichter Schnurrbart zitterte. »Wie hart Euer Schädel auch sein mag, früher oder später müßt Ihr Euch einer Aes Sedai anvertrauen. Ohne sie bringt Ihr nie alle Länder hinter Euch, ohne sie erobern zu müssen. Die Menschen suchen nach solchen Beispielen. Und wenn Ihr dem Hörensagen nach noch so viele der Prophezeiungen erfüllt, werden doch viele darauf warten, daß die Aes Sedai Euch ihren Stempel aufdrücken.«
»Ich werde den Kampf so oder so nicht meiden können, und das wißt Ihr auch«, sagte Rand. »Die Weißmäntel werden mich in Amadicia sicher nicht gerade willkommen heißen, selbst wenn Ailron zustimmt, und Sammael wird Illian auch nicht ohne Kampf aufgeben.« Sammael und Demandred undMoghedien und... Grob stieß er diesen Gedanken aus seinem Bewußtsein. Das war nicht leicht. Solche trüben Gedanken kamen ohne Vorwarnung, und es war nie leicht, mit den Zweifeln fertigzuwerden.
Ein dumpfer Schlag ließ ihn nach hinten blicken. Arymilla lag zusammengebrochen auf den Steinfliesen. Karind kniete neben ihr, zog ihr den Rock über die Knöchel herunter und massierte ihre Handgelenke. Elegar wankte, als wolle er im nächsten Moment Arymilla Gesellschaft leisten, und weder Nasin noch Elenia schienen sich in besserem Zustand zu befinden. Die meisten der übrigen sahen aus, als müßten sie sich gleich übergeben. Die Erwähnung der Verlorenen konnte eine solche Wirkung auslösen, vor allem, seit Rand ihnen gesagt hatte, daß Lord Gaebril in Wirklichkeit Rahvin gewesen sei. Er war nicht sicher, wieviel von alledem sie glaubten, doch auch nur diese Möglichkeit zu erwägen, ließ den meisten die Knie schlottern. Ihr Entsetzen war der Grund dafür daß sie noch am Leben waren. Hätte Rand den Eindruck gewonnen, sie hätten ihm freiwillig und bewußt gedient... Nein, dachte er. Hätten sie Bescheid gewußt, wären sie allesamt Schattenfreunde, dann würdest du sie trotzdem benützen. Manchmal war ihm sein eigenes Verhalten so zuwider, daß er fast den Tod herbeisehnte.
Zumindest aber sagte er die Wahrheit. Die Aes Sedai bemühten sich alle, geheimzuhalten, daß sich die Verlorenen in Freiheit befanden, weil sie fürchteten, das Wissen um diese Tatsache werde noch mehr Chaos und Panik auslösen. Rand dagegen bemühte sich, die Wahrheit zu verbreiten. Vielleicht würde sie die Menschen in Panik versetzen, doch sie hatten Zeit genug, darüber hinwegzukommen. Wenn es nach den Aes Sedai ginge, würden diese Erkenntnis und die darauf folgende Panik so spät eintreten, daß sie keine Zeit mehr hatten, sich davon zu erholen. Außerdem hatten die Menschen ein Recht darauf, zu erfahren, wem sie gegenüberstanden.
»Illian wird sich nicht lange halten«, sagte Bashere. Rands Kopf fuhr zu ihm herum, doch Bashere war ein viel zu erfahrener alter Hase, um zu sprechen, wo andere lauschen konnten. Er lenkte einfach das Gespräch von dem Thema der Verlorenen weg. Falls allerdings die Verlorenen oder sonst jemand Davram Bashere nervös machten, hatte Rand noch nichts davon bemerkt. »Illian wird aufplatzen wie eina Nuß unter dem Hammer.«
»Ihr habt mit Mat einen guten Plan ausgearbeitet.« Die zugrundeliegende Idee stammte von Rand, aber Mat und Bashere hatten die tausend Einzelheiten ausgearbeitet, die den Plan erst durchführbar machten. Mat hatte noch mehr beigetragen als Bashere.
»Ein interessanter junger Mann, dieser Mat Cauthon«, dachte Bashere laut nach. »Ich freue mich darauf, wieder mit ihm zu sprechen. Er hat niemals erwähnt, bei wem er studiert hat. Agelmar Jagad? Wie ich hörte, wart Ihr beide in Schienar.« Rand erwiderte nichts. Mats Geheimnisse gehörten nur ihm, und Rand war selbst nicht einmal sicher, was mit Mat wirklich geschehen war. Bashere hielt den Kopf ein wenig schief und kratzte sich mit einem Finger am Schnurrbart. »Er ist eigentlich zu jung, um überhaupt schon studiert zu haben. Nicht älter als Ihr selbst. Hat er irgendwo eine Bibliothek aufgestöbert? Ich hätte gern die Bücher gesehen, die er gelesen hat.«
»Da müßt Ihr ihn selbst fragen«, sagte Rand. »Ich weiß es nicht.« Er glaubte schon, daß Mat irgendwann und irgendwo einmal ein Buch gelesen hatte, im allgemeinen aber interessierte sich Mat nicht sehr für Bücher.
Bashere nickte bloß. Wenn Rand über etwas nicht sprechen wollte, bohrte Bashere für gewöhnlich nicht weiter. Für gewöhnlich. »Wenn Ihr das nächstemal nach Cairhien marschiert, warum bringt Ihr dann nicht diese Grüne Schwester mit, die sich dort aufhält? Egwene Sedai? Ich habe gehört, wie die Aiel sich über sie unterhielten. Sie sagen, sie stamme auch aus Eurem Heimatdorf. Ihr könnt Ihr doch vertrauen, oder?«
»Egwene hat andere Pflichten«, lachte Rand. Eine Grüne Schwester. Wenn Bashere wüßte...
Somara tauchte an Rands Seite auf. Sie hatte sein Leinenhemd und die Jacke über dem Arm, feiner roter Wollstoff, der im andoranischen Stil geschnitten war, mit Drachen an den langen Revers und Lorbeerblättern an Ärmeln und Aufschlägen. Sie war sogar für eine Aielfrau ausgesprochen groß; kaum eine Handbreit kleiner als er selbst. Wie die anderen Töchter hatte auch sie den Schleier wieder abgenommen, aber die graubraune Schufa verbarg noch immer den größten Teil ihres Gesichts. »Der Car'a'carn wird sich eine Erkältung holen«, murmelte sie.
Er bezweifelte das. Die Aiel fanden diese Hitze wohl nicht außergewöhnlich, aber mittlerweile strömte ihm von allein der Schweiß aus allen Poren, genau wie vorher beim Üben mit dem Schwert. Trotzdem zog er sich das Hemd über den Kopf und steckte es in die Hose, wenn er auch die Bändel nicht zuschnürte. Dann schlüpfte er in die Jacke. Er glaubte nicht, daß Somara tatsächlich versuchen würde, ihn anzuziehen wie ein kleines Kind, jedenfalls nicht vor den anderen, aber so vermied er wenigstens die üblichen Predigten von ihr und Enaila und wahrscheinlich noch ein paar anderen. Außerdem würden sie ihn so nicht wieder mit Kräutertee traktieren.
Für die meisten Aiel war er der Car'a'carn, also auch für die Töchter. In der Öffentlichkeit jedenfalls. Wenn er jedoch mit diesen Frauen allein war, die Ehe und Herd aufgegeben hatten, um für den Speer zu leben, wurde die Sache etwas kompliziert Er dachte schon, daß er diesen Zustand beenden könne — möglicherweise —, aber er war es ihnen schuldig, all das Bemuttern zu ertragen. Schließlich waren einige bereits für ihn gestorben, und weitere würden für ihn sterben. Dieses Recht hatte er ihnen zugestanden, möge das Licht ihn dafür verbrennen! Wenn er sie also um seinetwillen sterben ließ, mußte er sich wohl oder übel auch von ihnen bemuttern lassen. Sein frisches Hemd war im Nu schweißnaß, und an der Jacke zeigten sich schon dunkle Flecken.
»Ihr braucht die Aes Sedai, al'Thor.« Rand hoffte, daß Bashere wenigstens halb so hartnäckig sei, wenn es zum Kampf käme. Dieser Ruf hing ihm jedenfalls an, aber er kannte eben nur den Ruf und das, was er in diesen wenigen Wochen beobachtet hatte. »Ihr könnt Euch nicht leisten, sie zum Gegner zu haben, und wenn sie nicht wenigstens glauben, Euch in gewissem Maße steuern zu können, kann es leicht dazu kommen. Die Aes Sedai sind schwer zu durchschauen; niemand weiß, was sie tun werden und warum.«
»Was ist, wenn ich Euch sage, daß Hunderte von Aes Sedai bereit sind, mich zu unterstützen?« Rand war sich der lauschenden Andoraner bewußt; er mußte vorsichtig sein und durfte nicht zuviel sagen. Nicht, daß er selbst viel wußte. Was ihm bekannt war, konnte auch auf Übertreibung und bloßer Hoffnung beruhen. Er bezweifelte auf jeden Fall die ›hunderte‹, was Egwene auch andeuten mochte.