15
Rick Shaw verlor Feuerzeuge, wie kleine Kinder Handschuhe verlieren. Deshalb benutzte er Wegwerffeuerzeuge.
Während er ein durchsichtiges limonengrünes Feuerzeug aus seiner Manteltasche zog, betrachtete er den Leichnam in dem Lieferwagen.
Cynthia Cooper kritzelte etwas in ihr Notizbuch, wurde schwach und zündete sich auch eine Zigarette an.
Die Ambulanzmannschaft wartete in einigem Abstand. Kenny Wheeler jr. der die Leiche entdeckt hatte, blieb beim Sheriff und seiner Stellvertreterin.
»Kenny, Sie haben mir das alles schon erzählt, aber wiederholen Sie es bitte noch einmal, weil ich es in die richtige Reihenfolge bringen muß«, bat Rick den großgewachsenen jungen Mann mit der tiefen Stimme.
»Ich hab einen Zaun überprüft. Hatte es etwas eilig, weil ich nur noch wenig Licht hatte und im Rückstand war, Sie verstehen.« Er sah auf seine Stiefel hinunter. »Die alte Straße liegt eigentlich auf dem Grundstück meines Nachbarn, aber ich darf sie mitbenutzen, und da dachte ich, ich schwenke da durch, um auf die hinteren Felder zu kommen. Spart mir ein paar Minuten. Jedenfalls, ich hab diesen Lieferwagen gesehen. Kam mir bekannt vor. Und wie ich näher ran fuhr, sah ich ihn« - er wies auf den Leichnam - »auf der Ladefläche. Ich dachte, der Kerl ist vielleicht eingeschlafen oder so was - das heißt, bis ich näher kam. Na ja, da hab ich angehalten, bin ausgestiegen, hab über die Seite geguckt. Und da wußte ich, der Mann war tot, toter als mausetot, und ich weiß nicht, warum ich>He< gerufen habe. Ich bin eine Minute da gestanden, dann hab ich mich auf die Socken gemacht, hab erst Sie angerufen, dann Mom und Dad. Ich hab den Lieferwagen beschrieben. Sie kannten ihn nicht. Dad wollte sofort herkommen, aber ich hab ihm gesagt, er soll bleiben, wo er ist. Besser, ich bin der einzige, der damit zu tun hat. Dad hat das gar nicht gepaßt. Er ist ein praktischer Mensch, Sie kennen ihn ja, aber ich hab gesagt:>Dad, wenn du hierherkommst, dann gerätst du in die Mühle mit Protokoll und Papierkram und so, und du hast genug zu tun. Ich hab ihn gefunden, also kümmer ich mich drum.< Da hat er dann schließlich okay gesagt, und hier bin ich.«
Cynthia klappte ihr Notizbuch zu. »Rick, brauchen Sie Kenny noch?«
»Ja, warten Sie.« Rick hatte sich Handschuhe übergestreift und zog die Zulassung heraus. »Der Wagen ist auf Coty Lamont zugelassen. Sagt Ihnen der Name was?« Rick lehnte sich an die offene Tür des Lieferwagens.
»Coty Lamont.« Kenny runzelte die Stirn. »Ein Jockey. Ich bin ziemlich sicher, daß ich den Namen schon mal gehört hab. Wir haben mit Rennen nichts am Hut, aber, der Name kommt mir bekannt vor.«
»Danke, Kenny. Sie waren eine enorme Hilfe. Gehen Sie nach Hause. Ich rufe Sie an, wenn ich Sie brauche. Grüßen Sie Mom und Dad von mir. Ihre Frau auch.« Rick klopfte ihm auf den Rücken.
Als Kenny seinen Transporter wendete und losfuhr, warf Rick noch einen Blick auf die Ladefläche des Lieferwagens. »Irgendwas aufgefallen?«
»Ja, er wurde zusätzlich in den Rücken geschossen. Hat sich vermutlich gewehrt«, antwortete Cynthia.
»Ah ha! Sonst noch was?«
»So ziemlich derselbe Modus operandi wie beim letzten.«
»Die Karte, Cynthia, gucken Sie sich die Karte an.«
»Pikdame.« Sie stieß einen Pfiff aus. »Eine Menge Blut drauf.«
»Pik, Coop - die andere Karte war Kreuz.«
Cynthia rieb sich die Hände an ihren Oberarmen. Die untergehende Sonne über der südwestlichen Gebirgskette und die Abendluft fuhren ihr in Mark und Bein. »Kreuz, Pik - denken Sie, was ich denke?«
»Fehlen noch Karo und Herz.«
16
Die Glut seiner Zigarette schien in der sternenlosen Nacht durch Ricks Hand. Er hielt sie gewölbt, um den Wind abzuhalten, während er sich auf der Geländestrecke von Montpelier über die Barriere lehnte.
Barry McMullen, der den Stall am Renngeläuf gemietet hatte, zog die Schultern zusammen, um sich vor dem beißenden Wind zu schützen, und schlug seinen Kragen hoch.
»An diesem Tausend-Dollar-Gerücht ist nichts dran.« Barry schob entschlossen das Kinn vor. »Ich habe Coty Lamont gekannt, seit er als Stallbursche bei Mickey Townsend angefangen hat. Dann bekam er seinen ersten Ritt auf einem von Arthur Tetricks Pferden, damals, als Arthur zwanzig Pferde im Training hatte. Ich glaube einfach nicht, daß Coty sich an einem Zockerkreis beteiligt hat, und ich weiß, er hätte nie absichtlich ein Rennen verloren.«
»Auch nicht für ein paar hunderttausend Dollar?«
Barry dachte darüber nach. »Kein Jockey, der absichtlich ein Rennen verliert - und das ist beim Hindernisrennen verdammt leicht hinzukriegen -, würde so viel Geld bekommen. Die Einsätze sind erheblich niedriger als beim Flachrennen, erheblich niedriger.«
»Wieviel?«
»Vielleicht fünftausend. Maximal.«
»Dann reden wir also über Summen, nicht über Charakter.«
Barry brummte: »Legen Sie mir keine Worte in den Mund. Coty Lamonts Ego war dreimal so groß wie er selbst. Er war der Beste, mußte der Beste sein, mußte der Beste bleiben. Er hätte kein Rennen absichtlich verloren. Ich glaube, dieser Wettverdacht ist unbegründet - bei ihm. Ich hab nicht den leisesten Schimmer, was mit dem anderen Typ war, der ermordet wurde. Diesem Nigel.«
»Wir auch nicht.« Rick fühlte heiße Asche in seiner Hand. Er kippte sie halb, ließ die Glut auf die kalte Erde fallen und trat sie mit dem Fuß aus.
»Angenehmer Bursche. Wollte gern hier reiten. Hatte ein gutes Händchen für Pferde, aber ich hatte keinen Platz für ihn.« Er wickelte seinen Schal enger um den Hals. »Gibt es einen Grund, weshalb wir hier draußen in der Kälte stehen, Rick?«
»Ja. Im Moment traue ich niemandem in irgendeinem Stall.«
Barrys hellbraune Augen weiteten sich. »Meinem Stall?«
»Jedem Stall. Wenn Sie meine Fragen weitererzählen, kann ich nicht viel machen. Schließlich stehe ich im öffentlichen Dienst, und meine Ermittlungen sind nicht verdeckt, aber sie müssen auch nicht überall verbreitet werden. Ich möchte nicht, daß jemand lauscht, während er eine Box ausmistet oder Heu herunterwirft.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe ein mieses Gefühl bei dieser Sache.«
Barry straffte das Kinn. »Herrgott, was glauben Sie, was hier vorgeht?«
»Wie wäre es mit einem Syndikat, das Käufer mit hochwertigen Pferden ködert und diese zu hohen Preisen verkauft, sie dann mit billigen, ähnlich aussehenden vertauscht und die teuren Pferde für sich behält, um Rennen zu gewinnen oder sie abermals zu verkaufen? Möglich?«
»Früher, ja. Heute, nein. Jeder Vollblüter ist an der Lippe tätowiert.«
Rick unterbrach ihn. »Man könnte die Tätowierung kopieren.«
Barry erwiderte langsam: »Schwierig, aber möglich. Bloß, warum sich die Mühe machen? Heutzutage haben wir DNA-Tests. Der Jockey Club verlangt eine Blutprobe, bevor er ein Fohlen registriert, und er verlangt auch eine Probe von der Stute. Das System ist neunundneunzig Komma neunundneunzig Prozent idiotensicher.«
»Nicht wenn ein Eingeweihter die Blutproben austauscht.«
Das haute Barry um. »Wie kommen Sie bloß auf solche Ideen?«
»Ich habe tagein, tagaus mit Schuften, Verkehrssündern, Hausdrachen, Dieben und Schwerverbrechern zu tun. Wenn ich nicht denke wie sie, kann ich sie nicht schnappen.« Die tiefen Falten um Ricks Mund verliehen seiner schroffen Erscheinung Autorität. »Das Ding müßte von Insidern gedreht werden. Das heißt, der Verkäufer, der Tierarzt, möglicherweise ein Jockey oder ein Stallbursche und vielleicht sogar jemand vom Jockey Club müßten beteiligt sein.«
»Nicht der Jockey Club.« Barry schüttelte heftig den Kopf. »Niemals. Wir reden vonMecca. Sheriff, ich leg meine Hand dafür ins Feuer, daß niemand im Jockey Club diese Institution entweihen würde, nicht mal für einen großen Geldbetrag, und ich meine, ich bin gar nicht immer mit denen einverstanden. Ich finde sie manchmal rückständig, aber ich vertraue ihnen, das heißt, ich vertraue ihrem Engagement für Rassepferde.«