Zu diesem Zeitpunkt überraschte es Rand überhaupt nicht mehr, Perrin heranstolpern zu sehen, Gesicht und Bart blutverschmiert, gefolgt von einem humpelnden Loial mit einer riesigen Streitaxt und einem helläugigen Burschen, der in seinem rot gestreiften Umhang wie ein Kesselflicker wirkte, nur daß er ein Schwert trug, dessen Klinge von einem Ende zum anderen dunkelrot verfärbt war. Rand hätte sich fast umgeschaut, um nachzusehen, ob Mat auch irgendwo dort war. Er sah auch Dobraine, zu Fuß und mit einem Schwert in der einen und Rands Banner in der anderen Hand.
Nandera schloß sich Perrin an und ließ ihren Schleier sinken, sowie eine weitere Tochter des Speers, die Rand zunächst fast nicht erkannt hätte. Es war gut, Sulin wieder im Cadin'sor zu sehen.
»Rand«, keuchte Perrin, »dem Licht sei Dank, daß du noch lebst. Wir hatten gehofft, daß du uns ein Wegetor zur Flucht erschaffst, aber alles geriet durcheinander. Rhuarc und die meisten der Aiel sind noch immer draußen unter den Shaido und die Mehrzahl der Mayener und Cairhiener ebenso, und ich weiß nicht, was mit den Leuten von den Zwei Flüssen geschehen ist oder mit den Weisen Frauen. Die Aes Sedai sollten bei ihnen bleiben, aber...« Er stellte seine Streitaxt auf den Boden und lehnte sich keuchend auf den Stiel. Er wirkte, als würde er ohne diese Stütze umfallen.
Berittene Männer erschienen entlang der Barriere sowie Aielmänner mit roten Stirnbändern und Töchter des Speers mit roten Stoffbändern um die Arme. Die Barriere hielt auch sie außerhalb. Wo auch immer sie auftauchten, schwärmten Shaido auf sie ein und umzingelten sie.
»Laß die Kuppel fahren«, befahl Rand. Perrin seufzte vor Erleichterung. Hatte er geglaubt, Rand würde sein eigenes Volk niedermetzeln lassen? Aber auch Loial seufzte. Licht, was dachten sie von ihm? Min begann ihm den Rücken zu reiben und murmelte leise, um ihn zu beruhigen. Aus irgendeinem Grund sah Perrin sie überrascht an.
Taim war vielleicht auch überrascht, aber er war sicherlich nicht erleichtert. »Mein Lord Drache«, sagte er mit angespannter Stimme, »dort draußen sind noch immer mehrere hundert Shaido-Frauen, von denen einige nicht unwichtig sind. Ganz zu schweigen von einigen Tausend Shaido mit Speeren. Falls Ihr nicht herausfinden wollt, ob Ihr unsterblich seid, schlage ich vor, einige Stunden abzuwarten, bis wir diesen Ort gut genug kennen, um Wegetore zu erschaffen, von denen wir mit einiger Sicherheit wissen, wo sie hinführen werden. Es gab im Kampf Verluste. Ich habe heute mehrere Soldaten verloren, neun Männer, die schwerer zu ersetzen sein werden als jegliche Anzahl abtrünniger Aiel. Wer auch immer dort draußen stirbt, stirbt für den Wiedergeborenen Drachen.« Hätte er auch nur ein wenig auf Nandera und Sulin geachtet, hätte er seinen Ton vielleicht gemäßigt und seine Worte sorgfältiger gewählt. Sie verständigten sich in der Zeichensprache. Sie schienen bereit, ihn auf der Stelle anzugreifen.
Perrin richtete sich auf, die gelben Augen gleichzeitig entschlossen und ängstlich auf Rand gerichtet. »Rand, selbst wenn Dannil und die Weisen Frauen dort zurückgeblieben sind, wo sie bleiben sollten, werden sie nicht gehen, solange sie dies sehen.« Er deutete auf die Kuppel über ihnen, auf die Feuer und Blitze einen beständigen Lichtteppich legten. »Wenn wir stundenlang hier bleiben, werden sich die Shaido früher oder später gegen sie wenden, wenn sie es nicht bereits getan haben. Licht, Rand! Dannil und Ban und Wil und Teil... Auch Amys ist dort draußen und Sorilea und... Verdammt seist du, Rand, es sind bereits mehr gestorben, als du weißt!« Perrin atmete tief durch. »Laß zumindest mich hinaus. Wenn ich zu ihnen durchkomme, kann ich sie wissen lassen, daß du lebst, und sie werden sich zurückziehen, bevor sie getötet werden.«
»Zwei von uns werden hinausgehen«, bemerkte Loial ruhig und hob die riesige Streitaxt. »Zwei haben eine bessere Chance.« Der Kesselflicker lächelte nur, aber fast eifrig.
»Ich werde eine Stelle in der Barriere öffnen lassen«, begann Taim, aber Rand unterbrach ihn scharf.
»Nein!« Nicht für die Leute von den Zwei Flüssen. Er durfte nicht den Eindruck erwecken, er würde sich um sie mehr sorgen als um die Weisen Frauen. Vielmehr mußte er den Eindruck erwecken, als würde er sich um sie weniger sorgen. Amys war dort draußen? Die Weisen Frauen nahmen niemals am Kampf teil. Sie schritten unberührt durch Kämpfe und Blutfehden. Sie hatten den Brauch, wenn nicht ein Gesetz gebrochen, um ihn zu retten. Er würde Perrin genauso wenig in diesen Mahlstrom zurückkehren lassen, wie er sie im Stich lassen würde. Aber es durfte nicht für die Weisen Frauen oder die Leute von den Zwei Flüssen sein. »Sevanna will meinen Kopf, Taim. Sie dachte offensichtlich, ihn mir heute nehmen zu können.« Das Nichts verlieh seiner Stimme einen ausdruckslosen Tonfall. Aber er schien Min besorgt zu machen. Sie streichelte seinen Rücken, als wollte sie ihn beruhigen. »Ich beabsichtige, sie ihren Irrtum erkennen zu lassen. Ich befahl Euch, Waffen zu gestalten, Taim. Zeigt mir jetzt, wie tödlich sie sind. Zerstreut die Shaido. Vernichtet sie.«
»Wie Ihr befehlt.« Hatte Taim schon zuvor steif gewirkt, so schien er jetzt versteinert.
»Hißt Eure Standarte, wo sie sie sehen können«, befahl Rand. Das würde zumindest jedermann dort draußen zeigen, wer das Lager hielt. Vielleicht würden sich die Weisen Frauen und die Leute von den Zwei Flüssen zurückziehen, wenn sie es sahen.
Loials Ohren drehten sich unbehaglich, und Perrin ergriff Rands Arm, als Taim davonging. »Ich habe gesehen, was sie tun, Rand. Es ist...« Er klang trotz seines blutverschmierten Gesichts und seiner blutigen Streitaxt angewidert.
»Was willst du von mir?« fragte Rand. »Was kann ich denn anderes tun?«
Perrin senkte seine Hand und seufzte. »Ich weiß es nicht. Aber es muß mir trotzdem nicht gefallen.«
»Grady, hißt das Banner des Lichts!« rief Taim, und die Macht ließ seine Stimme dröhnen. Jur Grady hob das karmesinrote Banner auf Strängen aus Luft aus den Händen eines überraschten Dobraine an und ließ es durch die Öffnung in der Kuppel aufsteigen. Feuer loderte um es herum auf, und Blitze zuckten, während sich strahlendes Rot mitten in dem Rauch erhob, der von den brennenden Wagen aufstieg. Rand erkannte einige der schwarzgewandeten Männer, aber er wußte außer Jurs nur wenige Namen. Damer und Fedwin und Eben, Jahar und Torvil. Von jenen trug nur Torvil den Drachen am Kragen.
»Asha'man, bildet eine Kampflinie!« dröhnte Taim.
Schwarzgewandete Männer eilten herbei, um sich zwischen die Barriere und alle anderen zu stellen, alle außer Jur und jenen, welche die Aes Sedai bewachten. Außer Nesune, die alles aufmerksam verfolgte, waren die Aes Sedai der Burg teilnahmslos auf die Knie gesunken und sahen die Männer nicht einmal an, die sie abschirmten, und sogar Nesune wankte, als würde sie jeden Moment aufgeben. Die meisten der Gruppe aus Salidar sahen die sie bewachenden Asha'man kalt an, obwohl sie ihre eisigen Blicke auch hin und wieder Rand zuwandten. Alanna fixierte Rand, der merkte, daß seine Haut leicht kribbelte. Da er es auf diese Entfernung spüren konnte, mußten alle neun Saidar umarmen. Er hoffte, sie besäßen genug Verstand, die Macht nicht zu lenken. Die versteinerten Männer, die ihnen gegenüberstanden, waren bis zum Bersten von Saidin erfüllt, und sie wirkten genauso angespannt wie die ihre Schwerter umklammernden Behüter.
»Asha'man, hebt die Barriere zwei Spann an!« Auf Taims Befehl hin hoben sich die Ränder der Kuppel ringsum an. Überraschte Shaido, die gegen das Unsichtbare angegangen waren, stolperten vorwärts. Sie erholten sich sofort wieder von ihrer Verblüffung, eine schwarz verschleierte, vorwärtsstürmende Masse, aber sie konnten vor Taims nächstem Ruf nur noch einen Schritt tun. »Asha'man, tötet!«