Ashton zog ihre Arbeitskleidung an - ein gelbes Seidenkleid mit weiten, spitzenbesetzten Schulterstreifen, das über einer Bluse mit Puffärmeln getragen werden sollte. Die Senora hatte ihr sowohl die Bluse als auch ein Korsett verweigert, damit die Wölbungen ihrer teilweise entblößten Brüste die Kundschaft in Versuchung führten. Das Kleid war zu der Zeit in Mode gewesen, als ihr Bruder Orry nach West Point gegangen war. Sie haßte es so sehr wie die spröde schwarze Mantilla, auf der die Senora bestand, und die Schuhe - Leder, scheußlich gelb gefärbt, spitzenbesetzt, mit dünnen, hohen Absätzen.
Sie zupfte die Mantilla vor dem kleinen Spiegelscherben zurecht und fuhr sich mit der Hand über die linke Wange. Gott sei Dank waren die drei parallelen Kratzer kaum zu sehen. Rosa, eines der anderen Mädchen, hatte sie im Streit um einen Kunden angegriffen. Ehe die Senora sie auseinanderreißen konnte, hatte Rosa Ashtons Gesicht übel zerkratzt. Ashton hatte stundenlang über die blutigen Spuren der Fingernägel geweint. Ihr Körper und ihr Gesicht bildeten ihr Hauptkapital, waren die Waffen, die sie einsetzte, um das zu bekommen, was sie wollte.
Noch Wochen nach dem Kampf hatte sie Salbe auf die langsam heilenden Wunden geschmiert und sieben- oder achtmal täglich ihr Gesicht im Spiegel betrachtet. Endlich war sie überzeugt davon, daß kein Dauerschaden zurückbleiben würde. Und Rosa würde ihr nicht noch einmal Schwierigkeiten bereiten. Ashton trug jetzt in ihrem rechten Schuh eine zugespitzte Feile.
Gelegentliche Gedanken an die Mine in Nevada verschärften nur ihre Gier. Gehörte die Mine nicht auch ihr? Sie war mit La-mar Powell praktisch verheiratet gewesen. Natürlich sah sie sich zwei gewaltigen Hindernissen gegenüber, wenn sie die Mine in ihren Besitz bringen wollte: Sie mußte die Behörden davon überzeugen, daß sie Mrs. Powell war; zuvor allerdings mußte sie nach Virginia City gelangen. Ashton hielt sich selbst für eine starke, einfallsreiche junge Frau, aber sie war schließlich nicht verrückt. Ganz allein viele Hunderte von Meilen durch gefährliche Wildnis? Das war kaum zu schaffen. Statt dessen konzentrierte sie sich auf einen greifbareren Traum: die Wagen.
Sie mußte sie nur finden! Sie war überzeugt davon, daß die Apachen das Gold nicht gestohlen hatten. Es war sehr geschickt versteckt gewesen. Außerdem waren sie unwissende Wilde, die keine Ahnung von dem Wert hatten. Mit dem Gold konnte sie sich viel mehr als nur materiellen Komfort leisten. Sie konnte sich eine Position und Macht kaufen. Die Macht, zurück nach South Carolina zu reisen, um auf eine Art und Weise, über die sie sich noch Gedanken machen mußte, ihre offene Rechnung mit den Familienangehörigen zu begleichen, die sie zurückgestoßen hatten. Der Wunsch, sie alle in den Ruin zu treiben, füllte sie ganz und gar aus.
Inzwischen hatte sie lediglich die Wahl zwischen Verhungern oder Huren. Also hurte sie. Und wartete. Und hoffte.
Die meisten Kunden der Senora liebten Ashtons weiße, englische Haut, ihr Südstaatengehabe und ihre Sprache, die sie der Wirkung halber noch übertrieb. Heute abend allerdings, als sie mit großer Geste zur Cantina hinabstieg, war ihr Auftritt pure Verschwendung. Bis auf drei kartenspielende ältere Vaqueros war niemand da.
Besonders nach Einbruch der Dunkelheit sah die Cantina ziemlich trostlos aus. Die Lampen tauchten alles in ein gelbliches Licht und enthüllten die Kugellöcher, Messerkerben, Whiskyflecke und all den Dreck auf Möbeln, Fußboden und an den Lehmwänden. Die Senora saß da und las in einer alten Zeitung von Mexico City. Ashton gab ihr die Münzen.
Die Senora schenkte ihr ein Lächeln, bei dem ihr vorderer Goldzahn aufblitzte. »Gracias, querida. Bist du hungrig?«
Ashton zog einen Schmollmund. »Hungrig auf ein bißchen Spaß an diesem fürchterlichen Ort. Ich würde gern etwas Musik hören.«
Die Oberlippe und der feine Schnurrbart der Senora senkten sich und verdeckten den Goldzahn. »Ein Jammer. Einen Maria-chi kann ich mir nicht leisten.«
Ihr Schwager Luis, ein dümmlicher Bulle von einem Mann, kam durch die Schwingtüren hereinmarschiert. Das einzige, was er bei der Senora umsonst bekam, war Rosa, die strähniges Haar hatte und seit ihrer Jugend von den Pocken gezeichnet war. Kurz nach Ashtons Arbeitsantritt hatte Luis sie zu betatschen versucht. Sie konnte seinen Geruch und sein schweinisches Benehmen nicht ertragen, und da sie bereits wußte, daß er bei der Senora kaum Ansehen genoß, hatte sie ihn geschlagen. Er wollte gerade zurückschlagen, als die Senora eintrat und ihn mit Schimpfworten überschüttete. Seitdem war Luis nicht mehr in Ashtons Nähe gekommen, ohne ihr seine mürrische Wut zu zeigen. Heute abend war es nicht anders. Er starrte sie an, während er Rosas Handgelenk packte. Er zerrte das Mädchen an der zu Büro und Lagerraum führenden Tür vorbei die Treppe hoch. Ashton rieb sich die linke Wange. Hoffentlich nimmt er sie so richtig wie ein Feldarbeiter her, dachte sie. Und hoffentlich verpaßt sie ihm eine Krankheit.
Der heiße Wind blies Staub unter der Schwingtür herein. Keine Kunden tauchten auf. Um halb elf sagte die Senora, Ashton könne zu Bett gehen. In der Finsternis ihres winzigen Zimmers lag sie da, lauschte den im Wind klappernden Fensterläden und dachte wieder daran, die Senora zu berauben. Gelegentlich gaben Kunden eine Menge Geld in der Cantina aus, und im Laufe von einer Woche sammelte sich einiges an. Allerdings fiel ihr nicht ein, wie sie den Raub durchführen sollte. Und dann war da noch ein großes Risiko. Luis hatte ein schnelles Pferd und einige üble Freunde. Wenn sie denen in die Hände fiel, dann brachten sie sie womöglich um oder - mindestens genauso schlimm - verstümmelten sie.
Zorn und Hoffnungslosigkeit hinderten sie am Schlaf. Schließlich zündete sie die Lampe wieder an und griff unter das Bett nach dem Lackkästchen. Auf dem Deckel stellten eingelegte Perlen eine Szene dar: ein japanisches Pärchen, in tiefes Nachdenken versunken, saß vollbekleidet beim Tee. Klappte man den Deckel hoch und hielt ihn gegen das Licht, so sah man das Pärchen mit hochgerafften Kimonos kopulieren. Das glückliche Gesicht der Frau zeigte ihre Reaktion auf den halb in ihr verborgenen, gewaltigen Penis des Gentleman.
Das Kästchen verbesserte stets Ashtons Laune. Es enthielt siebenundvierzig Knöpfe, die sie im Laufe der Jahre gesammelt hatte - West-Point-Uniformknöpfe, Hosentürchenknöpfe. Jeder Knopf repräsentierte einen Mann, den sie genossen oder zumindest benutzt hatte. Nur zwei ihrer Partner waren mit keinem Knopf in der Schachtel vertreten: der erste Junge, der sie genommen hatte, bevor sie mit ihrer Sammlung begann, und ihr schwächlicher Ehemann Huntoon. In Santa Fe wuchs die Sammlung sehr rasch.
Einige Minuten lang betrachtete sie einen Knopf nach dem anderen, versuchte sich das dazugehörige Gesicht vorzustellen. Schließlich stellte sie das Kästchen beiseite und musterte ihren schwitzenden Körper im Spiegel. Er war immer noch an den richtigen Stellen weich und sanft und dort fest, wo er es sein sollte, und die Fingernagelspuren in ihrem Gesicht waren kaum noch sichtbar. Während sie sich so betrachtete, fühlte sie neue Hoffnung in sich aufsteigen. Irgendwie würde sie mit Hilfe ihrer Schönheit diesem verfluchten Ort entrinnen.
Sie ging zu Bett und gab sich bald voller Genuß einem Traum hin, indem sie wiederholt Bretts Haut mit ihrer Feile piekte, bis das Blut hervorquoll.