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In Turnen, das zumindest auf normale Weise unterrich tet zu werden schien, mit Hampelmannmachen, Laufen und einem Trainer, der uns unaufhörlich anbrüllte.

Dann war es Zeit fürs Mittagessen und Charon und ich gingen mit all den anderen Kids Richtung Schüler klub.

Als ich eintrat, erblickte ich ... einen Palast. Ich war nie zuvor in einem gewesen, aber das hier musste einer sein. Aschenputtel, Dornröschen und Schneewittchen mussten alle an einem Ort wie diesem hier gelandet sein.

Die Wände waren mit Gobelins und Holzschnitze reien bedeckt. An der Decke gab es gemalte Szenerien, die so aussahen, als würden sie aus einem von Mr Shad wells Epen stammen, und überall standen riesige vergol dete Möbelstücke, Rüstungen und Statuen herum.

Und das war bloß die Eingangshalle. Alle gingen nach links in den Speisesaal - nein, Bankettsaal - und nahmen Platz. Es gab Tische für jeweils vier Personen, mit Tisch karten, roten Tischdecken, schwarzen Tellern und Tas sen sowie glänzendem Tafelsilber.

Charon führte mich zu einem Platz, auf dem mein Name stand. Dann bewegte er sich Richtung Küche. Ich sah, wie einer der Kellner - es waren Kellner in weißen Jacketts — nach dem Chefkoch rief. Dieser kam aus der Küche, bückte sich und Charon leckte ihn ab. Der Chef koch lachte und eine Minute später fraß Charon ein rie siges Stück Fleisch von der Größe eines jungen Ochsen von einer silbernen Platte.

Sobald wir uns alle gesetzt hatten, schoben die Kellner Servierwagen herein, die mit zugedeckten Schüsseln be laden waren. Sie schwebten zu den Tischen, stellten das Essen vor uns hin, hoben die Deckel von den Schüsseln und machten eine kleine Verbeugung.

»Bon appetit«, flüsterte der Kellner an meinem Tisch.

Das Essen bestand aus Zeugs, das ich nie zuvor ge sehen, gegessen und von dem ich auch noch nie was gehört hatte. Kleine Stücke Fleisch. Käsehäppchen. Ge müse, das wie vom Mars importiert aussah. Aber ich muss zugeben, dass alles großartig schmeckte. Vielleicht verwendeten sie eine geheime Sauce.

Ich saß am selben Tisch wie Ileana, Justin Warrener und ein großer Junge namens Brian Blatt. Er hatte total kurze Haare und starke Akne.

»Bist du der Neue?«, fragte er.

Endlich redete jemand mit mir.

»Ja«, gab ich zurück.

»Bist du in der Wasserball-Mannschaft?«

»Das nehme ich an«, antwortete ich. »Ich habe Hor vath gesagt, ich würde es versuchen.«

»So 'n Mist!«, sagte Brian Blatt, brachte sein Gesicht in Tellernähe und begann sein Essen durch die Nasenlöcher hochzuziehen — na gut, jetzt übertreibe ich. Aber das war alles, was er sagte.

Sobald er seinen Teller leer geleckt und alle Brötchen aus dem Brotkorb in der Mitte unseres Tisches geklaut hatte - okay, okay, er hat seinen Teller nicht abgeleckt, aber er hat die Brötchen geklaut —, stand er auf und trollte sich.

Ein paar Typen an einem Ecktisch erhoben sich eben falls.

»He, Kumpels, mal langsam«, grölte Brian.

Sie grölten zurück: »Was is 'n, Alter?« und »Was läuft?«

Endlich mal eine normale Unterhaltung. Aber sie ver ließen gemeinsam den R a u m und im Speisesaal kehrte wieder R u h e ein. Das lauteste Geräusch kam vom Klir ren des Tafelsilbers, welches das gedämpfte Gemurmel der anderen Kids übertönte.

Ileana legte ihre Gabel hin.

»Entschuldige bitte«, sagte sie.

»Hä?«, antwortete ich.

»Du hast mir heute ein Stück Papier auf mein Pult ge legt«, sagte sie. »Kannst du mir freundlicherweise erklä ren, wieso du das getan hast?«

Sie hatte irgendeinen kaum wahrnehmbaren Akzent.

Ihre Aussprache war sehr deutlich.

»Es waren bloß ... ein paar Zeilen«, gab ich zur Ant wort.

»Ich verstehe. Und ist das bei Schülern anderer Schu len ein übliches Verhalten?«, fragte sie.

»Jeder tut es«, erwiderte ich.

»Ach so. Danke«, sagte Ileana und widmete sich ihrer Nachspeise. Irgendwas Eisähnliches, aber besser.

»Du bist also die Tochter von Hamilton Antonescu?«, fragte ich.

»Ja«, gab sie zurück.

»Ich bin Cody Elliot«, sagte ich. »Mein Vater arbeitet mit deinem zusammen.«

»Das stand auf deinem Zettel«, meinte sie.

Und das war's.

Nach ein paar Minuten machte der andere Junge, Justin, den Mund auf.

»Ich habe gehört, dass es in anderen Schulen laut zu geht. Alle unterhalten sich die ganze Zeit. Ist das wahr?«, fragte er.

»Ja«, war meine Antwort.

»Warum verschickt man dann Zettel?«, fragte er.

»Weil man nicht will, dass jemand anders weiß, was man sagt«, antwortete ich. »Zettel sind Privatsache.«

Justin schüttelte den Kopf. »Das ergibt für mich nicht viel Sinn. Sagen die Lehrer euch, dass ihr Zettel schicken sollt?«

»Nein«, antwortete ich. »Wir dürfen es gar nicht tun.«

»Das ergibt sogar noch weniger Sinn«, sagte er.

»Schickt hier denn nie jemand Zettel?«, fragte ich.

»Wozu?«, lautete Justins Gegenfrage.

»Nun, wie ich schon gesagt habe, damit du jemandem etwas mitteilen kannst, ohne dass irgendwer anders es er fährt«, antwortete ich.

»Zum Beispiel?«, fragte Justin.

»Nun, irgendwas eben«, sagte ich. Ich würde ihm jetzt nicht erklären, dass man Zettel an Mädchen schickt, da mit sie einem Zettel zurückschicken. Wenn er nicht im Stande war, das von selbst herauszufinden, war es be stimmt nicht meine Aufgabe, es ihm zu erklären.

Nach dem Mittagessen standen wir alle auf und gin gen wieder zum Unterricht. Ileana und Justin verloren sich in der Menge und Charon kehrte zurück. Wir waren von Leuten umgeben, die uns nicht zu beachten schie nen.

Zunächst fragte ich mich, ob sie einander überhaupt beachteten. Dann, als ich sie länger beobachtete, sah ich, dass sie das sehr wohl taten. Sie unterhielten sich in Gruppen oder spazierten sogar Hand in Hand umher.

Aber sie waren so leise, so einander zugewandt, dass sie wie Wasser um mich herumflossen.

Alle von ihnen, ausgenommen ein paar mit mausfar benem Haar wie Justin, schienen groß, blass und dunkel haarig zu sein. U n d fast alle hatten sie Sonnenbrillen auf.

Sie setzten sie auf, sobald sie nach draußen gingen.

»Was glaubst du also?«, fragte ich den Wolf. »Wird es mir hier gefallen?«

Charon blieb stehen. Er warf mir die gleiche Sorte Blick zu wie im Büro des Direktors. Dann beschrieb sein Schwanz einen kleinen Kreis.

Was hieß das?Ja? Nein? Alles?

Ich beschloss eine andere Frage zu stellen und abzu warten, was passierte.

»He, Charon«, sagte ich. »Ist diese Schule genauso streng, wie sie aussieht?«

Er blieb wieder stehen und warf einen Blick über seine Schulter. Sein Schwanz ging in die H ö h e und bewegte sich von einer Seite zur anderen.

Konnte ein Ja sein, ein Nein oder gar nichts.

»Ist es heute heiß?«, fragte ich.

Sein Schwanz blieb unten, schwang hin und her und fegte dabei den Schnee. Er warf mir einen angewiderten Blick zu.

Wenn das irgendwas zu bedeuten hat, dann Nein.

»Charon, magst du mich?«

Der Schwanz bewegte sich nicht. Dann stieß Charon eine Art Schnauben aus, wandte den Kopf der Schule zu und begann draufloszumarschieren.

Ich folgte ihm.

Wenn Charon wirklich mit mir redete, so kannte ich jetzt wohl vier Worte: ja, nein, vielleicht und geht dich nichts an. Aber wie schlau war er wirklich? Schlau, ganz klar, aber so schlau?

Physik wurde von Ms Vukovitch unterrichtet, einer blauäugigen, blonden Riesin, die aussah wie all die Frauen in den alten Filmen, die sich meine Eltern so gerne anschauten. Sie betrat den R a u m wie ein Super model den Laufsteg, sah mich ein einziges Mal an, warf uns allen ein elektrisierendes Lächeln zu und zog dann vierundfünfzig Minuten lang die Sterne durch den Dreck.