Mit den Sandalen, die sie sich aus ein paar Fetzen Leder und einem Stück Schnur gebastelt hatte, stieß sie gegen etwas auf dem Boden. Mit beiden Händen grub sie im sandigen Boden und legte einen großen Felsbrocken frei. Sie und die Shermans hatten beim Anbau der vier bepflanzten Reisfelder eine ganze Menge dieser Brocken entdeckt und sich darüber gewundert. Hier im Flachland gab es kaum Felsen.
Sie wischte die Erde ab. Der Brocken war gelblich, mit bräunlichen Streifen, und sah recht porös aus. Mit einiger Mühe brach sie ihn in der Mitte durch. Da sie noch nie einen dieser seltsamen Felsbrocken aufgebrochen hatte, traf sie der Gestank völlig unvorbereitet. Sie begann zu würgen, warf die Stücke schnell weg und eilte zurück zum Pinienhaus; ihr Schatten flog tiefrot wie verschüttetes Blut vor ihr über den Boden.
Ich wünschte, ich könnte wie Gen. H. glauben, daß unsere Leute erkennen, wie wichtig und von welch weitreichender praktischer Bedeutung es ist, daß wir den befreiten Schwarzen fair gegenübertreten. Ich wünschte, ich könnte glauben, daß die Menschen von Carolina die Niederlage und deren Folgen mit kühlem Kopf betrachten. Ich kann es nicht. Eine düstere Stimmung hat mich wieder überkommen.
Sie überfiel mich, als ich einen dieser seltsamen Felsbrocken aufbrach, die Du mir vor dem Krieg gezeigt hast. Dieser Gestank! Selbst unser Land ist verrottet und verfault. Ich wertete das als ein Zeichen. Ich sah eine Zukunft voller Gift und Galle.
Verzeih mir, Orry; ich muß aufhören, solche Sachen zu schreiben.
2
Äm Tage von Hamptons Besuch auf Mont Royal huschte eine junge Frau im abendlichen Zwielicht von New York City um eine Ecke in die Chambers Street. Mit einer Hand hielt sie ihren Hut fest, mit der anderen mit Unterschriften bedeckte Papierbögen.
Diesiger Regen setzte ein. Hastig schob sie die Papiere unter ihren Arm. Vor ihr ragte die Markise von Wood's New Knickerbocker Theater, ihrem Ziel, auf. Das Theater war vorübergehend zwischen zwei Produktionen geschlossen; sie war bereits zu spät dran für eine Probe, die der Eigentümer auf halb acht angesetzt hatte.
Allerdings hatte ihre Verspätung einen guten Grund. Sie hatte stets einen Grund, der immer genauso wichtig war wie ihr Beruf. Ihr Vater hatte sie so erzogen. Mit fünfzehn Jahren hatte sie mit der aktiven Arbeit zur Abschaffung der Sklaverei begonnen; jetzt war sie neunzehn. Sie kämpfte für die Gleichberechtigung der Frau, für das Stimmrecht und für fairere Scheidungsgesetze, obwohl sie selbst nie verheiratet gewesen war. Die Sache, für die sie sich momentan gerade einsetzte und für die sie den ganzen Nachmittag bei der Theatergemeinde Unterschriften gesammelt hatte, war die der Indianer - genauer gesagt die der Cheyenne, aus deren Reihen die Opfer des Sand-Creek-Massa-kers vom letzten Jahr stammten. In der Petition, die an den Kongreß und die für Indianerfragen zuständige Abteilung im Innenministerium geschickt werden sollte, wurden Wiedergutmachungen für Sand Creek und eine Ächtung auf Dauer des >Chivington-Verfahrens< gefordert.
Sie bog nach links ab in die schwach erhellte Passage, die zur Bühnentür führte. Sie hatte erst anderthalb Wochen für Claudius Wood gearbeitet, aber bereits feststellen müssen, daß er ein erschreckendes Temperament besaß. Und er trank. Sie konnte es bei fast jeder Probe riechen.
Wood hatte sie am Arch Street Theater in Philadelphia in der Rolle der Rosalind gesehen und ihr eine Menge Geld geboten. Er mochte ungefähr fünfunddreißig sein; mit seinen vornehmen Manieren, seiner wunderbaren Stimme und seinem frechen, weltmännischen Benehmen hatte er sie bezaubert. Trotzdem bereute sie allmählich, daß sie Mrs. Drews Ensemble verlassen und bei Wood für eine volle Saison unterschrieben hatte.
Louisa Drew hatte sie gedrängt, das Engagement anzunehmen, und gemeint, es bedeute einen großen Schritt vorwärts für sie. »Du bist eine erwachsene und tüchtige junge Frau, Willa. Aber denk daran, daß New York voll von groben, brutalen Männern ist. Hast du irgendwelche Freunde dort? Jemand, an den du dich notfalls wenden könntest?«
Sie überlegte einen Moment. »Eddie Booth.«
»Du kennst Edwin Booth?«
»Oh ja. Er und mein Vater waren zusammen auf den Goldfeldern, als ich noch klein war und wir in St. Louis lebten. Ich habe Eddie im Laufe der Jahre öfter gesehen. Aber seit sein Bruder Johnny den Präsidenten getötet hat, lebt er sehr zurückgezogen. Ich würde ihn niemals mit irgendeiner trivialen Angelegenheit belästigen.«
»Das nicht, aber im Notfall ist er wenigstens da.« Mrs. Drew zögerte. »Sei vor Mr. Wood auf der Hut, Willa.«
Mehr wollte die ältere Frau nicht herausrücken. »Du wirst schon merken, was ich gemeint habe. Ich spreche ungern schlecht von jemandem aus unserer Branche. Aber einige Schauspielerinnen - die hübscheren - haben Schwierigkeiten mit Wood. Selbstverständlich sollst du dir deshalb nicht diese Chance entgehen lassen. Aber sei auf der Hut.«
Die junge Frau, die in solcher Eile durch die Passage lief, hieß Willa Parker. Sie war ein hochgewachsenes Mädchen mit langen Beinen, schlank genug für Hosenrollen, doch auch mit dem vollen, üppigen, für eine Julia geeigneten Busen. Sie hatte weit auseinanderstehende, ganz leicht geschlitzte Augen, die ihr ein exotisches Aussehen gaben, und derart hellblondes Haar, daß es im Scheinwerferlicht auf der Bühne silbern schimmerte. Mrs. Drew bezeichnete Willa liebevoll als Gamin. Ihr charmanter irischer Ehemann John nannte sie >meine schöne Fee<.
Ihre Haut war weich und glatt, ihr Mund großzügig; ihre Kinnlinie verlieh ihrem Gesicht einen Zug von Kraft und Stärke. Manchmal fühlte sie sich wie vierzig, weil sie gerade drei war, als ihre Mutter starb, und vierzehn, als ihr Vater zu Grabe getragen wurde. Mit sechs Jahren hatte sie das erstemal auf der Bühne gestanden. Sie war das einzige Kind einer Frau, an die sie sich nicht erinnern konnte; ihr Vater war ein freidenkender, hart arbeitender Mann, den sie mit völliger Hingabe geliebt hatte, bis ihn in der Sturmszene von >König Lear< eine Herzattacke dahingerafft hatte.
Peter Parker war einer jener Schauspieler gewesen, die voller Inbrunst und Begeisterung ihrem Beruf nachgingen, obwohl er schon als junger Mann erkannt hatte, daß sein Talent niemals ausreichen würde, um seinen Namen über dem Titel eines Stücks erscheinen zu lassen. In seiner Heimat England hatte er mit Kinderrollen begonnen und war dann in Erwachsenenrollen hineingewachsen. In seinen Zwanzigern hatte er zusammen mit dem leuchtenden Stern Kean gespielt, der ihn von der Klassik zu Keans persönlichem Naturalismus führte, bei dem der Schauspieler dazu ermutigt wurde, alles zu tun, was die Rolle verlangte, sogar schreien und auf dem Boden herumkriechen.
Nach seinem ersten Engagement mit Kean gab er für immer seinen Geburtsnamen auf; Pott - Topf. Zu viele Wortschöpfungen seiner Schauspielerkollegen, die er gar nicht lustig fand -Blumentopf, Nachttopf -, überzeugten ihn davon, daß Parker ein praktischerer Name mit einem günstigeren Wiedererkennungswert wäre. Willa kannte den richtigen Familiennamen, der sie erheiterte, obwohl sie sich selbst von Anfang an als eine Parker betrachtet hatte.
Parker hatte seiner Tochter zahlreiche technische Tricks unterschiedlicher Schauspielstile weitergegeben. Dies schloß die für Schauspieler typische Energie und Begeisterung ein, ein enzyklopädisches Wissen all des Aberglaubens, der am Theater üblich war, und den verhaltenen Optimismus, den man so dringend brauchte, um in dieser Branche zu überleben. Jetzt, da sie durch den Bühneneingang trat, stützte sich Willa auf diesen Optimismus und redete sich ein, daß ihr Brötchengeber nicht wütend sein würde.