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Rand mißachtete sowohl Neugier wie Mißbilligung und schritt mit Taim an der Seite durch den Wald. Abgestorbene Blätter und kleine Äste raschelten und knackten unter ihren Stiefeln. Die Töchter, die sich in einem weiten Kreis um sie herum mitbewegten, machten mit ihren weichen, bis zu den Knien hochgeschnürten Stiefeln kein Geräusch. Ihre Mißbilligung verschwand hinter ihrer Wachsamkeit. Ein paar waren vorher schon mit Rand den gleichen Weg gegangen, immer ohne Zwischenfall, aber nichts konnte sie überzeugen, daß dieser Wald nicht doch ein guter Ort für einen Hinterhalt sei. Vor Rands Ankunft hatte das Leben in der Wüste aus dreitausend Jahren von Überfällen, Scharmützeln, Fehden und Kleinkriegen bestanden, die sich fast ohne Unterbrechung fortsetzten.

Es gab bestimmt Dinge, die er von Taim lernen konnte, wenn auch nicht annähernd so viele, wie Taim glaubte, aber der Lernprozeß würde beide Seiten betreffen, und es wurde Zeit für ihn, dem Älteren etwas beizubringen. »Früher oder später werdet Ihr auf die Verlorenen treffen, die mich verfolgen. Vielleicht noch vor der Letzten Schlacht. Wahrscheinlich vorher. Ihr scheint nicht überrascht?«

»Ich habe Gerüchte vernommen. Sie mußten ja schließlich freikommen, das war klar.«

Also breiteten sich die Nachrichten aus. Rand grinste unwillkürlich. Den Aes Sedai würde das nicht gefallen. Von allem anderen abgesehen, empfand er doch ein gewisses Vergnügen dabei, sie in die Nase zu zwicken. »Ihr müßt zu jeder Zeit auf alles gefaßt sein. Trollocs, Myrddraal, Draghkar, Graue Männer, Gholam...«

Er zögerte und strich mit der den Reiher tragenden Handfläche über das lange Heft seines Schwerts. Er hatte keine Ahnung, was ein Gholam war. Lews Therin hatte sich wohl nicht gerührt, aber ihm war klar, daß er die Quelle dieser Bezeichnung war. Bruchstücke solcher Informationen sickerten manchmal durch die dünne Barriere zwischen ihm und dieser Stimme und wurden zu einem Teil von Rands eigenen Erinnerungen, gewöhnlich ohne jeden Hinweis auf eine Erklärung. In letzter Zeit geschah das immer öfter. Gegen solche Bruchstücke von Erinnerungen konnte er sich nicht zur Wehr setzen, wie etwa gegen die Stimme des Mannes. Das Zögern dauerte nur einen Moment lang.

»Und nicht nur im Norden in der Nähe der Fäule. Hier und überall. Sie benutzen die Kurzen Wege.« Das war auch etwas, mit dem er sich auseinandersetzen mußte. Ursprünglich mit Hilfe Saidins geschaffen, waren die Wege nun zu etwas Dunklem geworden, genauso befleckt wie Saidin selbst. Die Schattenwesen konnten jene Gefahren, die innerhalb der Wege die Menschen töteten und noch Schlimmeres mit ihnen anstellten, auch nicht meiden, doch sie brachten es immerhin fertig, sie trotzdem zu benutzen, und wenn man auf diese Art auch nicht so schnell vorwärtskam wie durch die Tore beim Schnellen Reisen und nicht einmal so schnell wie beim Wegegleiten, so konnten sie doch noch an einem Tag mehrere hundert Meilen zurücklegen. Ein Problem, das er noch zurückstellen mußte. Zu viele Probleme, die er erst später in Angriff nehmen konnte. Es gab ja schon jetzt viel zu viele Probleme. Gereizt schlug er mit dem Drachenzepter nach dem Laub eines Lederblattbaums. Fetzen von breiten, zähen Blättern, die sich in der Dürre braun verfärbt hatten, fielen zu Boden. »Alles, was Ihr jemals in irgendwelchen Sagen gehört habt, solltet Ihr auch in Wirklichkeit erwarten. Sogar Schattenhunde. Falls die aber wirklich ein Teil der Wilden Jagd sind, ist wenigstens der Dunkle König, der hinter dieser Meute herreiten sollte, noch nicht frei. Sie sind auch so schlimm genug. Manche kann man auf genau die Art töten, wie es in den Sagen berichtet wird, aber andere wieder kann nichts außer vielleicht Baalsfeuer umbringen, jedenfalls soweit ich festgestellt habe. Kennt Ihr Baalsfeuer? Falls nicht, gehört es zu jenen Dingen, in denen ich Euch nicht unterrichten werde. Solltet Ihr es jedoch beherrschen, dann verwendet es für nichts anderes als gegen Schattenwesen. Und bringt es niemand anderem bei.

Die Quelle, aus der einige der Gerüchte stammen dürften, die Ihr vernommen habt ... nun, ich weiß nicht, als was ich sie bezeichnen soll. Ich nenne das ›Blasen des Bösen‹. Stellt sie Euch vor wie diese Blasen, die in einem Sumpf manchmal aufsteigen und platzen. Diese allerdings steigen vom Dunklen König auf, wenn die Siegel ihre Wirkung verlieren, und statt des fauligen Gestanks verbreiten sie eben ... das Böse. Sie steigen im Muster auf, und wenn sie platzen, kann alles mögliche passieren. Alles. Euer eigenes Spiegelbild könnte aus dem Spiegel treten und versuchen, Euch zu töten. Glaubt es mir nur!«

Falls Taim von dieser Predigt eingeschüchtert war, zeigte er es jedenfalls nicht. Er sagte lediglich: »Ich war schon in der Fäule. Ich habe bereits Trollocs getötet und auch Myrddraal.« Er schob einen weit herunterhängenden Zweig zur Seite und hielt ihn, damit Rand ebenfalls unbeschadet durchkam. »Ich habe noch nie etwas von diesem Baalsfeuer vernommen, aber wenn ein Schattenhund hinter mir her ist, werde ich schon eine Möglichkeit finden, ihn zu töten.«

»Gut.« Das galt sowohl Taims Unwissenheit wie auch seinem Selbstvertrauen. Baalsfeuer gehörte zu jenen Dingen, bei denen Rand nichts dagegen gehabt hätte, sollte das Wissen um sie vollständig verlorengehen. »Mit etwas Glück werdet Ihr hier draußen nichts dergleichen antreffen, aber man kann nie sicher sein.«

Der Wald nahm ein abruptes Ende und machte einem Bauernhof Platz. Das eine der beiden Gebäude war ein breites, strohgedecktes Wohnhaus mit zwei verwitterten Stockwerken, aus dessen einem Schornstein Rauch quoll, und das andere eine große, sichtlich schiefe Scheune. Auch hier war der Tag kein bißchen kühler als in der nur wenige Meilen entfernten Stadt, und die Sonne glühte genauso unbarmherzig. Hühner scharrten im Staub, zwei graubraune Kühe standen wiederkäuend auf einer kleinen, eingezäunten Weide, eine Herde angebundener schwarzer Ziegen kaute eifrig sämtliche Blätter in ihrer Reichweite von den Sträuchern ab, und im Schatten der Scheuer stand ein Karren mit hohen Rädern. Trotz allem vermittelte dies alles nicht den Eindruck bäuerlichen Lebens. Es waren keine Äcker zu sehen. Gleich hinter dem Hof begann der Wald, der nur durch eine kleine Lehmstraße unterbrochen war, die sich in Richtung Norden schlängelte. Die wurde sicherlich für gelegentliche Ausflüge zur Stadt benützt. Und dann befanden sich zu viele Menschen hier.

Vier Frauen, drei davon in ihren mittleren Jahren, hängten Wäsche an einer Doppelleine auf, und fast ein Dutzend Kinder, keines davon älter als neun oder zehn, spielten zwischen den Hühnern. Es waren auch einige Männer zu sehen, von denen die Mehrzahl mit irgendwelchen Arbeiten beschäftigt waren. Siebenundzwanzig insgesamt, wenn man manche darunter auch nur mit einiger Mühe als ›Männer‹ bezeichnen konnte. Eben Hopwil, der magere Bursche, der gerade einen Eimer Wasser aus dem Brunnen hochzog, behauptete wohl, zwanzig zu sein, war aber bestimmt vier oder fünf Jahre jünger. Das Größte an ihm waren seine Nase und die Ohren. Fedwin Morr, einer der drei Männer, die auf dem Dach schwitzten, während sie verrottete Strohbündel durch neue ersetzten, war ein ganzes Stück kräftiger, wies erheblich weniger Sommersprossen auf, war aber bestimmt auch nicht älter. Mehr als die Hälfte der anderen hatte den beiden höchstens drei oder vier Jahre voraus. Rand hätte beinahe ein paar von ihnen nach Hause zurückgeschickt, vor allem Eben und Fedwin, aber die Weiße Burg nahm ja auch genauso junge und noch jüngere als Novizinnen auf. Auf wenigen Köpfen zeigte sich bereits etwas Grau im dunklen Haar, und Damer Flinn mit dem runzligen Gesicht, der vor der Scheune die Rinde von Ästen abschälte, um zwei der jüngeren Burschen zu zeigen, wie man mit einem Schwert umging, hinkte und besaß nur noch einen dünnen Kranz weißer Haare. Damer war Mitglied der Königlichen Garde gewesen, bis er einen Speer eines Soldaten aus Murandy in die Hüfte abbekommen hatte. Er war wohl kein Schwertkämpfer, schien aber erfahren genug, um den anderen beizubringen, wie man sich wenigstens nicht in den eigenen Fuß stach. Die meisten Männer stammten aus Andor; nur ein paar aus Cairhien. Aus Tear hatte sich noch keiner eingefunden, obwohl auch dort die Amnestie verkündet worden war. Die Männer würden noch eine Weile brauchen, bis sie aus so großer Entfernung eintreffen konnten.