»Ich bin hier, um zu essen, und nicht, um über Politik zu diskutieren, wenn du nichts dagegen hast«, sagte Stanley mit aufgeblasener Würde. George machte dem Kellner ein Zeichen. Laban zupfte die Serviette auf seinem Schoß zum drittenmal zurecht. Er beteiligte sich nicht an dem Gespräch. Er mochte keines der anderen Familienmitglieder.
»Wir haben eine Suite mit einem Schlafzimmer reserviert«, sagte der Mann an der Rezeption des luxuriösen Continental Hotel, Ecke Chestnut und Ninth Street. In der Lobby herrschte Chaos; zwei Gentlemen, die wegen ihrer nicht existierenden Reservationen herumbrüllten, verstärkten den Lärm noch.
Auch der Angestellte hob seine Stimme. »Sollen wir für Ihre Dienerin eine Matratze in das Wohnzimmer legen?«
Jane, die hinter Madeline stand, schaute bekümmert drein, aber sie war zu müde zum Kämpfen. Es war eine lange Fahrt gewesen. Madeline war staubbedeckt und schlecht gelaunt und nicht geneigt, eine ähnliche Zurückhaltung an den Tag zu legen. »Sie ist nicht meine Dienerin, sondern meine Freundin und Reisebegleiterin. Sie braucht ein Bett, wie ich es habe.«
»Wir haben keine weiteren Zimmer«, sagte der Angestellte. Ein anderer Angestellter links von ihm sprang zurück, als einer der Männer ohne Reservation nach ihm schlug. Der zweite Angestellte schrie um Hilfe.
»Dann werden wir zusammen schlafen«, sagte Madeline; sie mußte ebenfalls fast brüllen, um sich Gehör zu verschaffen. »Lassen Sie unser Gepäck nach oben bringen.«
»Page«, sagte der Angestellte und schnippte mit den Fingern. Er schaute empört drein.
Patricia sagte: »Fremont, spiel nicht mit deiner Knackwurst herum.« Fremont spießte die Wurst mit seiner Gabel auf und schleuderte sie zu Boden. Patricia gab ihm einen Klaps auf die Hand.
Ihr Mann sagte zu George: »Wie viele der Mains aus South Carolina werden sich uns noch anschließen?«
George stellte seinen Krug mit dem Bockbier der Hundertjahrfeier ab und schüttelte den Kopf.
»Bedauerlicherweise nur Orrys Witwe. Orrys Nichte MarieLouise bekommt im August ihr zweites Kind. Ihr Arzt hat ihr von der Reise abgeraten. Was ihren Vater, Orrys Bruder, anbelangt«, er atmete tief ein; sein Gesicht wurde ernst, »nach langem Nachdenken und trotz seiner Frau, die eine wirklich liebenswerte Person ist, habe ich mich gegen eine Einladung für Cooper entschieden. Schon vor langer Zeit hat er klargestellt, daß er nur dem Namen nach ein Main ist, ebenso wie Ashton. Ich hatte nie die Absicht zu versuchen, sie aufzuspüren.«
Richter Cork Bledsoe, seit drei Jahren nicht mehr im Staatsdienst, betrieb eine kleine Farm nahe der Küste, ungefähr zehn Meilen südlich von Charleston. An einem heißen Julimorgen ritten hintereinander sieben Männer in seine Zufahrtstraße, um ihm einen Besuch abzustatten. Es handelte sich nicht um Klansmänner; ihre Gesichter waren deutlich sichtbar. Das einzige Kleidungsstück, das sie miteinander gemein hatten, waren schwere, rote Flanellhemden.
Niemand wußte genau, weshalb loyale Demokraten sich für ihre Jagdclubs die Farbe Rot ausgesucht hatten; vor einigen Monaten hatte das in der Gegend von Aiken, Edgefield und Hamburg seinen Anfang genommen und sich dann entlang des Sa-vannah River ausgebreitet, wo man vielleicht den Republikanern und den Schwarzen den heftigsten Widerstand im ganzen Staat entgegensetzte.
Cooper ritt als dritter. Er hatte sich ein großes, weißes Taschentuch um den mageren Hals gebunden, um den Schweiß aufzufangen, aber das nützte auch nicht viel. Aus seiner Sattelscheide ragte der polierte Kolben der neuesten Winchester, Modell 1876 - das >Jahrhundertgewehr<. Es feuerte Kugeln ab, schwer genug, um einen anstürmenden Büffel zu stoppen. In letzter Zeit hatte Cooper eine Vorliebe für Waffen entwickelt, was früher nie der Fall gewesen war.
Judith war dagegen, daß ihr Mann solch eine Waffe zu Hause in der Tradd Street aufbewahrte. Sie mochte auch seine neuen Freunde und deren Aktivitäten nicht. Ihn störte das nicht; ihm war es längst egal, was sie dachte. Sie wohnten im gleichen Haus, aber Zuneigungsbeweise und Kommunikation beschränkten sich auf ein Minimum.
Er hielt die Arbeit dieser Gruppe und ähnlicher, über das ganze Land verteilter Gruppen für wesentlich. Nur eine aus pflichtbewußten Weißen bestehende Regierung konnte South Carolina von seinem Joch befreien und die soziale Ordnung wiederherstellen.
Eine schlampige Frau mit grauen Haaren und gebeugten Schultern beobachtete, wie sich die Reiter vor dem Haus in einem Halbkreis aufbauten. Die Frau hatte einige ihrer Rosen beschnitten; es gab Dutzende davon, rosa, rötlich, pfirsichfarben, die die Luft mit ihrem süßen Duft anreicherten.
Der Sprecher der Besucher, der Anwalt Favor Herrington, berührte die Krempe seines Pflanzerhutes. »Guten Tag, Leota.«
»Guten Tag, Favor.« Sie begrüßte noch drei weitere mit Namen, zu denen auch Cooper gehörte, es entging ihr nicht, daß jeder Mann ein Gewehr oder eine Schrotflinte bei sich hatte.
Herrington zerrte an seinem verschwitzten Hemd. »Eine Hitze ist das, was? Ob ich wohl ein Wort mit dem Richter sprechen könnte? Sagen Sie ihm, ein paar Freunde vom Calhoun Saber Club sind da.«
Leota Bledsoe eilte ins Haus. Augenblicke später kam der Richter in Filzschlappen herausgeschlurft; die Ärmel hatte er hochgerollt, die schwarze Wollweste stand offen. Er war ein schmächtiger Mann mit sanften braunen Augen. Er besaß Anteile an einigen der großen Phosphatverarbeitungsanlagen nahe der Stadt.
»Was verschafft mir das Vergnügen eines Besuches solch einer distinguierten Gruppe der politischen Opposition?« erkundigte er sich mit einem gewissen Sarkasmus.
Herrington keckerte. »Sie wissen, wir sind Demokraten, Richter, aber ich hoffe, Sie erkennen, daß wir offen und ehrlich auftreten und nicht zu diesen verdammten kooperationsbereiten Typen gehören, die mit den verdammten Republikanern ins Bett kriechen wollen.«
»Bei diesen roten Hemden ist kaum ein Irrtum möglich«, sagte der Richter schwer. Den ganzen Frühling hindurch hatte es heftige Kämpfe gegeben zwischen jenen, die die Demokratische Partei rein erhalten wollten, und den anderen, die die Demokraten durch eine Koalition mit den weniger fanatischen Republikanern wie beispielsweise Gouverneur D.H. Chamberlain stärken wollten. Cooper und seine Gesinnungsgenossen griffen nun zu ungewöhnlichen Methoden, um die Partei zu stärken. Rot-hemden-Clubs. Besuche wie diesen hier. Öffentliche Zusammenkünfte; nützlicher, wenn auch gelegentlich blutiger Aufruhr. In den letzten paar Tagen, so hatte er gehört, hatten sich Schwarze und Weiße von beiden Seiten des Flusses in Hamburg die Köpfe eingeschlagen.
»Wir wollen mit Ihnen über den Nominierungskonvent in Columbia nächsten Monat sprechen.«
Das irritierte den Richter. »Verdammt noch mal, Jungs, verschwendet nicht meine Zeit. Jedermann weiß, daß ich seit sechs Jahren die Republikaner wähle.«
»Das wissen wir, Herr Richter«, sagte Cooper. »Vielleicht war das für Ihre Geschäfte am besten.« Beiläufig legte er eine Hand auf den Kolben seiner Winchester. »Wir glauben nicht, daß es im besten Interesse des Staates ist.«
»Hört mal, ich werde nicht über meine politischen Ansichten mit einem Haufen Rabauken diskutieren, die ihre Meinungen mit dem Gewehr verkaufen.«
»Die Gewehre sind nur zur Verteidigung da«, sagte ein anderer der Rothemden.
»Verteidigung!« Der Richter schnaubte. »Ihr benützt diese Gewehre, um ehrlichen schwarzen Männern einen Schrecken einzujagen, die lediglich das ihnen von der Verfassung zugesprochene Wahlrecht ausüben wollen. Ich weiß, was das hier soll. Das ist der Mississippi-Plan; damit habt ihr letztes Jahr alle Republikaner und Schwarzen aus den Staatsämtern getrieben, und jetzt probiert ihr es hier mit demselben Plan. Nun, ich bin daran nicht interessiert.«
Er drehte sich um und schlurfte zur Tür zurück.