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Der Himmel war wolkenlos. Er lehnte sich vor, um den Zigarrenrauch hinauszulassen; überall an den drei- und vierstöckigen Gebäuden der Avenue hingen patriotische Flaggen. Lebhaftere Dekorationen hatten endlich die Trauertücher verdrängt, die man allerorten nach Lincolns Ermordung hatte sehen können.

Ein scharlachrotes Lichtband über dem Becken des Potomac markierte den Horizont. Unten auf der schlammigen Avenue begannen sich Vehikel, Reiter und Fußgänger in Bewegung zu setzen. George sah zu, wie eine schwarze Familie - Eltern und fünf Kinder - in Richtung des Präsidentenparks eilte. Für sie gab es mehr als nur das Kriegsende zu feiern. Der dreizehnte Nachtrag zur Verfassung garantierte ihnen, daß die Sklaverei für immer abgeschafft war; die Staaten mußten ihn nur noch ratifizieren, um ihn zum Gesetz zu erheben.

Ein heller werdender Himmel, ein Farbenspiel von Rot, Weiß und Blau und kein Regen mehr - warum wich unter solch günstigen Voraussetzungen seine dunkle Vorahnung nicht?

Es lag an den Familien, entschied er, den Mains und den Ha-zards. Sie hatten den Krieg überlebt, aber sie hatten schwer gelitten. Virgilia, seine Schwester, gehörte nicht mehr zur Familie; ihr Extremismus hatte sie in ein selbstgewähltes inneres Exil getrieben. Das war besonders traurig, da Virgilia direkt hier in Washington lebte, wenn auch George ihren genauen Aufenthaltsort nicht kannte.

Dann gab es da noch seinen älteren Bruder Stanley; ein inkompetenter Mann, der durch Kriegsprofite skrupellos einen gewaltigen Geldberg angehäuft hatte. Trotz seines Erfolges -oder vielleicht gerade deswegen - war Stanley ein Säufer.

Bei den Mains sah es nicht besser aus. Orrys Schwester Ash-ton war irgendwo im Westen verschwunden, nachdem sie an einer erfolglosen Verschwörung zum Sturz der Davis-Regierung zugunsten einer extremeren Regierung beteiligt gewesen war. Orrys Bruder Cooper, der in England für das Marineministerium der Konföderierten tätig gewesen war, hatte seinen einzigen Sohn Judah verloren, als ihr Schiff auf der Rückfahrt vor Fort Fisher von einem Blockadeschiff der Union versenkt worden war.

Und dann war da noch Madeline, die Witwe seines besten Freundes Orry, die sich der schweren Aufgabe gegenübersah, ihr Leben und die abgebrannte Plantage am Ashley River in der Nähe von Charleston neu aufzubauen. George hatte ihr einen Kreditbrief über vierzigtausend Dollar gegeben, auf die Bank, die mehrheitlich ihm gehörte. Er hatte gehofft, daß sie um weitere Beträge bitten würde; der größte Teil der ursprünglichen Summe war für die Zinsen zweier Darlehen und für Bundessteuern benötigt worden; außerdem hatte sie verhindern müssen, daß der Besitz von Agenten des Schatzamts, die bereits den Süden überzogen, konfisziert und weiterverkauft wurde. Trotzdem hatte sich Madeline nicht bei ihm gemeldet, und das beunruhigte ihn.

Selbst zu dieser frühen Stunde herrschte sehr reger Fuhrver-kehr auf der Avenue. Es war ein denkwürdiger Tag, und wenn er dem Himmel und der sanften Brise trauen konnte, dann würde es auch ein wunderschöner Tag werden. Warum war er dann nicht in der Lage, dieses Gefühl nahenden Unheils zu bannen, nachdem er nun seine Befürchtungen, was die beiden Familien anbelangte, beim Namen genannt hatte?

Die Hazards nahmen ein schnelles Frühstück zu sich. Vor allem Brett wirkte besonders glücklich und aufgeregt, dachte George mit einem gewissen Neid. In wenigen Wochen wollte Billy sein Entlassungsgesuch einreichen. Dann würden die beiden an Bord eines Schiffes nach San Francisco gehen. Sie hatten zwar Kalifornien nie gesehen, fühlten sich aber durch Schilderungen des Klimas, der Landschaft und die unbegrenzten Möglichkeiten angezogen. Billy wollte dort eine eigene Baufirma gründen. So wie sein Freund Charles Main, mit dem zusammen er West Point absolviert hatte - inspiriert von George und Orry -, wollte er so weit wie möglich von den narbenbedeckten Schlachtfeldern weg, wo Amerikaner gegen Amerikaner gekämpft hatten.

Das Paar hatte es eilig mit dieser Reise. Brett ging mit ihrem ersten Kind schwanger. Billy hatte es George vertraulich mitgeteilt; der Anstand gebot, daß über eine Schwangerschaft nicht gesprochen wurde, nicht einmal unter Familienmitgliedern. Wenn die Zeit einer Frau gekommen war und ihr Bauch sich deutlich rundete, dann taten die Leute so, als würden sie nichts bemerken. Beim zweiten Kind erzählten die Eltern dem Erstgeborenen oft genug, daß der Doktor das Baby in einer Flasche gebracht habe. George und Constance hielten die meisten der Schicklichkeitsnormen ein, auch wenn sie viele für albern hielten, doch auf die Geschichte mit der Flasche hatten sie sich nie eingelassen.

Gegen acht Uhr fünfzehn erreichte die Familie ihren Tribünenabschnitt. Sie nahmen zwischen Reportern, Kongreßabgeordneten, Richtern des Obersten Gerichtshofs und hohen Armee- und Marineoffizieren Platz. Zu ihrer Linken zog sich die Avenue um das Schatzamt in der Fifteenth Street; hinter der Biegung lag der lange Anstieg der Straße zum Kapitol.

Zu ihrer Rechten drängten sich, soweit der Blick reichte, Menschen hinter Barrikaden, hingen aus Fenstern und saßen auf Dächern und durchhängenden Baumästen. Direkt gegenüber stand der überdachte Pavillon für die Gäste von Präsident Johnson, zu denen die Generäle Grant und Sheridan und Stanley Hazards Arbeitgeber, Kriegsminister Stanton, gehören würden. An der vorderen Dachlinie des Pavillons hingen zwischen Wimpeln und Immergrün Banner mit den Namen der Unionssiege: ATLANTA und ANTIETAM, GETTYSBURG und SPOTSYLVANIA und viele andere.

Viertel vor neun war immer noch nichts vom Präsidenten zu sehen. Ein Meer von Klatsch umspülte zur Zeit den derben, ungehobelten Mann. Die Leute meinten, daß es ihm an Takt fehle; außerdem war er ein schwerer Trinker. Und er war recht ordinär - nun, das zumindest stimmte. Andrew Johnson, ein Schneider und späterer Senator, hatte als Sohn eines Kneipenkellners selbst für seine Bildung sorgen müssen, jedoch besaß er nicht Lincolns Fähigkeit, die schlichte Herkunft zu seinem persönlichen Vorteil auszunutzen. George kannte Johnson. Er hielt ihn für einen schroffen, starrsinnigen Mann, der der Verfassung in beinahe religiöser Weise ergeben war. Das allein brachte ihn schon in Widerspruch zu den Radikalen Republikanern, die die Verfassung gerne nach ihrem Wunsch interpretiert hätten, um so ihre Vision der Gesellschaft durchzusetzen.

George war in vielen Punkten mit den Radikalen einer Meinung, wozu auch die Bürgerrechte und das Wahlrecht für geeignete Männer beider Rassen gehörten. Doch immer häufiger fand er die Motive und die Taktiken der Radikalen abstoßend. Viele von ihnen machten kein Geheimnis aus ihrer Absicht, den Schwarzen allein dafür das Stimmrecht zu gewähren, daß die Republikaner zur Mehrheitspartei wurden, und so die traditionell demokratische Herrschaft über das Land zu brechen. Die Radikalen trugen den Besiegten gegenüber Feindseligkeit zur Schau, was sich allerdings auch auf alle anderen Gruppierungen erstreckte, die sie für ideologisch unrein hielten.

Präsident Johnson und die Radikalen standen sich in einem zunehmend heftiger werdenden Kampf um den Wiederaufbau der Union gegenüber. Der Streit war nicht neu. Lincoln hatte 1862 seinen Louisiana-Plan vorgelegt, den er später noch erweiterte, um die Wiederaufnahme eines jeden abtrünnigen Staates zu ermöglichen, falls ein >nennenswerter Kern< von Wählern -lediglich zehn Prozent der 1860 zugelassenen - ein Loyalitätsgelübde ablegte und eine Pro-Union-Regierung einsetzte.

Im Juli 1864 hatten die Radikalen Republikaner mit einer Gesetzesvorlage zurückgeschlagen, die von Senator Ben Wade aus Ohio und dem Abgeordneten Henry Davis aus Maryland eingebracht worden war. Darin wurde ein wesentlich schärferer Wiederaufbauplan umrissen, einschließlich der Maßnahme, daß über die geschlagene Konföderation das Militärrecht verhängt werden sollte. Das Gesetz schob dem Kongreß die Kontrolle über den Wiederaufbau zu. Anfang 1865 hatte Tennessee eine Regierung entsprechend dem Lincoln-Plan gebildet, angeführt von einem Nationalrepublikaner namens Brownlow. Die Radikalen im Kongreß verweigerten den gewählten Repräsentanten dieser Regierung die Anerkennung.