Basheres Augen verengten sich. »Falls eine Abordnung von der Burg eingetroffen wäre, wüßte ich es, also...« Seine Stimme wurde leise, und er flüsterte: »Die Spaltung? Hat sich die Burg wirklich gespalten?« Es klang, als könne er die eigenen Worte kaum glauben. Jedermann wußte, daß man Siuan Sanche vom Amyrlin-Sitz gestoßen und einer Dämpfung unterzogen hatte. Den Gerüchten nach war sie hingerichtet worden. Doch eine Spaltung in der Burg war für die meisten Menschen bloße Mutmaßung, und nur wenige glaubten tatsächlich daran. Nichts hatte der weißen Burg bisher etwas anhaben können. Dreitausend Jahre lang hatte sie wie ein Monolith über den gekrönten Häuptern gethront. Aber der Mann aus Saldaea gehörte zu jenen, die für alle Möglichkeiten ein offenes Ohr hatten. Er fuhr im Flüsterton fort und trat näher an Rand heran, damit die Andoraner auch wirklich nichts verstehen konnten: »Das müssen dann die Rebellen sein, die bereit sind, Euch zu unterstützen. Mit ihnen könnt Ihr durchaus bessere Bedingungen aushandeln, denn sie brauchen Euch, genau wie Ihr sie braucht, vielleicht sogar noch mehr. Doch Rebellen, auch wenn sie Aes Sedai sind, haben politisch nicht das Gewicht der Weißen Burg, vor allem, was die Kronen betrifft. Gewöhnliche Menschen sehen da vielleicht keinen Unterschied, aber Könige und Königinnen schon.«
»Sie sind trotzdem Aes Sedai«, sagte Rand genauso leise, »wer auch immer dahinter stecken mag.« Und was auch immer sie sein mögen, dachte er sarkastisch. Aes Sedai... Diener des Ganzen ... der Saal der Diener ist zerschmettert... für immer zerbrochen ... zerbrochen ... llyena, meine Liebste... Gewaltsam unterdrückte er Lews Therins Gedanken. Manchmal waren sie ihm ja auch eine echte Hilfe und versorgten ihn mit Informationen, die er benötigte, aber sie wurden so überwältigend stark. Falls er wirklich eine Aes Sedai hier hätte — eine Gelbe, denn die verstanden am meisten vom Heilen —könnte sie vielleicht... Es hatte eine Aes Sedai gegeben, der er vertraute, wenn auch erst kurz vor ihrem Tod, und Moiraine hatte ihm noch einen Rat in bezug auf die Aes Sedai gegeben, in bezug auf jede andere Frau, die Stola und Ring trug. »Ich werde niemals einer Aes Sedai vertrauen«, krächzte er ganz leise. »Ich werde sie benutzen, weil ich sie brauche, aber ob Burg oder Rebellen, so weiß ich doch genau, daß sie versuchen werden, mich zu benutzen, weil das eben ihre Art ist. Ich werde ihnen niemals trauen, Bashere.«
Der Mann aus Saldaea nickte bedächtig. »Dann benutzt sie, wenn Ihr könnt. Aber bedenkt eines: Niemand widersteht ihnen lange. Irgendwann geht jeder den Weg, den die Aes Sedai vorschreiben.« Plötzlich lachte er kurz auf. »Artur Falkenflügel war der letzte, soweit ich weiß. Das Licht senge meine Augen, aber vielleicht seid Ihr der zweite.«
Das Schaben von Stiefelsohlen kündete von einem Neuankömmling im Hof. Es war einer von Basheres Männern, ein breitschultriger junger Kerl mit einem spitzen Nasenrücken, einen Kopf größer als sein General, und mit einem prachtvollen schwarzen Vollbart unter dem gezwirbelten Schnurrbart. Sein Gang ließ darauf schließen, daß er eher daran gewöhnt war, einen Sattel unter sich zu haben als die eigenen Beine, aber er schob geschmeidig sein Schwert zur Seite, als er sich verbeugte. Die Verbeugung galt eher Bashere als Rand. Bashere mochte ja dem Wiedergeborenen Drachen folgen, aber Tumad, so hieß er wohl, Tumad Ahzkan, war Basheres Gefolgsmann. Enaila und drei weitere Töchter beobachteten den Mann sehr aufmerksam, denn sie mißtrauten jedem Feuchtländer, der in die Nähe ihres Car'a'carn kam.
»Da ist ein Mann am Tor, der herein will«, sagte Tumad leicht verunsichert. »Er sagt... Es ist Mazrim Taim, mein Lord Bashere.«
2
Der Neuankömmling
Mazrim Taim. Vor Rand hatten in den vergangenen Jahrhunderten schon andere Männer behauptet, der Wiedergeborene Drache zu sein. In den letzten paar Jahren vor Rand hatte es sogar eine ganze Schwemme von falschen Drachen gegeben. Manche von ihnen konnten tatsächlich die Macht lenken. Mazrim Taim war einer davon. Er hatte ein Heer um sich gesammelt und Saldaea mit Krieg überzogen, bevor er gefangengenommen wurde. Basheres Miene verzog sich nicht, doch er packte das Heft seines Schwertes so fest, daß seine Knöchel weiß hervortraten. Turnad blickte ihn an und wartete auf Befehle. Taims Flucht auf dem Weg nach Tar Valon, wo er einer Dämpfung unterzogen werden sollte, war der Grund, warum Bashere überhaupt nach Andor gekommen war. So sehr fürchtete und haßte Saldaea Mazrim Taim. Königin Tenobia hatte Bashere mit einem Heer ausgesandt, Taim zu verfolgen, wohin sich der Mann auch wandte, wie lange es auch dauern mochte, um sicherzugehen, daß Taim Saldaea nie wieder unsicher machen könne.
Die Töchter standen gelassen da, doch unter den Andoranern entfachte dieser Name eine Unruhe, als habe man eine Fackel auf dürres Gras geworfen. Amyrilla zogen sie gerade wieder auf die Beine, doch nun kippten ihre Pupillen schon wieder nach oben und sie wäre erneut zusammengebrochen, hätte nicht Karind sie aufgefangen und langsam auf die Fliesen hinabgleiten lassen. Elegar taumelte rückwärts unter die Arkaden und krümmte sich würgend zusammen. Die anderen keuchten, preßten sich Taschentücher vor den Mund, packten die Hefte ihrer Schwerter und befanden sich offensichtlich in einem Zustand der Panik. Selbst die standhafte Karind leckte sich nervös die Lippen.
Rand nahm die Hand von seiner Jackentasche. »Die Amnestie«, sagte er, und die beiden Männer aus Saldaea warfen ihm einen langen, ausdruckslosen Blick zu.
»Und was ist, wenn er nicht Eurer Amnestie wegen gekommen ist?« fragte Bashere nach kurzer Pause. »Wenn er immer noch behauptet, der Wiedergeborene Drache zu sein?« Die Andoraner bewegten sich unruhig. Niemand wollte sich innerhalb einiger Meilen Umkreis um einen Ort befinden, an dem die Eine Macht in einem Duell verwendet wurde.
»Falls er das glaubt«, erwiderte Rand energisch, »werde ich ihn eines Besseren belehren.« Er hatte einen Angreal der seltensten Art in der Tasche, einen, der für Männer geschaffen war: die Statue eines kleinen, fetten Mannes mit einem Schwert. So stark Taim auch sein mochte, dem hatte er doch nichts entgegenzusetzen. »Aber wenn er der Amnestie wegen gekommen ist, dann ist er frei, so wie jeder andere Mann.« Was Taim auch in Saldaea angerichtet haben mochte — er konnte sich nicht leisten, einen Mann abzuweisen, der die Macht lenken konnte und dem man nicht erst alles vom ersten Schritt an beibringen mußte. Einen solchen Mann brauchte er dringend. Er würde niemanden abweisen, bis auf einen der Verlorenen natürlich, wenn es nicht absolut notwendig war.
Demandred und Sammael, Semirhage und Mesaana und... Rand verdrängte Lews Therins Gedanken. Jetzt konnte er sich keine Ablenkung leisten.
Wieder legte Bashere eine Pause ein, bis er weitersprach, doch schließlich nickte er und ließ sein Schwert los. »Eure Amnestie gilt natürlich. Aber merkt Euch, al'Thor: Wenn Taim jemals wieder seinen Fuß auf den Boden Saldaeas setzt, wird er das nicht überleben. Es gibt zu vieles, das man nicht mehr vergessen kann. Nicht einmal ein Befehl von mir oder von Tenobia selbst wird ihm dieses Schicksal ersparen.«
»Ich werde ihn aus Saldaea heraushalten.« Entweder war Taim hergekommen, um sich ihm zu unterwerfen, oder es würde notwendig sein den Mann zu töten. Unbewußt faßte Rands Hand nach seiner Tasche und drückte durch den Stoff hindurch den fetten kleinen Mann. »Holt ihn herein.«
Tumad sah Bashere an, doch dessen Nicken kam so schnell, daß es wirken mußte, als habe sich Tumad auf den von Rand ausgesprochenen Befehl hin verbeugt. Rand war gereizt, sagte aber nichts, und Tumad eilte mit seinem leicht schaukelnden Gang davon. Bashere verschränkte die Arme vor der Brust und stand da, ein Knie leicht gebeugt, ganz das Bild eines entspannten Mannes. Doch diese dunklen, schrägstehenden Augen, die auf den Fleck gerichtet waren, an dem Tumad den Hof verlassen hatte, ließen darauf schließen, daß er nur darauf warte, etwas töten zu können.