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Er war vierundsechzig und gab fünfzig zu. Ohne die Spezialstiefel, in die ein Schuster fast fünf Zentimeter hohe Einlagen eingearbeitet hatte, maß er gerade 165 Zentimeter. Er war ein rundlicher, onkelhafter Mann mit warmen, dunklen Augen und einem rollenden Gang, der sein Bäuchlein wackeln ließ. Seine Garderobe war umfangreich, aber seit zwanzig Jahren aus der Mode. Produzenten, die Plagiate von Dickens auf die Bühne brachten, wollten ihn stets in der Rolle des Micawber sehen. Trump selbst hielt sich mehr für einen Karl den Großen oder -was seine Glaubwürdigkeit beim Publikum wirklich strapazierte - einen Romeo.

Trump hatte in seinem Leben viele Frauen gekannt. In nüchternem oder sogar leicht angetrunkenem Zustand hatte er eine fröhliche, gewinnende Art. Jedem, der es hören wollte, gestand er, daß er oft an gebrochenem Herzen gelitten hatte, doch in Wahrheit hatte Trump von sich aus jede romantische Affäre beendet, in die er verstrickt gewesen war. Als junger Mann hatte er entschieden, daß die Verantwortung für eine Ehe ihn nur an einer Karriere hindern würde, die schließlich in internationaler Anerkennung gipfeln müßte. Bis jetzt war das allerdings noch nicht der Fall gewesen.

Zwar gaben auch Willa und viele andere aus der Branche sich dem Theateraberglauben hin, doch Trump hatte das zu einer hohen Kunstform entwickelt. Er weigerte sich, ein Seil um einen Stamm zu binden oder einen schielenden Schauspieler zu engagieren. Er trug niemals Gelb, probte nie an Sonntagen und befahl seinem Pförtner, streunende Hunde, die sich während einer Vorstellung der Bühnentür näherten, mit Steinen zu vertreiben. Stets ließ er den Vorhang wieder herunter, wenn er in den ersten fünf Reihen einen rothaarigen Zuschauer entdeckte. Er trug einen blauweißen, in Gold gefaßten Mondstein als Krawattennadel und eine Chrysantheme - niemals eine gelbe - im Revers. Er zog nicht einmal in Erwägung, das schottische Stück auf die Bühne zu bringen oder darin aufzutreten.

Nur den Aberglauben, daß man nicht über die Zukunft sprechen durfte, wenn man das Unheil nicht anziehen wollte, mißachtete er. Zu seinen Lieblingsworten gehörten >nächste Woche< und >morgen< und >die nächste Vorstellung<, unvermeidlich in Verbindung mit Worten wie >wichtiger Produzent im Publikum< oder telegraphische Nachricht< oder >möchte ein Engagement über ein volles Jahr<.

Sein Theater, Trumps St.-Louis-Schauspielhaus, war von einem anderen Manager in der Nordwestecke der Third und Olive Street gebaut worden; die letztere Straße nannte Trump die Rue des Granges. Er hielt es für vornehmer, die ursprünglichen französischen Namen zu benützen. Das Theater faßte dreihundert Personen auf einzelnen Sitzen anstatt den sonst üblichen Bänken.

Während der langen Fahrt nach St. Louis fand sich Willa mit dem ab, was im New Knickerbocker geschehen war. Vielleicht würde Wood in ein paar Jahren die Anklage fallen lassen, und sie konnte zurückkehren. Inzwischen würde sie sich, falls sein Arm doch über New York hinausreichte, als Mrs. Parker ausgeben. Sollte jemand nach einer alleinstehenden Frau suchen, so würde das verwirrend wirken und außerdem unerwünschte Männer abschrecken. Willa Potts wollte sie sich allerdings doch nicht nennen.

Sie war verhältnismäßig gut gelaunt, als die Fähre in St. Louis anlegte. Im Theater fand sie Sam Trump, der gerade einen Wald als Hintergrund aufmalte. Er weinte, während sie sich umarmten und dramatisch abküßten, dann machte er eine Flasche Champagner auf, die er sogleich alleine trank. Als die Flasche fast leer war, machte er ihr ein überraschendes Geständnis: »Der Optimismus in meiner telegraphischen Nachricht war vorgetäuscht, mein liebes Mädchen. Du hast dich entschlossen, in ein in Trümmern liegendes Haus einzuziehen.«

»St. Louis erscheint mir recht wohlhabend, Sam.«

»Ich spreche von meinem Theater, Kind, von meinem Theater. Unser Publikumsbesuch ist zufriedenstellend. Gelegentlich haben wir sogar ein ausverkauftes Haus. Ich begreife einfach nicht, wieso mir kein Schilling in der Kasse bleibt.«

Willa sah einen der Gründe dafür vor sich; er war aus grünem Glas und stand leer in einem Silbereimer.

Sam überraschte sie ein zweitesmal, als er leise und mit niedergeschlagenem Gesichtsausdruck sagte:    »Dieses Geschäft braucht einen klareren Kopf, als ich ihn habe. Einen besseren Kopf als diesen grauen, geprügelten Schädel.« Allerdings war er nur um die Ohren herum grau; den Rest hatte er mit einem scheußlichen Schuhwichsenbraun eingefärbt.

Er ergriff ihre Hand. »Würdest du es eventuell in Betracht ziehen, neben deinen schauspielerischen Verpflichtungen das Theater zu managen? Du bist jung, aber du hast in dieser Branche schon sehr viele Erfahrungen gesammelt. Ich kann dir keinen Extralohn für diese Arbeit geben, aber als Kompensation verspreche ich dir, daß ich dich als Schauspielerin genauso groß herausstelle wie mich selbst.« Mit großer Feierlichkeit fügte er hinzu: »Wie einen Star.«

Sie lachte, wie sie es seit Tagen nicht mehr getan hatte. Diese Art von Arbeit hatte sie nie zuvor getan, aber soweit sie erkennen konnte, benötigte man dazu lediglich gesunden Menschenverstand, Fleiß und ein Auge dafür, was mit dem Geld geschah.

»Das ist ein verführerisches Angebot, Sam. Laß mich eine Nacht darüber schlafen.«

Am nächsten Morgen begab sie sich in das Büro des Theaters, einen Raum von der Größe und dem Charme eines Hühnerstalls. Über der Tür war das unvermeidliche Hufeisen angenagelt. Sam Trump saß da, den Kopf trostlos auf eine Hand gestützt, während er mit der anderen die schwarze Theaterkatze streichelte.

»Sam, ich nehme dein Angebot an unter einer Bedingung.«

Er überhörte das letzte Wort und rief: »Wunderbar!«

»Hör dir erst die Bedingung an. Meine erste Tat als Manager wird darin bestehen, dich auf ein festes Taschengeld zu setzen.

Das Theater wird für deinen Lebensunterhalt aufkommen, aber nicht für Whisky, Bier, Champagner oder Schnaps.«

Mit der Faust schlug er sich gegen die Brust. »Oh! Viel schärfer denn der Biß einer Schlange!«

»Sam, ich habe gerade eben dieses Theater übernommen. Willst du, daß ich kündige?«

»Nein, nein!«

»Dann bist du sofort auf Taschengeld gesetzt.«

»Werte Lady!« Sein Kinn sackte nach unten, verdeckte die Mondsteinkrawattennadel. »Ich höre und gehorche.«

MADELINES JOURNAL

Juli 1865. Die düstere Stimmung ist verflogen. Harte Arbeit ist ein gutes Mittel gegen Melancholie.

Der Staat bleibt in Aufruhr. Richter Perry ist nun provisorischer Gouverneur. Er hat sich verpflichtet, Johnsons Programm durchzuführen; zu diesem Zweck hat er für den 13. September eine konstituierende Versammlung einberufen.

Von Hilton Head aus kommandiert Gen. Gillmore die neun Militärbezirke. In jedem dieser Bezirke ist eine Unionsgarnison stationiert, die in erster Linie die Aufgabe hat, Gewalttätigkeiten zwischen den Rassen zu verhindern. Einige der Soldaten in unserem Bezirk sind Neger, und viele meiner Nachbarn meinen wütend, wir würden noch >zu Tode geniggert<. Ich glaube, das werden wir auch, bis wir unsere Differenzen gelöst haben und in Harmonie zusammenleben. Mein Herz, Orry, nicht meine Herkunft läßt mich glauben, daß der große Test für die Fähigkeit dieser Republik, das Versprechen auf Freiheit für alle Menschen einzulösen, die Rassenfrage ist.

Ein merkwürdiger Brief von Cooper. C. ist einem gewissen Desmond LaMotte begegnet, den ich nicht kenne. Dieser D.L., von Beruf Tanzlehrer, sagte, die LaMottes glaubten, ich hätte Justin betrogen, und wollen Rache. Wie kann nach so viel Blutvergießen und Entbehrungen nur jemand die Kraft für einen solchen Haß aufbringen? Ich würde es für lächerlich halten, wenn mich nicht Cooper gewarnt hätte, es ernst zu nehmen. Er hält diesen D.L. für einen Fanatiker und damit für eine Bedrohung. Vielleicht ist er einer jener tragischen jungen Männer, deren Nerven und Geist der Krieg zerstört hat. Ich werde bei Fremden Vorsicht walten lassen ...