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»Sie sind hier.«

»Hier?« sagte Harry. Boom Booms tiefe Stimme könnte einen ein­lullen, so süß ist sie, dachte sie.

»Man sollte meinen, sie wären so vernünftig, sich nicht blicken zu lassen.«

»Will war noch nie der Hellste.« Harry zog ihre Daunenweste aus, und Boom Boom wechselte das Thema.

»Ich bin gekommen, um dir zu sagen, es tut mir leid, daß ich ein Verhältnis mit Fair hatte, aber das warnach eurer Scheidung. Er ist ein lieber Kerl, bloß, wir haben nicht zusammengepaßt. Ich hatte keine ernsthafte Beziehung gehabt, seit Kelly tot ist, und ich mußte mal wieder was in die Finger kriegen.«

Harry glaubte nicht, daß es Boom Booms Finger waren, die Fair fasziniert hatten, aber sie widerstand dem Drang, sich dazu zu äu­ßern. Auch glaubte sie keine Minute, daß die Beziehung wundersam­erweise gleich nach der Scheidung begonnen hatte. »Verstehst du, wie mich das aufgeregt hat?«

»Nein. Du hast dich von ihm scheiden lassen.«

»Das heißt noch lange nicht, daß ich über ihn weg war, verdammt noch mal!« Harry beschloß, das genaue Datum von Boom Booms Liaison mit Fair nicht zu ermitteln. Wenigstens waren sie erst nach der Scheidung öffentlich aufgetreten.

»Warum läßt du es an mir aus? Laß es an ihm aus.«

»Hab ich, mehr oder weniger.«

»Und, Harry, was ist mit den Frauen, hm,während ihr verheiratet wart? Das waren deine Feindinnen, nicht ich.«

»Habe ich jemals behauptet, ich wäre emotional reif?« Harry ver­schränkte die Arme; Tucker verfolgte aufmerksam das Gespräch.

»Nein.«

»Also.«

»Also was?«

»Also, dich konnte ich sehen. Die Techtelmechtel, die er hatte, als wir verheiratet waren, konnte ich nicht sehen. Ich war wütend auf dich für alle zusammen, nehme ich an. Ich habe nie gesagt, daß es richtig von mir war, wütend auf dich zu sein, aber das war ich nun mal.«

»Du bist es immer noch.«

»Nein, bin ich nicht.« Was halb gelogen war.

»Du hast dich jedenfalls nie bemüht, nett zu mir zu sein.«

»Ich bin höflich.«

»Harry, wir sind beide in Virginia geboren und aufgewachsen. Du weißt genau, was ich meine.« Und Boom Boom hatte recht. Man konnte korrekt, aber kühl sein. Die Virginier waren darin geübt, ein­ander mit musterhafter Eleganz zu schneiden.

»So, und da wir beide in Virginia aufgewachsen sind, verstehen wir es, Themen wie dieses zu meiden, Boom Boom. Ich habe nicht das Bedürfnis, mit dir oder sonst jemand meine Emotionen zu ergrün­den.«

»Genau!«

Harry blinzelte in das triumphierende Gesicht. »Fang jetzt bloß nicht bei mir damit an.«

»Wir müssen unserer Erziehung entwachsen. Wir müssen unsere unterdrückte Natur abwerfen oder durchbrechen. Du kannst deine Emotionen nicht in dir verschließen, sie werden an dir nagen, bis du krank wirst oder vertrocknest wie einige Leute, die ich nennen könn­te.«

»Ich bin kerngesund.«

»Du bist aber nicht mehrzwanzig. Du hältst diese Emotionen schon zu lange in dir verschlossen.«

»Jetzt hör mal zu.« Harrys Stimme triefte von Vernunft. »Was du unterdrückt nennst, nenne ich diszipliniert. Ich wanke nicht am Ran­de der Selbstzerstörung. Ich trinke nicht. Ich nehme keine Drogen. Ich rauche nicht mal. Mir gefällt mein Leben. Ich hätte vielleicht gern ein bißchen mehr Geld, aber mein Leben gefällt mir.«

»Du kasteist dich.«

»Kasteien ist für mich ein Fremdwort.«

»Harry«, sie senkte die Stimme, »mich kannst du mit deinen Witz­chen nicht täuschen. Ich möchte, daß du mit mir zu >Lifeline< kommst. Das hat mein Leben vollkommen verändert. Vor sechs Monaten wäre ich nie imstande gewesen, auf dich zuzugehen, ich hätte an meiner Wut festgehalten, aber jetzt will ich dir die Hand reichen. Ich möchte, daß wir Freundinnen sind. Bei>Lifeline< lernst du, Verantwortung für dich selbst zu übernehmen. Für deine Gefüh­le. Es ist ein konstruktiver Prozeß, und ich weiß, konstruktive Dinge sagen dir zu. Mankann diese Dinge lernen, man lernt neue Wege, mit Menschen in einer Gruppe zu sein, die einem Mut macht. Du wirst dich geborgen fühlen. Vertrau mir, Harry, es wird dich glück­lich machen.«

Boom Boom vertrauen war das letzte, was Harry wollte. »Ich bin nicht der Typ für so was.«

»Ich würde es sogar bezahlen.«

»Was?«

»Das ist mein Ernst. Ich fühle mich so elend, weil du noch immer wütend auf mich bist. Ich möchte, daß wir Freundinnen sind. Bitte, überleg dir mein Angebot.«

»Ich - « Harry stotterte überrumpelt: »Ich, ich - Himmel, Boom Boom.« »Denk drüber nach. Ich weiß, du wirst tausend Gründe finden, es auszuschlagen, aber warum nimmst du nicht einen Zettel und listest das Für und Wider auf? Du könntest mehr Gründe finden, dich bei >Lifeline< zu engagieren, als dir bewußt sind.«

»Ah - ich werd's mir überlegen.«

»Noch eine Kleinigkeit.«

»O Gott.«

»Denk darüber nach, daß du Fair immer noch liebst.«

»Tu ich nicht! Ich hab ihn gern, aber ich liebe ihn nicht.«

»Lifeline.« Boom Boom entschwand mit einem engelhaften Lä­cheln.

Harry atmete tief durch, ihr Herz hämmerte. Jim Sanburnes mitter­nachtsblauer Landrover schwenkte in Sicht. Sie faßte sich.

»Gibt's was Neues?« erkundigte sich Larry.

»Alles in Butter«, sagte Harry.

»Ist Ihnen nicht gut?« fragte der Doktor, der ihr gerötetes Gesicht und ihren hastigen Atem bemerkte.

»Mir fehlt nichts. Wann ist das nächste Rennen?«

»In einer halben Stunde. Ungefähr«, antwortete Jim.

»Ich brauche eine Co-Cola.«

»Sie brauchen was ganz anderes«, scherzte Larry. »Sie keuchen wie ein Güterzug. Wollen Sie nicht am Montag in meine Praxis kommen? Wie lange haben Sie sich schon nicht mehr gründlich un­tersuchen lassen?«

»Larry, mir fehlt nichts. Ich hatte bloß ein kleines Tete-a-tete mit Boom Boom.«

»Das erklärt alles.« Er lächelte, und als die beiden Männer weiter­fuhren, fragte Jim: »Hat sie>Titt-ä-titt< gesagt?«

»Nein.« Larry lachte laut. »Jim, Sie sind ein Primitivling mit Geld.«

Jim grunzte. »Hat sich für mich nach Körperteilen angehört, mein lieber Freund.«

2

»Mom, ich hab Hunger.«

»Tucker, hör auf zu kläffen, du gehst mir auf die Nerven.«

»Du hattest ein Schinkenbrötchen, und ich hab seit dem Frühstück nichts gegessen.« Der Duft, der den Verpflegungszelten entströmte, trieb Tucker zum Wahnsinn.

Harry sah auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Sie sauste in ein Zelt, schnappte sich ein Brathähnchen, einen kleinen Behälter mit Krautsalat, einen mit Bohnen, eine kalte Cola und einen großen Be­cher Tee mit Plastikdeckel.

Als Harry sich durch die Menge schob, kam sie am Jockeyzelt vor­bei. Ein Tumult ließ sie innehalten. Die Zeltklappe öffnete sich und gab den Blick frei auf bunte Dressen auf Kleiderbügeln, die an einem quer durch das Zelt gespannten Seil hingen. Elastische Binden, Kap­pen und Socken waren auf niedrige Bänke geworfen.

Nigel, dessen kurzgeschnittenes Haar in der Sonne glänzte, stürzte heraus. Chark Valiant stürzte hinterdrein.

»Laß ihn in Ruhe«, rief Addie ihrem Bruder nach. Sie öffnete die Zeltklappe und steckte den Kopf heraus. Sie war noch nicht fertig umgezogen und konnte sich nicht vollständig zeigen.