Die Besitzerin nannte sich Mrs. Brett. Am 4. Juli erwachte sie zu ihrer üblichen Stunde, 4 Uhr nachmittags. Im Nebenraum leerte ihr schwarzes Mädchen gerade den letzten Krug leicht erwärmter Ziegenmilch in eine Zinkwanne. Sie reckte und streckte sich, badete fünf Minuten in der Milch und rubbelte sich dann ab, bis ihre Haut rosig schimmerte. Sie hatte keinen Beweis dafür, daß die Milchbäder Jugend garantierten. Doch Dr. Cosmopoulos, Phrenologe, Professor für Elektromagnetismus und Verkäufer von Stärkungsmitteln und außerdem noch ein sehr großzügiger Kunde von ihr, behauptete es, und so waren die Bäder zur Gewohnheit geworden.
Sie streifte eine chinesische Seidenrobe über und frühstückte, frische Austern und Kaffee. Zum Abschluß zündete sie sich eine kleine Zigarre an, die sie dem östlichen Lackkästchen entnahm. Die Sammlung ihrer Knöpfe paßte nicht mehr in die kleine Kiste. Sie bewahrte sie nun gut sichtbar in einem großen Glasgefäß auf. Mittlerweile hatte sie über dreihundert Knöpfe beisammen.
Sie tupfte sich teures algerisches Parfüm auf Brüste, Kehle und unter die Arme. Mit Hilfe ihres Mädchens zog sie dann ein apfelrotes Seidenkleid mit einer riesigen Tournüre an. Sie streifte reich verzierte Ringe mit roten, grünen und weißen Steinen über ihre Finger und legte ein schweres Halsband, Armbänder mit aufgesetzten Diamanten und ein gewaltiges Diadem an. Um sechs Uhr dreißig verließ sie ihre Suite im dritten Stock und begab sich nach unten, um Knudsen, den energischen jungen Skandinavier, abzulösen, der sich ab zehn Uhr vormittags um das Tagesgeschäft kümmerte.
Eine ganze Menge Gentlemen umschwirrten bereits die hübsch gekleideten Mädchen in den vier Salons. Zusätzlich zu den weißen Mädchen in dem Bordell gab es noch eine Chinesin, drei Negerinnen und eine reinrassige Cherokee-Indianerin, die außerdem noch eine ausgezeichnete Klavierspielerin war. In diesem Moment spielte Prinzessin Lou gerade >The Yellow Rose of Texas< auf dem Klavier im Hauptsalon. Es war ein Fenway; sie empfand immer noch eine gewisse irrationale Loyalität.
Sie löste Knudsen ab und studierte gerade seine Abrechnung, als ein Kunde an der halb geöffneten Tür vorbeischwankte. Der Mann taumelte zurück und glotzte sie an.
»Ashton?«
»Guten Abend, LeGrand«, sagte sie, ihre Überraschung verbergend. »Willst du nicht hereinkommen? Schließ die Tür.«
Er tat es; der Geräuschpegel im Büro senkte sich beträchtlich. Villers betrachtete die Gemälde und die Marmordekorationen in dem verschwenderisch ausgestatteten Raum. Mit einem verblüfften Kopfschütteln schwankte er zu Ashtons Privatbar und goß sich ungeschickt einen Drink ein. »Schütt nichts auf meinen Teppich, der ist aus Belgien importiert«, sagte sie. »Und nur zu deiner Information, mein Name ist Mrs. Brett.«
»Ich kann's nicht glauben«, sagte Villers und ließ sich auf einen Stuhl neben dem großen Teakholzschreibtisch fallen. »Ich bin nie zuvor hier gewesen. Zwei Fenway-Verkäufer sind in der Stadt, also dachte ich, wir machen mal 'ne Runde. Wie lange leitest du diesen Betrieb schon?«
Ashtons Gesicht war glatt und sorgfältig gepudert, wirkte aber trotzdem etwas dicklich. Sie war vierzig und hatte Probleme mit ihrem Gewicht.
»Seit der Eröffnung. Das war kurz nachdem ich Will verlassen hatte. Ich war nicht gerade darauf vorbereitet, mich selbst zu ernähren. Die Erziehung eines anständigen Südstaatenmädchens besteht darin, daß man lernt, sich zu zieren und einen Knicks zu machen. Zumindest war das zu meiner Zeit so. Logischerweise ist man dann als Erwachsener nur zu zwei Sachen fähig: Ehefrau oder Hure. Im Falle meines ersten Mannes, der ein rückgratloser Taugenichts war, war ich ersteres und fühlte mich wie letzteres. Weißt du, LeGrand, die Ladys von Charleston würden mich für diese Worte lynchen, aber in letzter Zeit fange ich an zu glauben, daß die Suffragetten nicht vollkommen verrückt sind. Ich habe der hiesigen Ortsgruppe zwei Jahre nacheinander eine sehr großzügige Spende zukommen lassen.«
Sie täuschte einen prüden Ausdruck vor. »Selbstverständlich anonym. Ich möchte meinen Ruf nicht aufs Spiel setzen.«
Er lachte. »Wie hast du angefangen?«
»Mit Hilfe eines Gönners.«
»Ja, du würdest keine Schwierigkeiten haben, eine ganze Kompanie Gönner zu finden. Du bist so hübsch wie eh und je.«
»Ich danke dir, LeGrand. Wie geht's Will?«
»Macht Millionen, der alte Hundesohn. Die Juroren in Philadelphia haben unserem Ashton-Modell eine ihrer Bronzemedaillen verliehen. Ist das nicht was? Und jetzt erzähl mir, was passierte, als du so plötzlich verschwandest? An einem Tag kommst du von Carolina zurück und am nächsten - sss! Einfach weg!«
»Will und ich hatten einen größeren Streit.« Sinnlos, ihm mehr zu erzählen. Was ging es ihn an, daß sie unglücklicherweise an dem Tag nicht auf Château Villard war, als die Post den Brief mit Favor Herringtons letzter Rechnung brachte. Will war zu Hause und erholte sich gerade von seiner Sommergrippe. Er öffnete den Brief der ihm unbekannten Anwaltskanzlei und wollte dann von ihr wissen, weshalb sie einen Anwalt angeheuert hatte, wenn sie doch lediglich ihren eigenen Worten zufolge South Carolina einen Besuch abgestattet hatte. Sie wich aus, log, leistete so lange wie möglich Widerstand, doch er war ein sturer, alter Teufel, und der Erfolg hatte ihn nur noch stärker gemacht. Als sie ihn anschrie, eher würde sie in der Hölle schmoren, als ihm etwas zu sagen, meinte er nur achselzuckend, dann werde er eben Favor Herrington telegraphieren und eine Erklärung verlangen. Er werde seine Rechte als Ehemann einsetzen und darauf beharren, daß Herrington kein Berufsgeheimnis geltend machen könnte, da Ashton sein Geld ausgab. Entsetzt gestand Ashton, daß sie über einen auf ihre Bank gezogenen Kreditbrief eine gewaltige Summe für Mont Royal ausgegeben hatte.
Sie versuchte ihre Tat im besten Licht erscheinen zu lassen, aber sie wußte, daß es ihr nicht gelingen würde, als sie sah, wie seine Augen vor lauter Abscheu schmal wurden und sein Mund sich verzog. Als sie dann schließlich zugab, daß sie Mont Royal beinahe ihrer eigenen Familie weggenommen hatte, erinnerte er sich an seine Warnung, die er nach dem Mord am Schwager der Senora in Santa Fe ausgesprochen hatte.
»Ich sagte dir, ich würde niemals wieder eine solche Gemeinheit tolerieren. Ich liebe dich, Ashton, alter Narr, der ich bin. Aber ich will verflucht sein, wenn ich mit so einem verkommenen Menschen weiter zusammenlebe. Ich möchte, daß du deine Sachen packst und bis morgen mittag verschwunden bist.«
Villers sagte: »Ein Streit, sagtest du. Du hast dich von ihm scheiden lassen, ja?«
Ashton schüttelte den Kopf. Sie haßte das Gefühl sentimentaler Sehnsucht, das dieses Gespräch in ihr auslöste. Es war ein ihr nur zu vertrautes Gefühl. »Möglicherweise hat er sich von mir scheiden lassen.«
»Nicht daß ich wüßte«, sagte Villers. »Hat er eine Ahnung, wo du bist?«
»Nein, aber ich nehme auch nicht an, daß es ihn kümmert. Ich bin hier vollkommen glücklich«, log sie. »Wenn eine Frau ihre Gesundheit und ihre Schönheit und ein regelmäßiges Einkommen hat, was braucht sie da noch?« Warum hatte Will so verdammt anständig sein müssen? Mitten in der Nacht wünschte sie sich oft verzweifelt, sich unter der dicken Decke an seinen knochigen alten Leib schmiegen zu können.
Ihre dunklen Augen weiteten sich in ihrem weißgepuderten Gesicht. Die Art und Weise, wie Villers sie musterte, gefiel ihr gar nicht. »Was gibt's, LeGrand?«
»Ich denke bloß nach. Ich nehme an, du und Will, ihr müßt einen guten Grund für die Trennung gehabt haben. Aber er war dein Ehemann. Vielleicht ist er es immer noch. Es wird ihm sehr leid tun zu hören, was aus dir geworden ist.«
Ihr Herz schlug schneller. »Du würdest nicht so gemein sein und es ihm sagen.«