Er ging mit schnellen Schritten zur nächsten Arkade hinüber und sagte nach hinten zu Bashere gewandt: »Ich nehme Taim mit zu diesem Bauernhof. Wollt Ihr auch mitkommen?«
»Zu dem Bauernhof?« fragte Taim.
Bashere schüttelte den Kopf. »Nein, danke«, sagte er trocken. Er zeigte wohl gewöhnlich keine Nerven, doch Rand und Taim zusammen waren wahrscheinlich mehr, als er verkraften konnte. Diesen Bauernhof wollte er auf jeden Fall meiden. »Meine Männer, die für Euch die Straßen überwachen, lassen langsam in der Aufmerksamkeit nach. Ich habe vor, einige von ihnen zusammenzustauchen und sie wieder einmal ein paar Stunden lang richtig im Sattel sitzen zu sehen. Ihr wolltet sie heute Nachmittag inspizieren. Hat sich daran etwas geändert?«
»Welchen Bauernhof?« fragte Taim.
Rand seufzte. Mit einemmal fühlte er sich sehr müde. »Nein, das hat sich nicht geändert. Ich werde kommen, wenn ich kann.« Es war zu wichtig, um den Befehl wieder aufzuheben, wenn auch nur Bashere und Mat Bescheid wußten, warum. Sonst durfte niemand auf die Idee kommen, es handle sich um mehr als eine nebensächliche Angelegenheit, eine nutzlose Zeremonie zu Ehren eines Mannes, der Gefallen an dem Pomp zu finden schien, der sich mit seinem Rang verband. Der Wiedergeborene Drache ging aus, um sich von seinen Soldaten bejubeln zu lassen. Und noch einen Besuch mußte er heute machen, und die anderen sollten glauben, er wolle ihn geheimhalten. Die meisten würden auch nichts davon bemerken, aber er zweifelte nicht daran, daß diejenigen, die sich für solche Aktivitäten interessierten, davon erfahren würden.
Er nahm sein Schwert, das er an eine der dünnen Säulen gelehnt hatte, und schnallte es über die geöffnete Jacke. Der Gürtel war aus schmucklosem, dunklem Wildschweinleder gefertigt, und auch die Scheide und das lange Heft wiesen keine Verzierungen auf. Die Gürtelschnalle dagegen war ein kleines Kunstwerk, ein fein gearbeiteter Drache, in den Stahl eingeätzt und mit Gold belegt. Er sollte diese Schnalle eigentlich loswerden und eine einfachere anlegen. Doch das brachte er auch wieder nicht fertig, denn sie war ein Geschenk Aviendhas gewesen. Genaugenommen war dies der Grund, warum er sie loswerden sollte. Er kam einfach aus diesem gedanklichen Teufelskreis nicht heraus.
Noch etwas wartete an dieser Stelle auf ihn: ein zwei Fuß langes Stück Speer mit einer grün weißen Troddel gleich unter der scharfen Spitze. Er packte ihn, als er sich wieder dem Hof zuwandte. Eine der Töchter hatte Drachen in den kurzen Schaft geschnitzt. Einige Leute bezeichneten ihn bereits als das Szepter des Drachen, vor allem Elenia und dieser Haufen Adlige. Rand behielt das Ding immer bei sich, um sich selbst daran zu erinnern, daß er mehr Feinde besaß als nur die jetzt sichtbaren.
»Von welchem Bauernhof sprecht Ihr?« Taims Stimme klang jetzt härter. »Wohin wollt Ihr mich mitnehmen?«
Einen langen Augenblick musterte Rand den Mann. Taim war ihm nicht sympathisch. Etwas am Verhalten des Burschen hinderte ihn daran, Sympathie zu empfinden. Vielleicht lag es auch an ihm selbst. So lange Zeit über war er der einzige Mann gewesen, der auch nur daran denken konnte, die Macht zu benützen, ohne sich vor Angst schwitzend nach Aes Sedai umblicken zu müssen. Nun, wenigstens schien es eine lange Zeit gewesen zu sein, und zumindest würden die Aes Sedai nicht versuchen, ihn einer Dämpfung zu unterziehen; jetzt nicht mehr, da sie wußten, wer er war. War es wirklich so einfach? Eifersucht, daß er nicht mehr einzigartig war? Er glaubte das eigentlich nicht. Von allem anderen abgesehen, war er ja froh über jeden Mann, der mit der Macht umgehen konnte und trotzdem immer noch unbehelligt auf der Welt wandelte. Endlich war er nicht mehr der ewige Außenseiter. Nein, so konnte er das auch wieder nicht sehen, solange Tarmon Gai'don drohte. Er war einmalig; er war der Wiedergeborene Drache. Welche Gründe auch immer dahinterstanden: Er mochte den Mann einfach nicht.
Töte ihn! kreischte Lews Hierin. Töte sie alle! Rand unterdrückte die Stimme. Ihm mußte Taim ja nicht sympathisch sein; er mußte ihn nur benützen. Das war das Schwierige daran.
»Ich nehme Euch dorthin mit, wo Ihr mir dienen könnt«, sagte er kalt. Taim zuckte nicht zusammen und machte nicht einmal eine böse Miene. Nur seine Mundwinkel zuckten wieder einen Moment lang in einem Anflug dieses Beinahe-Lächelns.
3
Die Augen einer Frau
Rand unterdrückte seine Gereiztheit und Lews Therins Gemurmel im Hintergrund seines Hirns, griff nach Saidin, warf sich in den vertrauten Kampf um die Herrschaft über die Macht und sein Überleben inmitten der Leere. Das süße Verderben durchströmte ihn, während er die Machtstränge zu verweben begann; sogar im Nichts spürte er, wie es bis in seine Knochen einsickerte, vielleicht auch in seine Seele. Er fand keine Worte, um zu beschreiben, was er machte. Am nächsten kam noch die Erklärung, er falte das Muster und öffne dann ein Loch durch diese Falte. Er hatte das von allein gelernt, und sein Lehrer war ohnehin meist kaum in der Lage gewesen, ihm zu erklären, was hinter den Dingen stand, die er ihm beibrachte. Eine strahlende, senkrechte Linie erschien in der Luft und erweiterte sich schnell zu einer Öffnung, so groß wie eine größere Tür. Während dieses Vorganges schien es sich zu drehen. Der Anblick auf der anderen Seite, eine sonnenbeschienene Lichtung unter von der Dürre ausgelaugten Bäumen, drehte sich mit und stand schließlich still.
Enaila und zwei weitere Töchter hoben ihre Schleier an und sprangen hindurch, kaum daß alles stillstand. Ein halbes Dutzend andere folgten; manche davon hatten bereits Pfeile bei ihren Hornbögen aufgelegt. Rand erwartete nicht, daß sich drüben etwas befand, wogegen man ihn beschützen müsse. Er hatte das andere Ende — falls man das überhaupt als ein anderes Ende bezeichnen konnte; er verstand es wohl nicht, aber eigentlich schien es nur ein Ende zu geben — in die Lichtung verlegt weil es immer gefährlich war, wenn sich ein Tor in unmittelbarer Nähe von Menschen öffnete, aber den Töchtern oder überhaupt den Aiel klarmachen zu wollen, daß keine Notwendigkeit für eine solche Wachsamkeit bestand, war, als wolle man einem Fisch beibringen, daß es nicht notwendig sei, zu schwimmen.
»Das ist ein Tor«, sagte er zu Taim. »Ich werde Euch zeigen, wie man eines webt, falls Ihr es jetzt noch nicht mitbekommen habt.« Der Mann starrte ihn mit großen Augen an. Hätte er genau zugeschaut, dann hätte er auch Rands Gewebe von Saidin erkennen können; jeder Mann, der mit der Macht umzugehen imstande war, konnte das.
Taim schloß sich ihm an, als er hindurch und auf die Lichtung hinausschritt. Sulin und die anderen Töchter folgten ihnen. Ein paar warfen dem Schwert an Rands Seite einen verächtlichen Blick zu, als sie an ihm vorbeischritten, und sie gaben sich gegenseitig lautlos Zeichen in der Fingersprache der Töchter. Zweifelsohne verabscheuten sie die Waffe. Enaila und die Vorhut schwärmten bereits unter den dürren Bäumen aus. Ihre Jacken und Hosen, der Cadin'sor, ließen sie mit den Schatten verschmelzen, ob sie nun Grün dem Grau und Braun hinzugefügt hatten oder nicht. Mit Hilfe der Macht, die ihn erfüllte, sah er jede abgestorbene Nadel an jeder einzelnen Kiefer. Es gab mehr abgestorbene als grüne. Er roch den sauren Saft der Lederblattbäume. Die Luft selbst roch nach Hitze, war trocken und voller Staub. Hier gab es keine Gefahr für ihn.
»Warte, Rand al'Thor«, erklang der eindringliche Ruf einer Frauenstimme von der anderen Seite des Tores her. Aviendhas Stimme.
Rand ließ das Gewebe und Saidin fallen, und augenblicklich verschwand das Tor, als habe es nie existiert. Es gab Gefahren der einen oder der anderen Art. Taim blickte ihn neugierig an. Einige der Töchter, ob verschleiert oder nicht, nahmen sich die Zeit, ihm auch einen gewissen Blick zuzuwerfen. Mißbilligende Blicke waren es. Finger zuckten hin und her in der Zeichensprache der Töchter. Sie waren aber vernünftig genug, den Mund zu halten. Da hatte er sich ganz energisch durchgesetzt.