Natürlich war auch in der zweitbesten Schenke von Maerone nicht alles zum besten. Aus der Küche roch es auch hier wieder nach Hammelfleisch und Zwiebeln und der unvermeidlichen, scharf gewürzten Graupensuppe, und das vermischte sich mit dem Staub und dem Gestank der Pferde von draußen. Nun, Lebensmittel stellten eben ein Problem dar in einer Stadt, die mit Flüchtlingen und Soldaten vollgestopft war. Auch rundherum befanden sich noch weitere Lager. Männerstimmen, die laute Marschlieder grölten, erklangen immer wieder von der Straße her und verklangen in der Entfernung, dazu das Stampfen von Stiefeln, das Klappern von Pferdehufen und das Fluchen von Männern, die diese Hitze kaum ertragen konnten. Auch hier im Schankraum war es heiß. Kein Lufthauch machte sich bemerkbar. Wären die Fenster geöffnet worden, dann hätte bald der Staub die gesamte Einrichtung bedeckt, aber an der Hitze hätte das auch nichts geändert. Maerone war ein einziges Backblech in einem Glutofen. Soweit Mat feststellen konnte, trocknete die ganze verdammte Welt aus, und über den Grund dafür wollte er gar nicht erst nachdenken. Er wünschte sich, die Hitze einfach vergessen zu können, vergessen zu können, daß er sich in Maerone befand, und überhaupt alles. Seine gute grüne Jacke mit der Goldstickerei an Kragen und Ärmeln war aufgeknöpft, sein feines Leinenhemd aufgebunden, und doch schwitzte er wie ein Ackergaul. Es hätte vielleicht geholfen, wenn er den schwarzen Seidenschal abgenommen hätte, den er sich um den Hals gebunden hatte, aber das tat er nur höchst selten in Gegenwart anderer. Er kippte seinen letzten Rest Wein herunter, stellte den glänzenden Zinnbecher neben sich auf den Tisch und nahm den breitkrempigen Hut in die Hand, um sich damit Luft zuzufächeln. Was er auch trank, kam im nächsten Moment gleich wieder in Form von Schweiß heraus.
Als er sich entschloß, im ›Goldenen Hirsch‹ zu wohnen, folgten die Lords und Offiziere der Bande der Roten Hand seinem Beispiel, während sich natürlich die anderen Soldaten der Schenke fernhielten. Das war Frau Daelvin durchaus recht. Sie hätte jedes Bett gleich fünfmal ausschließlich an die Lords und kleineren Edelmänner der Bande vermieten können, und die zahlten auch noch gut, machten nur selten Krawall und trugen die handgreiflichen Streitigkeiten meist außerhalb der Schenke aus. Heute mittag jedoch saßen nur neun oder zehn Männer an den Tischen, und gelegentlich blickte sie die leeren Bänke bedauernd an, strich sich über den Dutt und seufzte. Vor dem Abend würde sie nicht mehr viel Wein loswerden. Ein großer Teil ihres Gewinns rührte vom Ausschank des Weines her. Aber wenigstens spielten die Musiker äußerst lebhaft. Eine Handvoll Lords, denen die Musik gefiel — und soweit es sie betraf, redeten sie gern jeden mit »mein Lord« an, der genug Gold besaß —, konnte großzügiger sein als ein ganzer Schankraum voller einfacher Soldaten.
Unglücklicherweise, was die Geldbeutel der Musiker betraf, war Mat der einzige Mann, der ihnen lauschte, und er verzog schmerzhaft bei jeder dritten Note das Gesicht. Es war eigentlich ja nicht ihre Schuld, denn die Melodie klang nicht schlecht, solange man sie nicht kannte. Mat kannte sie allerdings und hatte sie ihnen beigebracht, hatte ihnen den Rhythmus vorgegeben und die Melodie gesummt, aber ansonsten hatte in den letzten zweitausend Jahren niemand dieses Lied gehört. Das Beste, was man von ihnen behaupten konnte, war, daß sie wenigstens den Rhythmus einigermaßen trafen.
Bruchstücke einer Unterhaltung drangen ihm ins Bewußtsein. Er warf den Hut wieder auf den Tisch, winkte mit seinem Becher, um neuen Wein zu bekommen und beugte sich ein wenig über die Tischfläche, um den drei Männern näher zu kommen, die am Nebentisch tranken. »Wie war das noch mal?«
»Wir versuchen, einen Weg zu finden, um einiges von unserem Geld von Euch zurückzugewinnen«, sagte Talmanes mit ernsthafter Miene, ohne von seinem Becher aufzublicken. Ihm machte es nichts aus, so ertappt zu werden. Talmanes war nur wenige Jahre älter als Mat mit seinen zwanzig Jahren, einen Kopf kleiner, und er lächelte selten. Der Mann erinnerte Mat immer an eine zusammengedrückte Spiralfeder. »Niemand kann Euch im Kartenspiel schlagen.« Er befehligte die Hälfte der Kavallerie der Bande und führte hier in Cairhien den Rang eines Lords. Aber den vorderen Teil seines Schädels hatte er wie die einfachen Soldaten kahlgeschoren und gepudert, wenn auch der Schweiß den Puder verschmieren ließ. Eine Menge der jüngeren Lords von Cairhien hatte diese Mode von den Soldaten übernommen. Auch Talmanes Kurzmantel war ganz schlicht. Die Farbstreifen, die den Rang des Adligen andeuteten, fehlten bei ihm, obwohl er Anspruch auf einige davon gehabt hätte.
»Keineswegs«, protestierte Mat. Sicher, wenn sein Glück hielt, dann war es vollkommen, aber es kam in Zyklen, besonders in Fällen, wo die Dinge sich nach so festen Gesetzmäßigkeiten richteten wie ein Kartenspiel. »Blut und Asche! Letzte Woche habt Ihr mir fünfzig Kronen abgeknöpft.« Fünfzig Kronen: Vor einem Jahr oder so hätte er sich vor Freude überschlagen, wenn er auch nur eine Krone gewonnen hätte, und beim Gedanken daran, eine zu verlieren, hätte er wohl geweint. Vor etwa einem Jahr hatte er aber noch keine, die er hätte verlieren können.
»Um wieviel hundert Kronen bin ich damit nur noch im Hintertreffen?« fragte Talmanes trocken. »Ich möchte eine Gelegenheit bekommen, etwas davon zurückzugewinnen.« Wenn er jemals begann, einigermaßen konstant gegen Mat zu gewinnen, würde er sich jedoch auch Gedanken machen. Wie für die meisten Mitglieder der Bande stellte auch für ihn Mats Glück eine Art von Talisman dar »Würfel nützen verdammt noch mal gar nichts«, sagte Daerid, der kommandierende Offizier der Infanterie ihres kleinen Heeres. Er trank gierig und beachtete die angeekelte Grimasse nicht, die Nalesean hinter seinem pomadisierten Bart nicht ganz verbergen konnte. Die meisten Adligen, die Mat kennengelernt hatte, hielten Würfelspiele für gewöhnlich und lediglich für Bauern geeignet. »Ich habe noch nie erlebt, daß Ihr den Tag beim Würfelspiel mit einem Rückstand beendet habt. Es muß an etwas liegen, das Ihr selbst nicht in der Hand habt, das unbewußt kommt, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Daerid — nur wenig größer als sein Landsmann aus Cairhien, Talmanes — war gut fünfzehn Jahre älter. Seine Nase war mehr als einmal gebrochen worden, und drei weiße Narben überschnitten sich auf seinem Gesicht. Er war der einzige dieser drei, der nicht von adliger Herkunft war, und auch er hatte sich das Vorderteil seines Schädels geschoren und gepudert. Daerid war sein ganzes Leben lang Soldat gewesen.
»Wir haben an Pferde gedacht«, warf Nalesean ein und gestikulierte mit seinem Zinnbecher. Er war ein stämmiger Mann, größer als die beiden aus Cairhien, und er kommandierte die andere Hälfte der Kavallerie der Bande. Mat wunderte sich manchmal, warum er bei dieser Hitze noch den vollen schwarzen Bart trug, aber er pflegte und trimmte ihn jeden Morgen, damit er immer spitz blieb. Und obwohl Daerid und Talmanes ihre schlichten grauen Kurzmäntel geöffnet hatten, hatte Nalesean seinen — grüne Seide mit typisch tairenischen gestreiften Puffärmeln und Aufschlägen aus Goldsatin an den Ärmeln — bis zum Hals zugeknöpft. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, was er aber ignorierte. »Seng meine Seele, aber Euer Glück hält an, sowohl in der Schlacht wie beim Kartenspiel. Und beim Würfeln«, fügte er noch mit einer Grimasse in Daerids Richtung hinzu. »Doch beim Pferderennen hängt alles am Pferd.«