»Klar«, sagte mein bester Freund.
Mr Horvath unterhält sich mit Charon
Justin half mir zu einem Wagen zu humpeln und fuhr mit mir nach Hause.
M o m bekam einen Anfall, als wir zur Tür hineinka men. Sie rief Dad an, dass er nach Hause kommen solle, und als er sah, wie ich ausschaute, wollte er die Schule, die Stadtgemeinde, die Familien der restlichen Wasser ballmannschaft und den Staat Massachusetts verklagen.
Aber nach einer Weile gelang es Justin und mir, die bei den zu besänftigen.
Als sie sich beruhigt hatten, adoptierten Mom und Dad Justin und schenkten ihm ein Auto - okay, nicht wirklich, aber jedenfalls verhielten sie sich so. Ich sagte ihnen die Wahrheit — dass er mich davor bewahrt hatte, noch viel übler zugerichtet zu werden, als ich es ohnehin schon war. Ich erwähnte nichts davon, wie ein so kleiner Kerl wie er das hatte bewerkstelligen können, und sie fragten nicht danach. Es genügte, dass er mein kostbares Ich gerettet hatte. Ihre Lobeshymnen brachten Justin zum Strahlen.
Ich schätze, davon hatte er in seinem Leben nicht viel abbekommen. Als Dad uns an diesem Abend zu Justins HaUs zurückbrachte, stellte er sich Mrs Warrener vor und sagte ihr alles, was er Justin bereits gesagt hatte. Mein Freund war so glücklich, dass er fast weinte. Selbst in meinem zusammengeschlagenen Zustand fühlte ich mich besser, weil er so glücklich war.
Das war der angenehme Teil. Das und ein paar Tage herumliegen zu können und von vorn bis hinten bedient zu werden.
* * *
Der unangenehme Teil kam am Montag, als ich wieder zur Vlad ging. M o m und Dad wollten beide, dass ich zu Hause blieb, aber diese Genugtuung würde ich meinen Mannschaftskumpeln nicht gönnen.
Es stellte sich heraus, dass ich mir deswegen keine Sor gen zu machen brauchte.
Kurz vor neun kam Ms Prentiss in die Matheklasse und trug mir auf, mich bei Mr Horvath zu melden.
Justin war bereits dort. Er saß zusammengekrümmt auf dem großen Sofa. Charon lag an seinem üblichen Platz unter dem Tisch. Bei meinem Eintreten blickte er auf.
»Master Cody. Setzen Sie sich«, sagte Horvath. Er klang nicht gerade glücklich.
Ich setzte mich neben Justin. Horvath begann vor uns auf und ab zu gehen.
»Wisst ihr Jungs eigentlich, was ihr dieser Schule an getan habt?«, fragte er schließlich.
Was wir der Schule angetan hatten? Ja: genau nichts. Wo rum geht's hier eigentlich?
»Sie sind schuld, dass wir drei unserer besten Wasser ballspieler verloren haben«, sagte Horvath, »sowie am Verlust eines neuen Mannschaftsmitglieds.«Jetzt schrie er beinahe. »Ich habe diesen Morgen Telefonanrufe - äu ßerst unerfreuliche Anrufe übrigens, wie ich hinzufügen sollte - von den Familien von Master Blatt, Master Bar zini und Master Lapierre erhalten. Sie alle wechseln die Schule, weil Sie beide sie am Freitagnachmittag brutal und ohne Grund angegriffen haben.«
»Moment mal«, sagte ich. »Sie haben mich überfallen.
Alles, was Justin getan hat, war —«
»Schweigen Sie«, fuhr Horvath mich an. »Wegen Ihrer Aktionen hat Vlad Dracul jetzt nicht genug Spieler, um an der nächsten R u n d e der Wasserballspiele, die in ein paar Tagen stattfindet, teilzunehmen. Wir werden des wegen vom Staat eine Verwarnung erhalten, die dazu führen kann, dass wir unsere Zulassung verlieren, wenn die versäumten Spiele nicht nachgeholt werden können.
Die künftige Existenz dieser Schule steht vielleicht auf dem Spiel. Wisst ihr Jungs, wie schwierig es ist, Gadje dazu zu bringen, hierherzukommen?« Er knurrte etwas auf Jentisch und ich war froh, dass ich es nicht verstand.
Dann fuhr er mit ruhigerer Stimme fort: »Hätte Ihr Ver weis von dieser Schule die Familien unserer Schüler zum Bleiben bewegen können, wären Sie beide bereits ver schwunden.«
Justin schnappte nach Luft.
»Bedauerlicherweise waren sie nicht bereit diese Lösung zu akzeptieren«, fuhr Horvath fort. »Sie haben Angst, dass irgendein anderer Jent... irgendein anderer Schüler sie auf die gleiche grundlose Weise angreifen könnte, wie Master Justin es letzten Freitag getan hat.« Er wandte sich an Justin: »Eine derart offene Aggressivität hätte ich gerade von Ihnen niemals erwartet. Sie sind im Wissen um die Brüchigkeit jener Toleranz aufgewach sen, die New Sodom zu einem Zufluchtsort für - für uns alle macht. So eine Tat hat vielleicht Auswirkungen, die weit über die Grenzen dieses Ortes hinausreichen.«
»Es tut mir leid, Sir.« Justin senkte den Kopf.
»Leid. Ja. Das sollte ich von Ihnen auch verlangen können, Master Justin«, sagte Horvath. »Von Master Cody ist ja nichts anderes zu erwarten, als dass er sich so aufführt, wie es ihm eben entspricht. Aber Sie. Sie haben Ihr Leben lang gewusst, was von Ihnen erwartet wird.«
»Ich weiß tatsächlich, was von mir erwartet wird, Sir«, sagte Justin.
»Dann werden Sie mit mir übereinstimmen, dass es für Ihr Verhalten keine Entschuldigung gibt. Gut. Denn wäh rend ich diesen Gadjo nach wie vor brauche, liegt die Sa che bei Ihnen völlig anders. Ich habe daher beschlossen Sie von der Schule zu verweisen. Es wird Ihnen nie wie der gestattet sein, an die Vlad Dracul zurückzukehren.«
Justin wurde weiß.
»Einen Augenblick«, sagte ich. »Diese drei Typen ha ben mich überfallen. Barzini hat versucht mich zu Brei zu schlagen, während die beiden anderen mich festhiel ten. Wollen Sie damit sagen, dass Justin sie hätte machen lassen sollen?«
»Es reicht!«, brüllte Horvath mich an. Er zielte mit dem Finger auf meine Nase. Er hatte sehr lange Finger und die Nägel waren spitz zugefeilt. »Sie werden -«
Aber ich erfuhr nie, was ich tun würde, denn in die sem Augenblick hob Charon den Kopf. Das war alles - er hob den Kopf und sah Horvath an. Aber Horvath hörte auf zu reden. Ich meine — er hörte auf mit mir zu reden.
Stattdessen begann er eine einseitige Unterhaltung mit Charon.
»Ihr versteht das nicht«, sagte er zu dem Wolf. »Es ist nicht so einfach, wie sie behaupten.«
Es herrschte Schweigen. Aber es war so, als würde in diesem Schweigen etwas vor sich gehen.
»Ich bin nicht unehrenhaft. Ich schütze die Schule«, sagte Horvath.
Schweigen. Charons große gelbe Augen waren wei terhin auf Horvath geheftet.
»Nein. Das werde ich nicht«, sagte Horvath.
Noch mehr Schweigen und noch mehr Augen.
»Das werde ich nicht tun.«
Etwas in Charons Gesicht veränderte sich. Es sah nicht aus wie eine Drohung, jedenfalls nicht mehr als sonst.
Der Ausdruck erinnerte mich an die Art, wie Charon mich bei unserer allerersten Begegnung angesehen hatte.
Irgendwie gelangweilt und verächtlich.
Auch Horvath sah es.
»Sehr wohl«, sagte er. Und er wandte sich wieder an mich und Justin. »Es sieht so aus, als ob gewisse Punkte doch für Sie sprächen«, meinte er. »Aufjeden Fall ist nie mandem gedient, wenn Sie bestraft werden. Der Scha den ist schon geschehen. Sie können gehen.«
Charons Schwanz schlug auf den Boden und es klang wie das Klopfen eines Hammers.
Horvath erhob sich. Er atmete tief durch und schloss die Augen. »Es könnte sein, dass ich mich in meiner Be sorgnis um die Schule ein wenig vorschnell geäußert habe.
Wenn das so ist...«, er schluckte, »entschuldige ich mich.«
Charons Kopf sank wieder zu Boden. Er schloss ein Auge.
Justin ging vor mir hinaus und hielt sich so gerade wie ein Lineal.
Das eine offene Auge von Charon begegnete meinen.
Ich tat das Jentimäßigste, was mir einfieclass="underline" Ich verbeugte mich.
Das große gelbe Auge schloss sich und öffnete sich dann wieder.