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>»Andere< heißt Gregor Dimitru, nicht wahr?«

Horvath machte weiter, als hätte er mich nicht gehört, also hatte ich ins Schwarze getroffen.

»Die Einladung der Antonescus war zwar großzü gig, jedoch eine Fehleinschätzung«, sagte er, »und wenn Sie hier aufgewachsen wären, dann hätten Sie es besser gewusst und die Einladung nicht angenommen. Ich möchte Ihnen ein paar Worte von einem Ihrer wunder baren alten New-England-Dichter mitgeben. Ich hoffe, Sie haben schon einmal von Robert Frost gehört?«

Ich nickte.

»In >Mauern ausbessern« sagt er uns: >Gute Zäune ma chen gute Nachbarn««, meinte Horvath.

Ich kannte das Gedicht. Es stand in Shadwells Lehr buch.

»Ist das nicht jenes Gedicht, in dem es auch heißt: >Da ist etwas, das mag die Mauern nicht«?«, fragte ich.

Horvath starrte mich wütend an.

»Mr Horvath«, begann ich und versuchte meine Stim me davon abzuhalten, vor Zorn und Angst zu zittern.

»Als ich hierherkam, haben Sie mir gesagt, dass mir ein paar Dinge an dieser Schule am Anfang vielleicht merk würdig vorkommen würden. Sie haben gesagt, ich kön ne zu Ihnen kommen und um Erklärungen bitten. Nun, wie Sie ja ständig betonen, ich bin nicht von hier. Wie es scheint, benehme ich mich hin und wieder auf eine Art und Weise, die Ihnen fremd erscheint, und ich erkläre das wohl besser. Zuallererst: Ich freunde mich mit Leu ten an, die ich mag. Zweitens: Es passt mir nicht, mir von Ihnen sagen zu lassen, was ich zu tun und zu lassen habe, wenn ich nicht auf dem Campus bin. Und drittens: Ich habe noch ein paar Überraschungen auf Lager. Hilft Ih nen das weiter?«

»Verlassen Sie mein Büro«, knurrte Horvath.

Was ich tat.

Worte und Schweigen

Danach brauchte ich niemanden, der mir sagte, dass Horvath es jetzt auf mich abgesehen hatte. Justin tat es trotzdem.

Wir waren in der Schwimmhalle. Es war später Nach mittag. Seit Ileanas fünfzehntem Geburtstag hatte Justin sich dort mit mir getroffen, falls wir nicht zum Lernen zu ihm nach Hause gingen. Er kam, wenn die anderen Gadje gerade abhauten, und sah mir eine Weile beim Herumplanschen zu, als versuche er herauszukriegen, wie ich es machte. Es war komisch — er hasste Wasser ge nauso wie jeder Jenti, aber es schien auch eine gewisse Faszination auf ihn auszuüben. Das hatte ich bei keinem von den anderen bemerkt. Heute kauerte er sogar auf dem Sprungbrett. Als ich ihn entdeckte, tauchte ich unter und schwamm zu ihm hinüber. Langsam kam ich ne ben ihm hoch, um ihn nicht vollzuspritzen.

»He, Mann! Du machst besser, dass du von dem Ding da runterkommst. Sprungbretter können für Jenti ge sundheitsgefährdend sein.«

»Ich wollte nur wissen, wie es sich anfühlt, von Wasser umgeben zu sein«, meinte er.

»Und, wie fühlt es sich an?«, fragte ich ihn.

»Irgendwie trocken, wenn man es auf diese Weise macht«, sagte er. Er lächelte, dann hörte er auf. »Weißt du, dass Horvath versucht einen Gadjo-Jungen zu finden, um dich zu ersetzen?«

»Nein«, sagte ich. »Wer hat dir das erzählt?«

»Ich kenne jemanden, der nach der Schule freiwillig in seinem Büro aushilft. Sie hat gehört, wie er in der ganzen Stadt herumtelefoniert hat, um irgendeinen Gadjo zu finden, der bereit ist hierherzukommen, damit er dich rauswerfen kann.«

»Mich rauswerfen? Weshalb?«

»Er ist der Direktor. Er kann sich was aus den Fingern saugen«, sagte Justin. »Dieses Mädchen wollte jedenfalls, dass du es weißt.«

»Danke, dass du's mir ausgerichtet hast!«, schnauzte ich ihn an und trat mit dem Fuß so stark gegen die Becken wand, dass ich ihn fast vollspritzte. »Verdammter Hor vath! Jetzt hat er endlich einen Gadjo, der wirklich hier zur Schule gehen will, und dann versucht er ihn loszu werden!«

»Auf die Lehrer ist er auch wütend«, fügte Justin hinzu. »Er will, dass sie aufhören dir echte Noten zu ge ben, aber sie werden nicht klein beigeben. Was ich damit sagen will - mach dir nicht allzu viele Sorgen. Er kann dich nicht loswerden, solange er niemanden hat, der dich ersetzt, und das wird nicht einfach sein. Die alteingeses senen Familien haben Angst, ihre Kids an die Vlad zu schicken. Und sie blicken aufjeden herab, der es tut. Die meisten Gadje, die zu uns kommen, sind überall sonst rausgeflogen.«

Ich stützte meinen Kopf wieder am Beckenrand ab und ließ ihn von einer Seite auf die andere rollen. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Selbst mit all der Hilfe, die ich von Justin, Ileana und Ms Vukovitch bekam, hatte ich jede Menge Probleme. Es war nicht so, dass ich nichts lernte; ich lernte einen Haufen. Aber je mehr ich lernte, desto weniger wusste ich. Ich bekam eine Vier plus in Mathe, eine Vier in Sozialkunde, eine Drei in Turnen wie alle anderen auch. Eine Vier in Physik und eine Eins in Wasserball. In Englisch bekamen wir unsere Noten erst am Ende des Schuljahres, aber ich wusste, wie meine aussehen würde. Das Einzige, was ich abzugeben hatte, war mein lausiges, halb fertiges Epos.

Aber meine größte Sorge war Ileana. Alle waren an ders zu mir, seit ich Justin am Tag ihres fünfzehnten Ge burtstags auftanken hatte lassen, aber niemand mehr als sie. An der Oberfläche war alles unverändert. Hausaufga ben, Illyrien. Gemeinsames Mittagessen in der Schule.

Manchmal befolgten wir das alte Gadje-Ritual und hin gen nach der Schule gemeinsam ab. Aber das Schweigen, das sich zwischen uns ausgebreitet hatte, war noch im mer da. Es war kein leeres Schweigen. Sie wartete, dass ich ihr etwas sagte. Das wusste ich. U n d ich glaube, ich wusste auch, was es war. Ich wusste bloß nicht, ob ich bereit war es auszusprechen.

Ich fühlte mich wie ein Seemann, der zum ersten Mal und bei Nacht an die Küste Illyriens kommt und sich fragt, was passieren wird, wenn er den Fuß an Land setzt.

Freitags, wenn wir in Justins Keller hinuntergingen, saß Ileana, die Arme um die Beine geschlungen, da, wahrend Justin einen neuen Hafen für Drei Hügel an legte und ich eine Bibliothek neben dem Rathaus in Palmyra errichtete.

»Ms Shadwell kann sie leiten«, sagte ich. »Wir werden einen Flügel für die gesammelten Werke von Anaxander und Vasco schaffen, gleich neben dem von Dracula. Es wird natürlich ein ziemlich großer Flügel sein. Deine Dichter werden noch ein paar Bücher schreiben müssen, um ihn zu füllen.«

Ileana sagte: »Sie können ihre alten Lieder nicht mehr singen. U n d sie warten darauf, die neuen zu hören.«

»Oh«, sagte ich.

»Ach«, seufzte sie.

Am Wochenende hatten M o m und Dad eine unge wöhnliche Idee: Sie beschlossen ins Kino zu gehen.

»Falls du dich für etwa zwei Stunden von deinen schu lischen Verpflichtungen losreißen kannst, würden wir uns freuen, wenn du mitkommst«, sagte Dad.

Ich versuchte, nicht über letzten Freitag nachzuden ken, und mit dem Lernen klappte es auch nicht, also sagte ich: »Klar.«

Wir fuhren in die Stadt.

»Hier geht's aber nicht zum Multiplex«, sagte ich. »Das ist weiter hinten, in der Nähe der Autobahn.«

»In der guten alten Zeit, ehe die Zivilisation ihren durch Filmtheater mit zwanzig Sälen und Styropor wänden verkörperten Gipfel erreichte, waren Kinos im Stadtzentrum und hatten bloß einen Saal«, sagte Dad.

»Und zu so einem O r t gehen wir jetzt.«

»Das Loring-Theater ist das, was man ein Programm kino nennt«, erklärte M o m . »Sie zeigen dort Filme, die man nirgendwo sonst sehen kann.«

»Wir wollen schon seit Monaten gehen«, sagte Dad.

»Aber ich hatte so verdammt viel zu tun. Ich habe eigentlich noch immer verdammt viel zu tun, aber deine Mutter und ich werden diesen Film nicht versäumen.«

»Welcher ist es denn?«

»Die Schöne und das Biest«, antwortete Dad.