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»In Europa sind wir immer mit irgendetwas be schäftigt«, sagte Erzsebet. »Man erwartet das so von uns.«

»Sie halten uns an der Vlad auch ganz schön auf Trab«, sagte ich.

»Aber ihr findet trotzdem Zeit zum Abhängen«, meinte Marie.

»Nach der Schule«, gab ich zurück.

Marie und Erzsebet warfen sich dieses gewisse rätsel hafte Lächeln zu, bei dem Jungs sich wie Kröten vor kommen. Dann richteten sie ihre schönen, strahlenden Augen auf mich, als wäre ich ein Witz, den sie nicht so recht verstanden.

»Und, bleibt ihr lange hier?«, fragte ich in dem Ver such, die Stille mit etwas zu füllen.

»Nein. Wir kehren sehr bald nach Europa zurück«, sagte Erzsebet. »Wir sind nur gekommen, weil Ileanas Geburtstag so überaus wichtig ist.«

»Kommt ihr jedes Jahr zu ihrem Geburtstag her?«, fragte ich.

»Wohl kaum«, antwortete Marie. »Du musst wissen, dass der fünfzehnte Geburtstag bei uns von überaus gro ßer Bedeutung ist.«

»Hab noch nie davon gehört«, erwiderte ich.

»Du hast wohl die Rose bemerkt, die sie trägt«, sagte Erzsebet. »Das bedeutet, dass sie jetzt eine Frau ist.«

»Sie ist in keinerlei Hinsicht mehr ein kleines Mäd chen«, sagte Marie.

»In Europa würde sie bereits wissen, wer ihr zukünf tiger Ehemann ist«, sagte Erzsebet. »Aber hier ...« Sie wedelte mit der einen Hand, als würde sie etwas ver scheuchen.

»Hierzulande werden nicht einmal die Jenti so reif, wie sie sollten«, meinte Marie. »Und das ist bedauerlich, wenn man bedenkt, wer sie ist —«

»Aber es steht uns nicht zu, das zu kritisieren«, unter brach sie Erzsebet.

»Nein, gewiss nicht«, bekräftigte Marie.

»In Amerika liegen die Dinge eben anders«, sagte Erzsebet. »In Europa wäre es undenkbar, an einem Festtag wie diesem einen Gadjo in unserer Mitte zu haben.«

Und wieder lächelte sie mich an.

Dieses Lächeln machte mich verrückt.

»Ja«, sagte ich. »Ihr wisst ja, wie Amerika ist. Wir lassen jeden herein. Sogar Vampire. U n d jetzt entschuldigt mich bitte.« Ich lächelte zurück und ging.

Reizende Leute auf dieser Party. Wo war Justin bloß, wenn ich ihn brauchte?

Dad hatte mir sein Mobiltelefon mitgegeben, damit ich ihn anrufen konnte, wenn ich abgeholt werden wollte.

Ich ging auf den Flur hinaus und wählte Justins Nummer.

»Hallo?« Ich erkannte Mrs Warreners schöne Stimme.

»Hallo, Mrs Warrener, hier ist Cody Elliot«, sagte ich.

»Ich wollte nur fragen, wie es Justin geht.«

»Justin wird in ein, zwei Tagen wieder auf dem Damm sein«, antwortete sie und hörte sich traurig an. Sie zö gerte. »Es ist nur so, dass unser Blutvorrat diesen Monat etwas zu früh zu Ende gegangen ist. Ich glaube nicht, dass Justin dir je davon erzählt hat, aber er braucht etwas mehr als die durchschnittliche Menge, und diesen Mo nat - er musste aufbrauchen, was wir noch hatten.«

Ich hörte ein Schluchzen und wie sie es zu unterdrü cken versuchte.

»Und wie geht es Ihnen, Mrs Warrener?«, fragte ich.

»Oh, mir geht es ziemlich gut, danke. Ich brauche ein paar Tage nicht zu — zu trinken. Bis dahin wird wieder etwas Geld im Haus sein.«

»Kann ich bitte mit Justin reden?«, fragte ich.

»Einen Augenblick.«

»Hallo«, flüsterte Justin.

»He, Mann! Ich bin auf Ileanas Party und alle hier schauen mich an, als stünde ich auf der Speisekarte«, sagte ich. »Ich kenn hier niemanden außer Ileana und Gregor und seiner Gang. Hilfe!«

»Ich kann nicht kommen, das weißt du ja«, sagte er bitter. »Meine Mutter hat dir erklärt, warum.«

»Aber wenn du etwas - etwas Menschensaft bekämst, könntest du es dann hierher schaffen?«

Justin seufzte. »Es ist der einzige Ort, an dem ich gern wäre.«

»Warum sage ich Ileana dann nicht einfach, sie soll dir eine Gallone rüberschicken? Sie müssen es hier fässer weise haben!«

Am anderen Ende der Leitung herrschte langes, langes Schweigen.

Schließlich sagte Justin: »Das kann ich nicht. Ich kann nicht darum bitten.«

»Und warum nicht? Gibt es bei euch Typen irgend eine Art Gesetz gegen das Teilen?«

»Nein«, sagte Justin nach einem Moment. »Es ist kein Jenti-Ding. Es ist ein altes New-England-Ding. Es hat mit mir zu tun. Wir ... Ich ... ich kann sie einfach nicht darum bitten, das ist alles.«

In meinem Kopf verfluchte ich Justin und seinen ver dammten Stolz gründlich. Ich hätte beinahe »Dann also okay« gesagt und aufgelegt. Aber dann sah ich mich in diesem Speisesaal voller Erzsebets und Maries sitzen und sagte stattdessen: »Mach dich fertig. Ich komm zu dir rü ber.«

»Bleib auf der Party«, flüsterte Justin. »Ileana möchte dich dort haben.«

»Sie möchte dich hier haben«, sagte ich. »Also komm ich zu dir rüber und bring dir was zu trinken. Das ist ein Befehl und keine Bitte.«

Mann, klang ich heroisch. Bedeutend heroischer, als ich mich fühlte.

»Nein! Du bist mein Freund. U n d Ileana hat dich ge zeichnet.« Ich hörte, wie das Telefon komische kleine Klopfgeräusche von sich gab. Justin hatte es fallen las sen.

»Ich werde sie nett darum bitten«, sagte ich. »Ich möchte, dass du auf und bereit für die Party bist, wenn ich vor deiner Tür stehe.«

Ich konnte nicht glauben, was ich da machte. In mei nem Kopf drehte sich alles vor Angst. Aber ich brauchte Justin ebenso sehr wie er mich.

Ich ging wieder in den Saal zurück und fand Ileana.

»Ich weiß jetzt, was mit Justin los ist«, sagte ich. »Ich kann ihn hierherschaffen, aber ich brauche deine Er laubnis für etwas.«

»Wofür?«

»Du musst mir erlauben, ihm ... einen Drink aus dei nem Privatvorrat zu geben«, sagte ich.

Ileanas goldene Augen wurden groß. Dann lächelte sie wie die aufgehende Sonne.

Ich muss verliebt sein. Sogar ihre Eckzähne sehen niedlich aus.

»Das würdest du für ihn tun? Du würdest meinen Freund zu mir bringen?«, sagte sie und legte mir die Hand auf den Arm.

»Wenn du es mir erlaubst. U n d wenn jemand mich hinbringt«, antwortete ich.

Sie sagte etwas auf Vampirisch zu mir, von dem ich kein Wort verstand, aber ich mochte die Art, wie sie es sagte — sehr sogar. Dann redete sie mit einem der Diener.

Er führte mich rasch durchs Haus, in den Küchentrakt hinunter und dann hinaus in eine beheizte Garage von der Größe eines Flugzeughangars. Aus dem Nichts tauch te ein Chauffeur auf und öffnete die Tür einer Limou sine für mich.

»Sie wissen, wohin wir fahren?«, fragte ich ihn.

»Sehr wohl, Sir«, antwortete er und schlug die Hacken zusammen.

In zwanzig Minuten waren wir bei Justin.

»Können Sie bitte warten?«, bat ich.

»Selbstverständlich, Sir, solange es dauert. Ich stehe zu Ihren Diensten.«

Ich ging zur Tür und klopfte an. Ich wollte irgendet was Witziges sagen, um meine Nervosität zu überspielen, aber als ich Mrs Warreners Gesicht sah, konnte ich nicht.

»Er wartet auf dich«, sagte sie.

Justin saß auf einem Stuhl und hatte seinen Smoking halb an. Das Jackett hing an der Tür und sein Ärmel war hochgekrempelt. Er versuchte bei meinem Eintreten den Kopf zu heben, aber er schaffte es nicht.

Auf einem kleinen Tisch neben ihm waren Schläuche und Nadeln sowie ein Stuhl für mich.

Ich zog meine Jacke aus, setzte mich und rollte den Ärmel hoch.

»Ich hoffe, du weißt, dass ich dich mag«, sagte ich. »Ich hasse Nadeln.«

»Es gibt immer noch die gute altmodische Art, wenn dir das lieber ist«, keuchte er.

»Nadel«, gab ich zurück.

Mrs Warrener reinigte meinen Arm mit Alkohol und stach die Nadel hinein, als gäbe sie mir einen Kuss. Sie drückte mir so ein Gummizeug zum Festhalten in die Hand und sagte mir, ich solle den Druck meiner Faust konstant halten.