»Wahrsager hat den Eclipse Award gewonnen. Herrje, wenn wir einen Wahrsager hätten, wäre das Leben vollkommen.«
Er lachte. »Du bist zu jung, um dich an das Pferd zu erinnern.«
Ihre Miene verfinsterte sich einen Moment. »Aber in einer Sache habe ich gelogen.«
»Hm?« Alle seine Sinne waren hellwach.
»Nigel hat das Kokain nicht bezahlt. Er sagte, er würde es bezahlen, sobald er es verkauft hätte. Er hat nur ungefähr ein Viertel der Summe bezahlt. Ich hab Sheriff Shaw erzählt, daß Nigel es bezahlt hätte.« Sie hob hilflos die Hände. »Ich weiß nicht, warum ich gelogen habe.«
Er wurde bleich. »Addie!«
»Ich will nicht, daß Linda hinter mir her ist.« Sie wurde rot im Gesicht. »Wenn Linda denkt, daß ich sie verpfiffen hab, he, dann.« Sie brauchte den Gedanken nicht zu Ende zu führen.
Mickey rollte die Schultern vor und zurück. Das tat er immer, um seine Muskeln zu entspannen. »Sie steckt bis obenhin in der Scheiße. Mein Gott, sie wissen, daß sie das Zeug verkauft. Sie ist eine Verdächtige, mit oder ohne deine Hilfe.«
»Verkaufen ist nicht töten. Kommst du zu meiner Geburtstagsparty?« Sie verfiel in Gleichschritt mit ihm.
»Nein.«
»Ich spreche mit Chark.«
»Tu das nicht. Laß es auf sich beruhen, Adelia. Ich wäre bloß ein Spielverderber.«
»Ach bitte, komm doch. Du würdest mir eine Freude machen.« Sie seufzte. »Wäre eine noch größere Freude, wenn Nigel noch bei uns wäre.«
Er klopfte sie auf den Rücken. »Ob du's glaubst oder nicht, mein Herz, ich weiß, wie dir zumute ist. Es vergeht kein Tag, an dem ich deine Mutter nicht vermisse.« Er machte eine Pause, räusperte sich. »Addie, du bist nicht die einzige, die dem Sheriff Informationen vorenthalten hat.« Er griff in seine Tasche und legte Adelia das schöne Christopherusmedaillon in die Hand.
Sie starrte darauf, blinzelte, dann strömten ihr die Tränen über die Wangen. Sie hielt das Medaillon an ihre Lippen und küßte es. »O nein. O nein.« Sie wußte, daß ihre Mutter tot sein mußte, doch das Medaillon brachte ihr die ganze Wucht ihres Verlustes wieder zu Bewußtsein; ihr blieb nicht ein Fünkchen Hoffnung.
»Woher hast du das?« flüsterte sie.
Mickey, der ebenfalls weinte, sagte: »Aus Nigel Danforth' Daunenjacke.« Er schilderte ihr den ganzen Ablauf der Ereignisse. »Dies wird uns zu dem Mörder führen. Ich spüre es in meinem Innern, daß es nicht Nigel war. Aber wie ist er an das Medaillon gekommen?«
»Mickey, gib es mir.«
»Nachdem wir die Ratte aufgescheucht haben.«
»Nein, gib es mir jetzt. Ich will es tragen, wie Mom es getragen hat.«
»Addie, das ist zu gefährlich.«
»Bitte. Du kannst in meiner Nähe bleiben. Ich will Moms Medaillon, und ich will, daß es alle sehen.«
40
Obwohl sie angeleint war, zappelte Tucker vor Aufregung. Allein die Gerüche ließen sie außer Rand und Band geraten: der Duft von gebackenem Schinken, geräuchertem Truthahn, Roastbeef und Brathähnchen, vermischt mit dem Aroma von Hot dogs, Hamburgern und Senf. Salat aus dreierlei Bohnen, Schichtsalat aus sieben verschiedenen Zutaten, schlichter Krautsalat und nahrhafter deutscher Kartoffelsalat verströmten einen Duft, der zwar nicht so verlockend war wie die Fleischgerüche, aber Essen war Essen, und Tucker war nicht wählerisch. Die Schokoladenschnitten, Biskuitkuchen, Früchtekuchen, mit Honig beträufelt, und Kürbispasteten dufteten ebenfalls verführerisch. Von Whiskey, kräftigendem Scotch, Sherry, Portwein, Gin und Wodka mußte sie sich abwenden, denn diese Gerüche brannten ihr in Nase und Augen.
Für Tucker war der Colonial Cup ein Kaleidoskop von Gerüchen und mehr Menschen, als sie begrüßen konnte. Tucker kannte ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen. Sie mußte sich auf jeden Menschen stürzen, der sich ihrer Mutter näherte, und ihn beschnüffeln. Kannte sie ihn, wedelte sie mit ihrem nicht vorhandenen Schwanz. Wenn nicht, wollte sie sich die Lunge aus dem Leib bellen, das billigste und wirksamste Alarmsystem, das bislang entwickelt wurde. Aber wenn die Menschen zu Tausenden umherschwärmten, konnte sie nicht jeden anbellen. Statt dessen bediente sie sich ihrer Strategie des stählernen Blicks. Wenn jemand sich Harry näherte, sammelte sie sich und ließ das Gesicht der betreffenden Person nicht aus den Augen. Sobald sie sicher war, daß die Person sich nicht auf Harry oder Mrs. Hogendobber stürzen würde, entspannte sie sich.
Obwohl zum Hüten gezüchtet, passen Corgis auch auf>ihren< Menschen auf und verteidigen ihn, so gut sie können. Nach Tee Tuckers Meinung war und blieb ein Chow-Chow der beste Hund für die Verteidigung von Menschen. Herrchen oder Frauchen fanatisch ergeben, knurrten Chow-Chows zuerst eine Warnung, und wurde diese ignoriert, schnappte der Hund nach dem potentiellen Angreifer, sei es ein anderer Hund, ein Mensch oder was auch immer. Tucker war nicht so bissig, aber sie hing an Harry. Manchmal wünschte sie, Harry hätte noch einen Hund. Mrs. Murphy konnte zuweilen so überheblich sein, und Tucker haßte es, wenn die Katze von einem Tisch oder einer Anrichte auf sie herabsah. Sie liebte Murphy, aber sie konnte nicht wirklich Tacheles mit ihr reden, weil ihr die Katze sonst die empfindliche Nase zerfetzen würde.
»Mutter, diese Heckklappen-Picknicks führen mich in Versuchung. Wenn ich schon bei Fuß gehen muß, solltest du für mich um was zu essen bitten.«
Der Tag hatte sich erwärmt, und die Zeit zwischen den Rennen war strapaziöser als die Rennen selbst. Miranda, ausgedörrt von Staub und Sonne, zog Harry zu einem Getränkestand.
Harry beäugte sehnsüchtig die Bar, die auf der Heckklappe eines Kombis aufgebaut war, aber da sie die fröhlichen Menschen nicht kannte, die den Sonnenschein, die Pferde, den Tag und sich gegenseitig feierten, ging sie weiter zu dem Stand.
»Ich dachte, Fair würde bei diesem Rennen nicht arbeiten«, sagte Miranda.
»Sie wissen ja, wie das so geht.« Harry kaufte eine Cola, sah auf ihren keuchenden Hund herunter und bat um einen leeren Pappbecher. Sie ging zum Wasserhahn, füllte den Becher, und Tucker schlappte zufrieden.
»Ich nehme an, mit einem Tierarzt verheiratet zu sein ist wie mit einem Arzt verheiratet zu sein.«
»Ich bin nicht mit ihm verheiratet.«
»Ach, hören Sie auf.«
»Ja, es ist wie mit einem Arzt verheiratet zu sein, und Fair ist so gewissenhaft. Er behandelt die Tiere, ob die Menschen zahlen oder nicht. Sicher, sie sagen ihm immer, sie werden bezahlen, aber dann tun sie's nicht. Wenn einem Tier etwas fehlt, ist er dort.«
»Haben Sie ihn nicht gerade deswegen geliebt?«
»Ja.« Harry trank ihre Cola aus.
»Mmm.« Miranda beobachtete die drei Jockeys, die in ihren glänzenden Seidendressen im Führring standen.
Harry folgte ihrem Blick, und besonders fiel ihr ein drahtiger Bursche ins Auge, die Hand auf der Hüfte, die Peitsche in der Hand. »Komisch, nicht? Die Kolosse von Footballspielern kriegen ein Vermögen bezahlt, und wir verehren sie wegen ihrer Kraft, aber diese Burschen hier haben mehr Courage. Auch die Frauen. Nichts auf den Rippen, aber Mumm in Reinkultur.« »Hm, ich habe nie begriffen, wie.« Miranda hielt inne. »Harry, ist es unhöflich, mit Jockeys zu sprechen, bevor sie reiten? Ist es wohl, oder?«
»Sie sind noch nicht an der Reihe. Ich erkenne die Farben.«
Miranda ging entschlossen auf die drei Männer zu. Einer sah viel jünger aus als die anderen - um die sechzehn. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie.
Tucker sprang vorwärts und zog Harry, die nicht darauf gefaßt war, fast aus dem Gleichgewicht.
»Ma'am.« Der Älteste von den dreien, ein Mann Mitte Vierzig, nahm seine Kappe ab.
»Haben Sie Nigel Danforth gekannt?« erkundigte sich Miranda.