»Keine Spur von irgendwem - irgendwas?« Rick seufzte. Er kannte Fair seit Jahren, achtete ihn als Tierarzt und daher als einen Mann der Wissenschaft. Auf Fairs Erinnerungsvermögen konnte er sich hundertprozentig verlassen.
»Im Stall war niemand. Ein paar Lastwagen fuhren auf der Straße. Der Lärm hätte jemanden, der weglief, übertönen können. Ich habe in den Boxen nachgesehen, auf dem Heuboden, in der Sattelkammer. Nichts, Sheriff.«
»Die Karte ist ein raffinierter Trick.« Frank Yancey schüttelte den Kopf. »Vielleicht ist es die Abrechnung für eine Spielschuld.«
»Heftige Abrechnung«, sagte Larry Johnson.
»Heftige Schuld?« Frank hob die Hände.
»Frank, haben Sie die Fotos und Abdrücke, die Sie brauchen?« Als Frank nickte, fuhr Rick fort: »Gut, dann schaffen wir die Leiche fort. Haben Sie was dagegen, wenn Larry bei der Autopsie anwesend ist?«
»Nein, nein, ich bin froh, ihn dabeizuhaben.«
»Schätze, ich kann das aus den Zeitungen raushalten.« George Miller, der Bürgermeister von Orange, rang unbewußt die Hände. Er war wenige Minuten nach Yanceys Anruf eingetroffen. »Colbert Mason und Arthur Tetrick waren entsetzt, wurden dann aber ganz schnell zugeknöpft. Vor allem wollten sie nicht, daß ein Foto von der Leiche in die Zeitung kommt.«
»Ein einziger Mord in Rennbahnkreisen bedeutet nicht, daß sie in Korruption versinken«, bemerkte Larry besonnen.
»Vor fünf Jahren hat es schon mal einen Mord gegeben.« Fairs tiefer Bariton klang düster in dem Stall.
Frank beugte sich vor. »Wovon reden Sie?«
»Marylou Valiant.«
»Man hat sie nie gefunden, nicht?« erinnerte sich Frank Yancey und blinzelte.
»Nein«, antwortete Rick. »Wir wissen von keiner anderen Verbindung zu Hindernisrennen, als daß sie eine Reihe guter Pferde besaß. Das ist kein Motiv für einen Mord. Es gibt auch immer noch Leute, die glauben, daß sie nicht tot ist. Daß sie einfach aus ihrem Leben entschwunden ist.«
»Das haben sie von Elvis auch gesagt«, entgegnete Fair. »Hat jemand Adelia Valiant verständigt?«
»Warum?« fragten Frank und George gleichzeitig.
»Sie war mit Danforth zusammen, ziemlich ernste Sache, glaube ich.«
Frank musterte den großen Mann. »Hm - können Sie's ihr sagen?«
Rick und Fair warfen sich einen Blick zu, dann sahen sie Larry an.
»Ich mach's«, sagte der alte Doktor leise. »Aber ich möchte, daß Sie mitkommen. Und Rick, fallen Sie nicht gleich mit der Tür ins Haus, ja?«
Der Sheriff verzog das Gesicht. Er bemühte sich, feinfühlig zu sein, aber der Drang, einen Mörder zu schnappen, konnte seine Anstrengungen zunichte machen. »Ja, ja.«
Zwei Sanitäter schoben die Bahre durch den Südeingang des Stalls herein, während Fair, Larry und Rick durch den Nordeingang hinausgingen.
Rick wandte sich an Fair: »War er ein guter Jockey?«
»Nicht schlecht.«
5
Will Forloines' Gesicht wurde lang und länger. Er lief dunkelrot an. Er konnte nicht mehr an sich halten. »Das war verdammt blödsinnig, was du mit Nigel gemacht hast.«
»Scheiß drauf.«
»Quatsch mich nicht dumm an, Linda. Ich kann auch ganz anders, dann wird dir das Lachen vergehen.«
»Ich liebe es, wenn du wütend wirst«, parodierte sie alte Filme.
Er wendete den Blick von der Straße zu ihr. »Du kannst von Glück sagen, daß er keine Klage eingereicht hat.«
»Ich hatte ihn doch in der Hand.«
»Ach - und wenn er dich drangekriegt hätte? Du konntest nicht wissen, daß er nichts gegen dich unternehmen würde.«
»Will, überlaß mir das Denken.«
Ein Rad des nagelneuen Nissan kam von der Straße ab. Will lenkte den Blick schleunigst wieder auf die Fahrbahn. »Du riskierst zuviel. Eines Tages geht der Schuß nach hinten los.«
»Waschlappen.« Während sie ihn beschimpfte, ließ sie vorsichtshalber ihre Hand auf seinen Schoß fallen.
»Es läuft gerade so gut. Ich will nicht, daß was schiefgeht.«
»Will, reg dich nicht auf. Fahr weiter und hör zu.« Sie atmete durch die Nase ein. »Nigel Danforth hat die letzten zwei Monate massenweise Kokain gekauft. Er kann nicht singen.«
»Von wegen. Er kann uns als Dealer verpfeifen.«
»Der ist doch lieber wegen einem Rennen wütend auf mich, als daß er seinen Kontakt verliert. Und wenn er uns verpfeift, läßt er sich selbst auffliegen - und seine Freundin gleich mit. Das ganze Geld kommt schließlich nicht von Renneinnahmen.«
Will fuhr ein paar Minuten. »Ja, aber du setzt alles aufs Spiel.«
»Hat immerhin diesen Wagen finanziert.« Sie rückte näher an ihn heran.
»Linda, du« - er zischte - »gehst zu viele Risiken ein.«
»Das Risiko ist der Kick.«
»Nicht für mich, Babe. DasGeld ist der Kick.«
»Und wir sitzen mittendrin. Dr. D'Angelo schwimmt in Geld, und er ist dumm wie Brot.«
»Nein, ist er nicht«, widersprach Will. »Er ist dumm, was Pferde angeht, aber nicht in seiner Arbeit, sonst hätte er nicht soviel Geld verdient. Früher oder später wird er Lunte riechen, wenn du versuchst, ihm zu viele Pferde auf einmal zu verkaufen. Geh es langsam an. Ich möchte gern mal ein paar Jahre an ein und demselben Ort leben.«
Sie wartete einen Moment. »Klar.«
Da dies nicht sehr überzeugend klang, schoß Will verärgert zurück: »Mir gefällt es, wo wir leben.«
Sie flüsterte ihm ins Ohr; sie ließ ihre Meinungsverschiedenheit mit ihm gerade so weit ausufern, daß sie bei der Auseinandersetzung >gewinnen<, ihn in der Hand behalten konnte. Vielleicht liebte sie ihren Mann, aber auf alle Fälle brauchte sie ihn. Er war so leicht zu gängeln, daß sie sich stark und gerissen vorkam. »Wir werden so viel Geld verdienen, daß wir uns eine eigene Farm kaufen können.«
»Ja.« Seine Stimme verklang.
Sie lächelte. »Nigel wird es vergessen. Garantiert. Er schuldet mir Geld für ein Kilo. Er kommt morgen, um den Rest zu bezahlen. Einen Teil hab ich heute vor dem Rennen bekommen.« Sie lachte. »Der konnte es wahrscheinlich gar nicht fassen, als ich ihm eine gelangt habe. Aber er wird es vergessen. Er wird so vollgekokst sein, daß er mich für seine beste Freundin hält.«
6
Als Fair Haristeen auf Mims Party kam, beschloß Harry, ihn nicht zu beachten. Trotzdem bemerkte sie seine angespannten Kiefermuskeln, ein untrügliches Anzeichen von Besorgnis. Dr. Larry Johnson und Sheriff Rick Shaw begleiteten ihn, und Larry steuerte direkt auf Addie Valiant zu, Fair hinterdrein.
»Das verheißt nichts Gutes«, bemerkte Susan Tucker.
»Hoffentlich hat niemand ein Pferd verloren«, sagte Harry.
»Ja. Montpelier war so ungewöhnlich heute. Das Schlimmste war der Sehnenbug, eigentlich erstaunlich, wenn man an manche früheren Unfälle denkt. Aber vielleicht liegt es daran, daß die Strecke so schwierig ist. Die Leute sind vorsichtig.«
»Was?«
»Harry, hörst du überhaupt zu?« fragte ihre beste Freundin.
»Ja, aber ich dachte gerade, daß du mich mit nach Hause nehmen könntest, damit Miranda nicht zu mir und dann den ganzen Weg zurückfahren muß. Sie macht bekanntlich um neun die Schotten dicht.« Harry meinte Mirandas lebenslange Gewohnheit, früh schlafen zu gehen und früh aufzustehen.
»Klar. Wie ich vorhin sagte, bevor du abgedriftet bist: Weil die Strecke schwierig ist, sind die Jockeys konzentriert. Wenn sie leichter ist, werden sie manchmal nachlässig.«
»Mom, ich hab Hunger«, bettelte Tucker.
Susan warf dem Hund ein Stück Kuchen hin.
»Susan, du verwöhnst Tucker schlimmer als ich.« Susan war es, die den Corgi gezüchtet hatte. Harry bemerkte, daß Larry Addies Arm nahm und Rick Mim etwas ins Ohr flüsterte. »Da ist was im Busch. Verdammt, hoffentlich kein nachträglicher Protest. Das würde ich Mickey Townsend glatt zutrauen. Er kann einfach nicht verlieren.«