Sie erzählten auch anderen Firmen, ich sei nicht so gut, wie ich scheine. Sie verbreiteten Lügen über mich, um alle anderen davon abzuhalten, mich abzuwerben.«
Ich konnte nicht glauben, dass Erwachsene so etwas tun würden. Dann fiel mir Horvath ein.
»Also schrieb ich an ein paar Freunde hier in Massa chusetts«, sagte er. »Du weißt ja, dass ich in diesem Bun desstaat Jura studiert habe. Ich bekam ihre Unterstützung und wurde in Massachusetts als Anwalt vor Gericht zu gelassen. Du weißt, was das bedeutet?«
»Es bedeutet, dass du die Zulassungsprüfung zum An walt nicht machen musstest«, sagte ich.
Dad nickte. »Ein Gefallen, den sie mir erwiesen. U n d Leach, Swindol und Twist haben mich so aufgenom men.« Er schnippte mit den Fingern. »Jetzt habe ich end lich die Chance, jene Art Anwalt zu sein, der ich sein wollte, als ich mich drei Jahre lang durchs Jurastudium quälte. Und es ist, was auch nicht nebensächlich ist, eine Chance, deiner Mutter und dir eine bedeutend höhere Lebensqualität zu bieten, als wir je zuvor hatten.«
»Von welcher Lebensqualität redest du?«, sagte ich.
»Du bist nicht glücklich. Ich bin nicht glücklich. Und Mom bestimmt auch nicht.«
»Ich rede von Dingen wie diesem Haus«, meinte Dad.
»Du magst es, nicht wahr?«
»Es ist okay«, gab ich zurück. »Aber jedes Mal wenn du nach draußen gehst, bist du noch immer in Massachu setts.«
»Ich weiß, dass es dir hier nicht gefällt«, sagte Dad.
»Aber denk dran: Du musst nicht für immer hierbleiben.
Wenn du in etwas mehr als drei Jahren mit der High school fertig bist, hast du die Möglichkeit, an ein College irgendwo zu Hause zu gehen. Ich nehme an, deine No ten an der Vlad werden so gut sein wie die aller anderen.
Und was deine Mutter und mich betrifft - wir haben einander und ich habe meine Arbeit, die mich, ob du es glaubst oder nicht, sehr befriedigt. In ein paar Jahren, wenn ich einige wirklich gute Fälle gewinne, kehren wir vielleicht wieder zurück. Vielleicht können wir uns so gar früher zur R u h e setzen. Es ist unglaublich, wie viel bei Leach, Swindol und Twist zu tun ist.«
Mir wurde zum ersten Mal bewusst, wie verschieden mein Vater und ich waren. Mir wäre ein Leben angefüllt mit Dingen nie wichtig genug, um dafür mich und meine ganze Familie unglücklich zu machen. U n d ich war mir ziemlich sicher, dass ich, wenn ich ein Kind hätte, herausfinden würde wollen, was mit ihm nicht stimmt, statt von mir selbst zu reden, wie er es gerade tat.
Aber Dad war eben Dad. Er war er und konnte nicht aus seiner Haut heraus. Zumindest mir gegenüber nicht. Das war schlimm. Doch es war bloß eine Katastrophe mehr auf meiner Liste.
»Also, wenn es in der Schule irgendwelche Probleme gibt, kann ich vielleicht helfen«, sagte Dad. »Möchtest du, dass ich mit Horvath rede?«
»Nö«, sagte ich und stand auf. »Ich denke, ich mach mich zum Gehen fertig.«
Also ging mein Körper am Freitag zur Schule. Er saß im Unterricht und ich glaube, er schrieb sogar mit. Er aß zu Mittag und rannte in Turnen herum. Er ignorierte Ileana und sprach ein paarmal mit Justin. Aber ich war nicht dort. Ich weiß nicht, wo ich war.
Schließlich ging ich in die Schwimmhalle. Ich war al lein dort, aber was soll's. Ich war überall allein. Ich dach te nicht darüber nach, wo die anderen Pfähler sich auf hielten.
Als ich aus dem Umkleideraum kam, riss es mir den Boden unter den Füßen weg und als Nächstes versetzte Barzini mir einen Tritt. Er hatte dabei seine Schuhe an.
Während ich versuchte aufzustehen, bemerkte ich, dass Louis Lapierre und Brian Blatt ein Stück durchsich tige Angelschnur in Knöchelhöhe hielten. Natürlich lachten sie.
»Stell dir vor, Stoker«, sagte Barzini. »Horvath hat einen anderen Gadjo gefunden! Meinen Bruder. Er fängt Montag an.«
Er trat mich in die Rippen.
»Wer braucht dich jetzt also noch?«
Als ich hochzukommen versuchte, trat er mich noch einmal.
Blatt und Lapierre packten mich an den Armen.
»Hast wohl gedacht, wir hätten es vergessen, nicht wahr, Stoker?«, sagte Barzini.
Tritt.
»Wir haben dir gesagt, dass du so gut wie tot bist.«
»Du denkst zu viel«, meinte Blatt und lachte noch mehr.
»Los, Barzini«, sagte Lapierre.
Barzini trat mich wieder. Ich keuchte. Ich war sicher, der nächste Tritt würde mir die Rippen brechen. Aber es kam kein nächster Tritt.
Stattdessen hörte ich Barzini aufjaulen und Justins Stimme, die so etwas wie »Weißt du was? Das ist aber nicht nett« sagte.
Dann segelte Barzini irgendwie über meinen Kopf hinweg ins Schwimmbecken, in dessen Mitte kurz da rauf ein lauter Platsch zu hören war. Danach folgte Brian Blatt, der ein Geräusch von sich gab, das. vielleicht
»Hilfe« bedeuten sollte, aber mehr wie »Hüüüüüüülfp«
klang.
Lapierre bettelte und fluchte ein bisschen, als Justin ihn über seinen Kopf hievte. Dann gab es einen weiteren Platsch und alle drei befanden sich in der Mitte des Be ckens und beschimpften uns.
Justin stand mit verschränkten Armen am Beckenrand.
Vampirstärke. Wenn er sie einsetzen wollte, hatte Justin genauso viel davon wie jeder andere Jenti. Dieser dünne kleine Arm hatte mich an Ileanas fünfzehntem Geburts tag ohne irgendwelche Schwierigkeiten an meinem Platz festgenagelt.
Ich versuchte aufzustehen. Barzini hatte mich übler zugerichtet als Gregor oder Ilie, aber im Großen und Ganzen schien ich in Ordnung zu sein — wenn enorme körperliche Schmerzen und die Unfähigkeit, sich aus eigener Kraft vom Boden zu erheben, als im Großen und Ganzen in Ordnung sein durchgehen können.
Barzini paddelte ans andere Ende des Beckens und be gann herauszuklettern.
»Nix da«, sagte Justin. »Nicht solange wir es dir nicht erlauben.«
Barzini verfluchte ihn.
»Du willst mich nicht ernstlich böse machen, oder?«, sagte Justin.
Meiner Meinung nach war er bereits ernstlich böse.
Seine Vampirzähne waren zu sehen.
Lapierre begann zu jammern.
»Mach schon, lass uns raus«, sagte er. »Das da ist unsere Schulkleidung.«
Justin schüttelte den Kopf.
»Willst du, dass ich sie rauslasse?«, flüsterte er mir zu.
»Ja, okay«, sagte ich. Der Ausdruck in Justins Augen war sogar noch angsteinflößender als seine Vampirzähne.
»Okay, wir lassen euch raus«, sagte Justin. »Aber wenn ihr je wieder auf Cody losgeht, seid ihr alle ein Haufen Brams. Brams. Wisst ihr, was das bedeutet?«
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen wussten Blatt, Barzini und Lapierre genau, was das bedeutete. Sie kletterten aus dem Becken und rannten zu den Umklei deräumen.
Justin wandte sich mir zu und flüsterte: »So etwas wollte ich schon immer mal sagen.«
»Danke«, erwiderte ich. »Wenn du nicht aufgetaucht wärst, hätten sie mich plattgemacht.«
Justin nickte. »Bist du okay?«, fragte er.
»Ich hab mich schon besser gefühlt«, antwortete ich.
»Aber es ist nichts gebrochen.«
»Setzen wir uns einen Moment«, sagte Justin. »Wir wollen diesen Brams eine Chance geben zu verschwin den.«
Er half mir zu einer Bank zu humpeln.
»Warum bist du eigentlich hier aufgetaucht?«, fragte ich. »Du solltest in der Bibliothek sein.«
»Oh. Ich habe gehört, dass vielleicht etwas in der Art passieren könnte«, sagte er. »Diese Kerle reden ziemlich laut.«
Ich spürte, wie es mir die Kehle zuschnürte.
»Weißt du was?«, sagte ich, als ich mir sicher war, dass ich wieder sprechen konnte. »Du bist der beste Freund, den ich je hatte.«
»Du auch«, erwiderte Justin.
Wir hörten die Außentüren der Schwimmhalle zu knallen. Das graue Licht von den Fenstern hoch über der Zuschauertribüne verblasste und das Wasser im Becken wurde dunkel. Schließlich sagte ich: »Könntest du mir vielleicht helfen nach Hause zu kommen? Vielleicht kannst du ja zum Essen bleiben.«