Er sah so aus, wie ich mich fühlte. Das gab mir den Rest.
Ich ging zu ihm hin und sagte: »Es tut mir leid, Gre gor. Was ich gesagt habe, war blöd, und es tut mir wirk lich leid.«
Er drehte sich lange Zeit weder nach mir um noch gab er mir eine Antwort. Dann sagte er: »Das spielt keine Rolle. Du bist ein Gadjo. Nichts, was du sagst, kann mich verletzen.«
Ich war kurz davor, zu gehen. Und hätte ich mich bes ser gefühlt, hätte ich das auch getan. Aber ich fühlte mich nicht besser, also sagte ich: »Es war trotzdem falsch von mir. Und es tut mir leid, dass ich versucht habe dich zu verletzen.«
Er drehte sich noch immer nicht um. Alles, was er sagte, war: »Ich hasse diesen Ort. Ich hasse dich.«
»Komisch«, erwiderte ich. »Ich hasse ihn auch. Und dich vermutlich auch. Ich bin mir nicht sicher.«
»Diese widerwärtigen langen Winter. Diese endlosen Sommer, wo es nachts nie abkühlt. Nur Amerikaner würden freiwillig hier leben.«
»Ich bin Amerikaner und ich würde es nicht.«
»Europa ist wunderschön, vor allem Frankreich«, sagte Gregor.
»Kalifornien«, sagte ich. »Besonders die Gegend süd lich von San Francisco. Und die Redwoods an der Küste.
U n d San Diego. Sogar Los Angeles kann gut aussehen, wenn der Wind den Smog aufs Meer hinaustreibt.«
»Das ist nichts verglichen mit den Bergen Norwegens oder der Stille einer Dorfstraße im Languedoc in der Dämmerung«, erwiderte Gregor.
»Hast du Kalifornien je gesehen?«, fragte ich.
»Das brauche ich nicht«, gab Gregor zurück. »Ich habe wahre Schönheit gesehen.«
»Ich schätze, wir sind wohl beide weit weg von zu Hause.«
Gregor schwieg wieder. Nun, ich hatte versucht mich zu entschuldigen.
»Ich werde dann ...«, fing ich an.
»Danke«, sagte Gregor.
»Aber es gibt da noch was. Nur für den Fall, dass es wichtig ist - was auch immer zwischen Ileana und mir war, es ist nicht mehr da.«
Gregor kicherte. Dann sagte er: »Du bist kein schlech ter Kerl, Gadjo. Aber du bist entsetzlich blöd.«
»Danke«, gab ich zurück. »Ich mag dich auch.«
Ich wandte mich ab, um zurückzugehen.
»Wir können allzu stolz sein«, sagte Gregor. »Wir alle.«
Was auch immer das hieß.
Aber ich war froh, dass ich es getan hatte.
Horvath geriet ins Schleudern. Er hatte das Spiel um eine weitere Woche verschieben können und versuchte außerhalb des Bundesstaats Mannschaftsmitglieder anzu werben, was - wie ich glaube - gesetzwidrig ist, aber wir sprechen hier schließlich von Horvath. Jedenfalls klappte es nicht.
Es kursierten die ganze Woche über Gerüchte, dass es kein Spiel geben und die Schule eine letzte Verwarnung bekommen würde. Dass sie vielleicht zusperren musste.
Ich hörte, wie die Gerüchte im Speisesaal flüsternd die Runde machten. Ein Junge fragte Mr Shadwell sogar, ob sie das Schuljahr beenden dürften. Shadwell sagte irgend was von hervorragendem Niveau, hundertjähriger Ge schichte, Weltruf und keinem Anlass zur Sorge. Aber er sah genauso verängstigt aus wie die Kids.
Carlton, Justin, Helen und Thornton verhielten sich so, als wären sie nicht die Hüter eines Geheimnisses, das die sen Ort retten würde. Ich bewunderte sie wirklich. Wenn man bedenkt, wie schnell etwas unter den Jenti die Runde machte, war es erstaunlich, dass nie etwas darüber zu hö ren war, was am Tag des nächsten Spiels passieren würde.
Und schließlich kam dieser Tag.
Staatliche Maßstäbe
Am Tag des Spiels hatte Horvath noch immer keinen einzigen neuen Gadjo für seine Mannschaft aufgetrie ben. Wenn wir nicht einmal genug Jungs ins Wasser schi cken konnten, würden wir von vornherein aufgeben müssen. Zwei feine Stadtpinkel von der staatlichen Schulbehörde waren extra aus Boston angereist in der Hoffnung, Zeugen unseres Untergangs zu werden.
Wir sahen sie den ganzen Tag in den Gängen auf und ab gehen, wie sie sich alles anschauten, uns anschauten.
Horvath war bei ihnen und Charon ebenfalls. Die beiden Männer trugen Anzüge und Aktentaschen. Trotzdem sa hen sie wie Gorillas aus. Sie bewegten sich auf die glei che schlingernde Art wie Underskinker und ihre Kra watten schnürten ihre dicken Hälse ein. Egal wie groß und knallhart sie auch waren, sie verhielten sich trotzdem so verängstigt, wie ich mich an meinem ersten Tag ge fühlt hatte. Ständig blickten sie über die Schulter zurück, als erwarteten sie von hinten angesprungen zu werden.
Und Horvath sah aus, als sollte er erhängt werden.
Ich wollte fast hingehen und ihnen sagen: »Machen Sie sich keine Sorgen. Niemand erteilt dieser Schule eine allerletzte Verwarnung oder sperrt sie zu. Genießen Sie das Spiel.« Aber natürlich tat ich das nicht.
In meiner Freistunde ging ich in die Schwimmhalle und machte mich fertig. Dann warf ich einen kurzen Blick in Underskinkers Büro. Er war nicht dort.
Tracy und Pyrek schneiten herein und ein paar Minu ten später auch ein traurig dreinblickender Falbo.
»Nie wieder«, sagte Pyrek betrübt und berührte seinen Spind, als würde er Auf Wiedersehen sagen.
»Nächste Woche gibt's ganz bestimmt Hausaufgaben«, meinte Tracy.
»Es ist nach wie vor deine Schuld, Elliot«, sagte Falbo.
»Warum hast du nichts unternommen, wie ich dir gesagt habe?«
»Hab ich«, erwiderte ich.
»Was? Was hast du gemacht?«, wollte Pyrek wissen und wirbelte herum.
»Du packst jetzt besser aus«, meinte Tracy und zeigte mir die Faust.
»In ein paar Minuten wird alles klar sein«, antwortete ich. »Lasst mich nur eines sagen: Wenn die Pfähler beim Start keine vollständige Mannschaft ins Wasser schicken, dann deshalb, weil ihr Clowns nicht reingeht.«
»Was willst du damit sagen«, fragte Tracy. »Wir sind zu Beginn immer im Wasser. Wir bleiben nur nicht drin.«
»Hat irgendjemand Underskinker gesehen?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
»Nö«, antworteten Tracy und Pyrek.
»Wir sollten zusehen, dass wir ihn finden«, sagte ich.
»Schließlich haben wir ein Spiel und so.«
Dann hörten wir einen Riesenkrach hinten aus dem Umkleideraum.
Als wir hinkamen, lag Underskinker auf dem Boden, den Kopf an einen Spind gelehnt und die Füße von sich gestreckt. Neben ihm standen drei leere Kisten Old Aroostook und er war gerade mit der vierten beschäftigt gewesen.
»Was macht er hier hinten?«, fragte Falbo.
»Sich verstecken«, erwiderte ich. Ich kniete neben ihm nieder. »He, Trainer, wir haben ein Spiel. Trainer?
Wachen Sie auf! Wir haben eine Mannschaft, Trainer.
Machen Sie schon, gehen Sie da raus und uns voran, wie Sie's immer tun!«
Aber Underskinker war einfach umgekippt.
»O Mann«, sagte ich. »Hört mal, wir müssen ihn wie der auf die Beine bringen. Wenn diese Staatsbeamten ihn in diesem Zustand sehen, wäre das gar nicht gut. Könnt ihr Jungs ihn wieder zu Bewusstsein bringen? Ich muss zurück und unsere neuen Mannschaftskollegen in Emp fang nehmen.«
Pyrek und Tracy zuckten mit den Achseln und began nen Underskinker zu schütteln. Falbo stand bei seinen Füßen und brüllte immer wieder: »Trainer! Stehen Sie auf, Trainer. Trainer!«
Als ich zum Schwimmbecken zurückkam, traf gerade die andere Mannschaft ein. Es waren unsere alten Freun de von St. Biddulph. Sie marschierten ruhig herein und übernahmen ein paar Spinde. Keiner würdigte mich auch nur eines Blickes.
Ihr Trainer kam zu mir her.
»Wo ist Underskinker?«, fragte er.
»Er ist bei der übrigen Mannschaft«, antwortete ich.
»Ich erwarte ihn in ein paar Minuten. Kann ich irgend etwas für Sie tun, Sir?«