»Was denken Sie? Vielmehr, was denken Sie, was der Nationale Hindernisrennverband denken wird?« Harry nahm den Brief aus Mims ausgestreckter Hand, die heute nur ihren Trauring und ihren Verlobungsdiamanten zur Schau trug, wieder entgegen.
»Ich nehme an, sie werden den Ankläger auf der Stelle festnageln. Aber können Sie Fair dazu bringen, das hier zu unterschreiben? Ich weiß, wie genau er es mit der Ehre nimmt. Neunzehntesjahrhundert, aber das ist es ja gerade, was ihn zu so einem großartigen Menschen macht.«
»Natürlich kann ich ihn nicht dazu bringen, das zu unterschreiben. Er findet, die Menschen sollen ihre Differenzen auf jede nur mögliche Weise lösen, bevor sie sich an Rechtsanwälte wenden. Er versteht nicht, daß das in Amerika so nicht mehr funktioniert. Kaum sind wir auf der Welt, engagieren wir schon einen Anwalt.«
»Und was machen wir nun?«
»Äh - Mim, ich hatte gehofft, daß Sie Colbert dieses Schreiben faxen würden. Vielleicht schreiben Sie dazu, daß Ned Tucker hiermit zu Ihnen gekommen ist, weil er den Verband nicht noch mehr in Verlegenheit bringen will. Sie wissen, der Mord, Probleme mit dem öffentlichen Ansehen und so weiter. Sie werden Colbert und Arthur auch dringend warnen wollen, damit sie sich eine Antwort zurechtlegen können, sollte sich die Presse hierauf stürzen.« Harry atmete tief durch. Sie hatte nicht gemerkt, wie nervös sie war.
Mim ließ sich auf ihrem Stuhl zurückfallen, ihre lackierten Fingernägel tappten auf die Armstützen. »Harry, Sie sind viel raffinierter, als ich gedacht hatte - natürlich mache ich das.«
»Oh, vielen Dank. Fair wird nichts davon erfahren, wenn Colbert es ihm nicht erzählt.«
»Ich werde in meinem Begleitbrief andeuten, daß das unterzeichnete Schreiben nie ankommen wird, wenn diese Sache umgehend beigelegt werden kann. Fair werde kein gerichtliches Verfahren einleiten.«
Harry strahlte. »Sie sind so clever.«
»Nein - das sind Sie. Und Sie lieben ihn noch immer.«
»Das sagen alle, aber nein, ich liebe ihn nicht mehr«, erwiderte Harry schnell. »Ich hab ihn gern, das ist was anderes. Er ist ein Freund und ein guter Mensch, und er hat diese üble Nachrede nicht verdient. Er würde für mich dasselbe tun.«
»Ganz bestimmt.«
Während Mim und Harry über Fair, die Liebe, Jim, Bazooka, Mirandas Kirchenchorveranstaltung zur Spendensammlung für die Kirche zum Heiligen Licht und über Gott und die Welt redeten, hielten Mrs. Murphy und Tucker ein Schwätzchen mit der Stallkatze, einem kräftigen, großen rötlichbraunen Kater namens Rodger Dodger. Seine schildpattfarbene Freundin Pusskin schlief auf dem Heuboden, erschöpft, weil sie am morgen ein Streifenhörnchen gejagt hatte.
Bazooka, der in der Waschbox abgerieben wurde, lauschte, enttäuscht, weil die anderen Tiere nicht über ihn sprachen.
»Wie steht's mit der Jagd?« fragte Rodger Dodger Mrs. Murphy.
»Gut.«
Tucker kicherte.»O ja, sie erlegt jeden Abend ihre Spielmaus.«
»Halt 's Maul. Ich leiste meinen Beitrag an Mäusen und Maulwürfen.« »Nicht zu vergessen den Blauhäher. Da ist Mom total ausgeflippt«, höhnte Tucker schadenfroh.
»Ich konnte den Blauhäher nicht ausstehen.«
»Ich kann die auch nicht ausstehen«, pflichtete Rodger ihr ernst bei.»Die stoßen senkrecht auf dich herunter und picken dich. Dann heben sie ab und segeln davon. Ich würde jeden einzelnen töten, wenn ich könnte.«
»Was tut sich hier?« lenkte Tucker vom Thema Erlegen von Nagetieren und Vögeln ab. Ja, wenn sie darüber reden wollten, wie man Rinder oder Schafe hütete, dann könnte sie viele Geschichten beisteuern.
Rodger ließ seine Schnurrhaare nach vorn schnellen und trat nahe an die Tigerkatze und die Corgihündin heran.»Gestern abend hat jemand Orion aus seiner Box geholt, ihn auf die Querschwelle gebracht und in der Box herumgegraben, aber er wurde gestört. Wer immer es war, hat das Loch wieder zugedeckt und Orion in die Box zurückgebracht.«
»Kannst du in der Box was riechen?«
»Erde.« Rodger Dodger setzte sich auf sein Hinterteil.
»Sehen wir uns das mal an.« Mrs. Murphy flitzte den Gang entlang. Da Orion ein Jagdpferd war, tummelte er sich draußen auf einem Feld. Die Tiere konnten in seine Box gehen.
Tucker hielt die Nase an die Erde. Die Katzen scharrten mit den Pfoten die Holzspäne fort. Die Erde war tatsächlich frisch umgegraben.
Mrs. Murphy untersuchte vorsichtig die anderen Ecken der Box. Nichts.
Rodger beobachtete Tucker.»Kann man nicht draus schlau werden, oder?«
»Ich weiß nicht.« Sie hob den Kopf, atmete frische Luft ein, hielt die Nase dann wieder über die geglättete Stelle.»Wenn wir jemanden dazu bewegen könnten, hier zu graben, finde ich womöglich was. Wenn etwas entfernt wurde, würde ich es riechen.« Sie schnupperte. »Im Moment ist tote Hose.«
Die drei Tiere setzten sich in der Box nieder.
»Weißt du, wer es war?« fragte Tucker.
»Nein, ich war letzte Nacht draußen im Geräteschuppen. Reiche Beute. Als Orion es heute morgen auf seinem Weg nach draußen erwähnte, war ich zu groggy, um ihn auszuquetschen.«
»Gehen wir Orion fragen.« Mrs. Murphy verließ die Box just in dem Moment, als Bazooka von Chark Valiant in seine Box gebracht wurde.
»Ihr braucht Orion nicht zu fragen«, sagte der Stahlgraue zu ihnen. »Ich hab gesehen, wer's war. Coty Lamont.«
»Coty Lamont!« rief Mrs. Murphy aus. Rodger sprang auf die Sattelkiste vor Bazookas Box und stellte sich auf die Hinterbeine, um mit dem Pferd zu plaudern.»Bazooka, warum war er hier?«
»Das hat er nicht gesagt«, erwiderte Bazooka spöttisch.»Aber Mickey Townsend kam auf Zehenspitzen rein und schloß die Boxen tür, als Coty drin war. Coty wollte raus, aber Mickey hat ihn nicht gelassen. Er hat ihm gesagt, er soll 's wieder zudecken und mit ihm kommen.«
»Der alte Kotex haßt Mickey.« Mrs. Murphy benutzte Cotys Spitznamen.»Charles Valiant übrigens auch.«
»Wetten, Coty ist nicht mitgegangen«, sagte Tucker.
»Oh, ist er wohl.« Bazooka genoß die Geschichte.»Mickey hat eine Pistole auf ihn gerichtet und ihm gesagt, er muß mitgehen.«
»Und er ist mitgegangen?« Tuckers glänzende Augen weiteten sich.
»Klar doch. Hört mal, ich weiß nicht, wie er hierhergekommen ist. Mickey ist einfach in den Stall geschlichen«, fügte Bazooka hinzu. »Jedenfalls, Mickey hat ihm gesagt, er soll die Hände hinter den Kopf nehmen. Er hat den Riegel von der Box zurückgeschoben, und Coty ist vor ihm hergegangen.«
»Mann, ist das unheimlich.« Rodger Dodger kratzte sich die Flanke mit dem Hinterbein.
Es war mehr als unheimlich, denn an diesem Abend wurde Coty Lamont, der beste Hindernisjockey seiner Generation, auf einer Lehmstraße im Osten von Albemarle County nicht weit von der Route 22 gefunden. Man hatte ihn auf die offene Ladefläche seines Ford- 3 5O-Lieferwagens gelegt, der in seiner Lieblingsfarbe lackiert war, metallic Kastanienbraun. Die Pikdame lag auf seinem Herzen, das von einem Stilett durchbohrt war.