Gregor traf mit seiner Clique ein. Als sie mich sahen, gab er ihnen ein Zeichen, dass sie warten sollten, und kam zu mir her.
»Was machst du hier?«, knurrte er. »Du kannst nicht eingeladen sein!«
Ich sagte nichts. Ich musterte ihn nur von oben bis unten, als hätte seine Mutter ihn komisch angezogen.
»Zeig mir deine Einladung«, verlangte er.
»Zeig mir deine. Oder bist du hier, um beim Servieren zu helfen?«
Gregor baute sich vor mir auf. »Gadjo, was auch im mer Ileana sagt - du gehörst nicht hierher. Wenn du die ses Haus betrittst, dann werde ich — gezeichnet oder nicht - einen Weg finden, mich zu rächen.«
Ich streckte meine Hand aus und musterte meine Nä gel. »Schau dir das an. Der glatte Horror«, sagte ich.
Gregor hielt mir seine geballte Faust unter die Nase und drohte mir. Dann drehte er sich um und ging zu sei nen Freunden zurück. Sie marschierten am Tor vorbei zum Haus.
Ich stand da, während die Reihen der Jenti sich lang sam lichteten und die Straße sich leerte. Soweit ich es be urteilen konnte, waren keine anderen Gadje eingeladen worden. Und wenn doch, dann waren sie nicht aufge taucht. Und noch immer kein Zeichen von Justin.
Es ging ein kalter Wind, der mich schließlich hinein trieb.
Kennt ihr diese Filme, wo die verrückte Familie in dem alten Haus einen zweieinhalb Meter großen Butler hat, der wie Frankensteins Monster aussieht? Der Butler der Antonescus war bloß etwas über zwei Meter groß und sah aus wie Dracula.
»Willkommen, junger Herr. Ich bin Ignatz. Darf ich vielleicht Ihren Namen erfahren?« Er schnurrte irgend wie — falls Tiger schnurren.
»Cody Elliot«, sagte ich.
Während wir uns unterhielten, nahm mir einer mein Geschenk ab und ein Zweiter half mir aus dem Mantel.
»Ah, Master Elliot. Es gibt besondere Instruktionen Sie betreffend. Dies ist Ihr erster Besuch bei den Antonescus, nicht wahr? Szasz, geleiten Sie Master Elliot zum Ballsaal.«
Natürlich hatte Ileanas Haus einen Ballsaal. Er befand sich vermutlich genau über dem überdachten Polospiel feld.
Szasz, der tatsächlich wie Frankensteins Monster aus sah, führte mich durch eine lange Halle und zu einer Art Hof — ich weiß, Häuser haben keine Höfe, aber das war eben einer - und eine geschwungene Treppe hinauf. Ich hatte noch nie zuvor eine geschwungene Treppe ge sehen, aber hier war sie, wie in Moms und Dads alten Filmen. Sie schwang sich in einem langen, anmutigen Bogen nach oben, als wollte sie fliegen, und hörte im zweiten Stockwerk auf. Dort standen Doppelflügeltüren offen, durch die die Musik kam.
Als ich den Ballsaal betrat, drehten sich sämtliche Jenti um und sahen mich an. Dann wandten sie mir den Rü cken zu. Einen Augenblick lang stand ich einfach da, wagte nicht weiterzugehen und wusste nicht, was ich tun sollte.
Dann glitt Ileana mit ausgestreckter Hand durch die Menge hindurch auf mich zu. Sie trug ein wunderschö nes weißes Kleid und eine dunkelrote Rose über dem Herzen.
»Bist du also doch noch gekommen«, sagte sie. »Ich habe auf dich gewartet.«
»Ich hab draußen gewartet«, erklärte ich. »Ich wollte gemeinsam mit Justin hier auftauchen.«
»Er kann nicht kommen. Er ist krank«, sagte Ileana und machte ein langes Gesicht. »Es ist gut, dass du he reingekommen bist.«
»Was hat er?«, fragte ich.
»Das hat er nicht gesagt«, antwortete sie traurig.
»Komm, ich muss dich ein paar Leuten vorstellen.« Dann ergriff sie meinen Arm und führte mich zu ihren Eltern.
»Papa, du erinnerst dich sicher noch an Cody Elliot.
Mama, das ist der Junge, der Justin an jenem Tag zu Hilfe geeilt ist.«
»Es freut mich sehr, dich wiederzusehen«, sagte Mr Antonescu und schüttelte mir die Hand. »Ich habe von Ileana sehr viel Gutes über deine schriftstellerische Tä tigkeit gehört.«
Warum musste er damit anfangen?
Mrs Antonescu lächelte. Sie sah aus wie Ileana, klein und sehr schön.
»Ah, der junge Held«, sagte sie mit starkem Jenti-Akzent.
»Und wie findest du Vlad Dracul?«, fragte mich Mr Antonescu.
»Oh, äh — anders«, antwortete ich. »Sehr anders.«
»Ja, das ist sie wohl.« Mr Antonescu lächelte. »Aber ich frage mich, ob es dir dort gefällt.«
Ich hätte irgendwas Höfliches antworten können, aber Mr Antonescu sah nicht aus, als ließe er sich von Höf lichkeiten täuschen.
»Es gibt kein Gesetz, dass Schule einem gefallen muss«, sagte ich. »Ich mag Ileana und Justin und die Schwimm halle, wenn ich allein dort bin. Auf den Rest kann ich verzichten.«
Mr Antonescu wandte sich an Ileana. »Eine gute, ehr liche Antwort«, sagte er. »Es ist, vor allem in meinem Beruf, erfrischend, so etwas zu hören. Ich danke dir.«
Ich hatte das Gefühl, bei irgendeiner Art Test durch gefallen zu sein.
»Komm«, sagte Ileana, »ich zeige dir deinen Platz.«
An einem Ende des Raums waren lange Tische aufge stellt. Ich sah, dass vor jedem Gedeck eine kleine Tisch karte stand. Am anderen Ende des Saals war ein Tisch im rechten Winkel zu den anderen Tischen gedreht. Er be fand sich auf einem Podium und es gab nur auf einer Seite Stühle, so dass sie allen anderen im R a u m gegen-
überstanden.
»Das da ist deiner«, sagte Ileana.
Mein Platz war genau neben ihrem.
»Jetzt muss ich dich ein paar Freunden von mir vor stellen«, meinte Ileana.
Wir gingen auf zwei Mädchen zu.
»Marie und Erzsebet, das ist Cody Elliot«, sagte sie.
»Cody, das sind Marie und Erzsebet Haraszthy. Sie sitzen ebenfalls an unserem Tisch.«
»Wie geht's?«, schnurrten beide.
»Darf ich mich bitte entschuldigen?«, sagte Ileana. »Ich muss noch ein paar andere Leute begrüßen.«
Wir drei standen da und lächelten, wie Leute eben lä cheln, wenn sie nicht wissen, was sie sonst tun sollen.
Um genau zu sein — sie lächelten auf mich herab. Marie, die Kleinere, war einen halben Kopf größer als ich. Erz sebet war noch größer.
»Ihr geht also auch an die Vlad?«, fragte ich Erzsebets Schulter.
»Vlad?«, fragte sie vorsichtig, als wäre sie nicht daran gewöhnt, Englisch zu sprechen. »Nein, nein. Wir sind nicht aus den Vereinigten Staaten!«
»Wir sind echte Transsylvanier«, sagte Marie und lä chelte mich dabei an, als wäre ich das bestaussehende Sandwich, das ihr je unter die Augen gekommen war.
»Obwohl unsere Familien natürlich schon seit vielen Jahren in Paris leben«, fuhr Erzsebet fort. »Das war we gen der Kommunisten in Ungarn und Rumänien nötig.
Nun bleiben wir, weil — nun, weil es eben Paris ist.«
»Aber wir verbringen einen Teil des Jahres im — ent schuldige, auf dem — Land unserer Vorfahren«, sagte Ma rie. »Es ist wichtig, dass man sich eine Verbindung zu sei nen Ursprüngen bewahrt, findest du nicht auch?«
»O doch«, antwortete ich. »Ich bin aus Kalifornien und vermisse es sehr.«
»Ein Gadjo aus Kalifornien«, sagte Erzsebet. »So etwas habe ich noch nie getroffen.«
Marie legte die Hand auf meinen Arm.
»Du musst uns erzählen, wie du unsere Ileana kennen gelernt hast«, sagte sie.
Ich würde diesen Mädchen bestimmt nichts über Illy rien erzählen. Sie verhielten sich so, als würden sie auf die siebenunddreißig zugehen, und nicht wie die Fünf zehnjährigen, die sie waren. Ich meine - blasiert.
»Wir sind Klassenkameraden«, gab ich zur Antwort.
»Ileana, Justin - kennt ihr übrigens Justin Warrener? -
und ich. Wir hängen oft gemeinsam ab.«
»Aha. Ihr hängt also ab«, sagte Erzsebet, als hätte ich etwas Witziges gesagt und sie kämpfe gerade gegen ein Lachen an.
»Abhängen muss sehr nett sein«, meinte Marie. »Wir haben zu Hause keine Gelegenheit dazu.«