Justin sah sich das Blatt näher an.
»Ich schätze, ich würde eine Sechs bekommen.«
»Kann ich deine Arbeit sehen?«, fragte ich.
Justin holte sie heraus. Er hatte seitenweise Gleichun gen geschrieben. Es gab sogar ein paar Skizzen mit Mu siknoten, die offenbar seine These rüberbringen sollten.
Überall waren Anmerkungen von Mach und am Ende stand die Note: eine Zwei minus.
»Justin«, sagte ich, »ihr Typen seid anders als wir. Ihr seid stärker. Ihr könnt fliegen. Ihr könnt eure Gestalt ver ändern. Seid ihr auch schlauer als wir?«
Justin dachte eine Weile nach.
»Glaub ich nicht«, meinte er schließlich. »Ich glaube, wir strengen uns bloß mehr an. Es wird irgendwie von uns erwartet.«
Ileana setzte sich.
»Du warst heute lange in Mr Horvaths Büro«, sagte sie.
Ich erzählte ihr, was passiert war.
»Würde es dir was ausmachen, mir etwas von deinen Arbeiten zu zeigen?«, fragte sie.
Ich zeigte ihr meine Hausaufgaben.
»Alles zusammengenommen würde ich sagen, du ar beitest etwa auf dem Niveau der dritten Klasse«, sagte sie schließlich. »Das bedeutet, du bist sechs Jahre hinterher.
Du hast also noch ein ganz schönes Stück aufzuholen, aber ich bin mir sicher, dass du es schaffen kannst.«
»Dritte Klasse«, sagte ich. »Ich bin erledigt.«
Als ich zum Wasserball kam, stand Underskinker auf seinen Hinterbeinen beim Sprungbrett.
»Ihr Flaschen habt morgen 'n Spiel«, verkündete er.
»Das heißt zweierlei. Erstens: Wenn ma gegen St. Bid dulph antreten, dann hätt ich gern, dass ihr Flaschen es wie 'n Spiel ausschaun lasst. Keine Schwimmhilfen und kein Verlassen des Beckens vor Spielende. Zweitens: Ihr werdet diese Badekappen tragen. Is mir wurscht, ob ihr damit blöd ausschaut. Ihr schaut sowieso blöd aus. Drit tens: Die Ersatzmannschaft wird auch hier sein. Kommt ihnen nich in die Quere. Viertens ...«
Underskinker hörte auf zu reden. Seine Stirn runzelte sich wie ein nasses Handtuch. Für einen Moment blick ten seine Augen beinahe klar. Schließlich sagte er: »Und viertens: Vergesst nich, was ich euch gesagt hab.«
Er vollführte eine seiner langsamen Drehungen und schlurfte in sein Büro zurück.
Sobald er weg war, machten die anderen, dass sie aus dem Wasser kamen. Ich schwamm mit geschlossenen Augen hin und her und genoss einfach das Wasser.
In der Schwimmhalle wurde es immer ruhiger, als die Jungs einer nach dem anderen verschwanden. Ziemlich bald war da nur noch das Geräusch, das ich im Wasser verursachte, und das angenehme, warme Gefühl kehrte zurück. Das Gefühl, nicht in Massachusetts zu sein, nir gendwo zu sein, bloß genau hier und jetzt.
Dieses Gefühl hielt an, bis ich die Augen aufmachte.
Charon hockte neben dem Becken. Seine riesigen gelben Augen starrten mich geradewegs an.
»Ich glaube, Underskinker ist in seinem Büro«, sagte ich zu ihm. »An deiner Stelle würde ich unter dem Schreibtisch nach ihm suchen.«
Charon rührte sich nicht von der Stelle.
»Bist du wegen mir da?«, fragte ich ihn.
Charon stand auf.
»Okay, einen Augenblick. — Möchte Horvath mich noch einmal sehen?«, fragte ich, als ich aus dem Becken kletterte.
Charon wedelte schwach in Bodennähe.
»Das heißt Nein, stimmt's?«, sagte ich.
Der Schwanz wedelte hoch in der Luft.
»Okay, was ist es dann?«
Als Antwort drückte er seine Nase an meine. Ich machte einen Schritt zurück. Er folgte mir.
Was sollte das? Würde er mich angreifen, weil ich bei Horvath den Mund zu voll genommen hatte? Ich mach te noch einen Schritt zurück. Er folgte mir wieder.
»Ist es wegen meiner Noten?«
Ein Wedeln, ganz hoch in der Luft.
Noch zwei Schritte und ich stand mit dem Rücken zur Wand.
»Hör mal«, sagte ich, »einen Moment ...«
Charon stellte sich auf die Hinterbeine und legte mir seine riesigen Pfoten so schwer auf die Schultern, dass ich fast umgefallen wäre.
Er senkte den Kopf und leckte mir übers Gesicht.
Dann ließ er sich wieder auf alle viere fallen und trot tete zur Tür hinaus, ohne sich umzublicken.
Spielregeln
Der nächste Tag war ein Dienstag. Das bedeutete, die Pfähler hatten ein Spiel. Da wir nie trainiert hatten und ich nicht einmal die Regeln kannte, nach denen ge spielt wurde, war ich ziemlich neugierig, was passieren würde.
Um halb drei hielt ein kleiner gelber Bus bei der Schwimmhalle. Auf der Seite stand B I S C H Ö F L I C H E
S C H U L E ST. B I D D U L P H G E H E N N A - O S T .
Es stiegen fünfzehn Typen aus. Dreizehn Jungs und zwei Männer. Sie begaben sich in Zweierreihen zur Schwimmhalle, fast im Marschschritt. Sie gingen Rich tung Umkleideraum und verhielten sich dabei beinahe so ruhig wie Jenti.
Ich fragte mich, warum es so viele waren. Die Männer schienen die Trainer zu sein, aber warum so viele Jungs?
Waren ein paar von ihnen Fans? Nein, alle hatten Sport-taschen mit, auf denen seitlich DIE HEILIGEN V O N
ST. B I D D U L P H stand.
Ich folgte den Heiligen in die Schwimmhalle.
Das Schwimmbecken war für das Spiel vorbereitet worden. Auf beiden Seiten des Beckens gab es schwim mende Käfige für den Ball und weiße Linien an den Längsseiten, um die Mittellinie zu markieren. Auf der einen Seite des Beckens stand ein Tisch, an dem vier Männer saßen, zwei weitere Männer standen an der Vier-Meter-Linie und noch mal vier bei den Ecken des Schwimmbeckens; alle waren mit Pfeifen und Fähnchen ausgerüstet. Das Ganze sah sehr offiziell aus.
Ich ging in den Umkleideraum.
Underskinker wanderte in den Gängen auf und ab und sah verrückter aus, als ich ihn je erlebt hatte. Natür lich hielt er eine Bierdose in der Hand, aber er schenkte ihr keinerlei Aufmerksamkeit.
Louis Lapierre sah ihn kommen und brüllte: »Trainer, wegen dem Spiel — wir brauchen nicht nass werden, oder?«
Underskinker zerdrückte die Dose und Bier spritzte über seine Füße. Beide Mannschaften lachten.
»Ihr Flaschen seid alles Flaschen, ihr Flaschen!«, brüllte Underskinker und verschwand.
Jason Barzini setzte sich die kleine blaue Gummibade kappe auf, die wir tragen mussten.
»He, Barzini, süß siehst du damit aus«, frotzelte ich ihn.
»Halts Maul, Stoker, oder du bist tot«, war Master Barzinis Antwort.
Brian Blatt meinte: »Mach schon, Barzini. Zeit für echte Männer, von hier zu verschwinden, bevor die Vampis auftauchen.« Die beiden folgten den anderen Pfählern zum Schwimmbecken hinaus.
Ich sah mir meine Kappe näher an. Außen blau, innen weiß. Eine Wendekappe. Ich drehte die blaue Seite nach außen und setzte sie auf.
Um mich herum zog sich die Mannschaft von St. Bid dulph um, so schnell und leise sie konnte.
»Sagt mal, warum sind von euch so viele da und von uns nur so wenige?«, fragte ich.
Keine Antwort.
»Ihr seid also die Heiligen, was?«, sagte ich.
Wieder keine Reaktion. Sie setzten ihre weißen Bade kappen auf, ohne nach links oder rechts zu schauen.
Einen Augenblick später war ich allein.
Als ich hinauskam, alberten die Pfähler im tiefen Ende des Beckens herum. Sieben Jungs von der St.-Biddulph-Mannschaft waren im Wasser und sechs saßen auf der Reservebank an der Hinterwand. Jetzt kapierte ich. Sie waren Ersatzleute. Sie hatten Ersatzleute und wir nicht.
Was für ein Beschiss.
Dann kam eine Reihe Jenti in Mannschaftsbadehosen und Gummikappen herein.
Jenti in Badehosen? Einen Augenblick später begriff ich. Unsere Mannschaft brauchte eine bestimmte Anzahl Spieler, aber es gab nicht genug Gadje. Damit also alles normal aussah, hatte Horvath sechs Jenti-Jungs als Er satzspieler für die Mannschaft bestimmt. Sie konnten na türlich nicht ins Wasser. Ersatzleute - bloß würden sie nie jemanden ersetzen.