Charles wischte sich Whisky von der Wange. Im Zelt war es sehr still. »Stoßen Sie mich nicht noch mal.«
Venable überflog mit einem schnellen Blick die Menge, sah Hazen und dessen Freunde, die bereit waren, ihm zu helfen. Seine Finger krümmten sich, schlossen sich zu einer Faust. »Ich stoße Sie, wann immer es mir gefällt, Sie verfluchter Verräter.« Er schlug Charles in den Bauch.
Charles hatte mit dem Schlag nicht gerechnet. Er klappte nach vorn zusammen, umklammerte würgend seinen Bauch. Venable knallte ihm die Faust gegen den Kiefer, so daß er zur Seite taumelte. Hazen und die beiden anderen Unteroffiziere sprangen vor und packten den wankenden Charles.
Venable deutete auf den Zelteingang. Die Unteroffiziere zerrten Charles quer durch die Bar und warfen ihn nach draußen, wo er im Schlamm landete.
Mittlerweile hatte Venable seinen Zierdegen abgelegt. Er öffnete die polierten Knöpfe und zog seinen Mantel aus. Zu der Menge um ihn herum sagte er: »Bevor dieser verlogene Reb wegen schlechter Führung rausgeschmissen wird, kriegt er noch was von mir auf den Weg mit. Wer dabei helfen will, kann mitkommen.«
Die meisten Soldaten und Zivilisten grinsten und klatschten, nur der bullige Mann in dem Wildledermantel sagte: »Schaut mir ein bißchen unfair aus, Colonel.«
Venable drehte sich zu ihm. »Wenn Sie nicht mitmachen wollen, dann verhalten Sie sich ruhig. Sonst kriegen Sie noch dasselbe wie er.«
Der bullige Mann starrte ihn an und hielt seinen knurrenden Hund zurück, als Venable hinausmarschierte.
In dem leichten Regen mühte sich Charles, aus dem Schlamm hochzukommen. Hazen flitzte an Venable vorbei, riß Charles' Kopf an den Haaren hoch und schlug ihm mit der anderen Hand auf die Nase. Blut spritzte. Charles fiel auf den Rücken. Hazen trat ihn in den Bauch.
»Ich will ihn haben«, sagte Venable und stieß den Corporal beiseite. Er starrte auf Charles hinunter, der die Hände gegen die Magengegend preßte und sich hinzusetzen versuchte. Vena-bles Mund verzog sich bösartig, als er mit dem rechten Stiefel ausholte. Er trat Charles in die Rippen.
Charles schrie auf und fiel zur Seite. Venable trat ihn ins Kreuz. Erregt sagte er: »Ein paar von euch richten ihn auf.«
Hazen und einer seiner Kumpel packten Charles unter den Armen und zerrten. Charles' Kopf summte. Seine Rippen schmerzten. Für gewöhnlich konnte er recht gut auf sich aufpassen, aber der plötzliche Angriff hatte ihn überrascht.
Als er wieder auf den Füßen stand, riß er sich von den an ihm hängenden Unteroffizieren los. Er war ganz schmierig vom Schlamm, der sich mit dem aus seiner Nase rinnenden Blut vermischte. Er schwankte in den Kreis der regennassen, meist lachenden Gesichter; kaum jemand zeigte die gnadenlose Wildheit, die Venable zur Schau trug. Charles wußte, daß es mit seiner zweiten Chance in der Armee vorbei war. Er konnte jetzt nichts weiter tun, als noch ein bißchen auszuteilen. Wie ein Bulle senkte er den Kopf.
Er griff Venable an, der zurücksprang. Charles wirbelte herum und erwischte wie geplant den verblüfften Hazen. Mit zusammengebissenen Zähnen riß er Hazens Kopf mit beiden Händen nach unten, während er das Knie hochbrachte. Hazens Kiefer krachte wie ein explodierender Knallfrosch.
Kreischend taumelte der Corporal zur Seite. Einer der anderen Unteroffiziere warf sich von hinten auf ihn, knallte Charles die Handkante ins Genick. Charles schwankte. Venable schlug ihm zweimal gegen den Kopf und trat ihn zwischen die Beine. Charles flog in die Menge. Sie stießen ihn wieder lachend und grölend nach vorn.
»Wo bleibt der alte Kampfgeist, Reb?«
»Kein Rebellenschrei mehr übrig, Reb?«
»Reicht ihn im Kreis rum, Jungs. Wir holen schon noch einen Schrei aus ihm raus.«
Und so fingen sie an; einer hielt ihn, während der Mann rechts davon zuschlug. Dann wurde er an den nächsten Mann weitergereicht, und der Mann, der ihn festgehalten hatte, schlug jetzt zu. Als Charles zusammensackte, zerrten sie ihn wieder hoch. Sie wollten ihn gerade an den vierten Mann weitergeben, als jemand sagte: »Laßt ihn in Ruhe.«
Venable fing an zu fluchen. Etwas Hartes und Kaltes glitt über seine Kehle, und aus dem Nichts schoß eine Hand unter seinem linken Arm durch hoch zu seinem Genick. Er war gefangen zwischen einer schwieligen Hand, die sich gegen sein Genick preßte, und einer Hand, die ein gewaltiges Bowiemesser an seine Kehle hielt.
Es war der Mann in dem Wildledermantel. Er roch nach feuchtem Wildleder und Pferden. Ein Zivilist schnarrte: »Noch so ein verfluchter Südstaatler.«
»Nein. Ich kenne diesen Burschen nicht. Aber nicht mal einen vierbeinigen Köter würde man so behandeln. Laßt ihn fallen.«
Die Männer, die Charles festhielten, sahen Venable an. Mit dem Messer an seiner Kehle zwinkerte er ein paarmal rasch und flüsterte: »Macht, was er sagt.« Die Männer ließen Charles los. Mit dem Gesicht nach unten schlug er zu Boden; Schlamm spritzte auf. Der bärtige Mann ließ Venable mit einem verächtlichen Schubs los, der sofort wieder zu fluchen begann. Der Bärtige stoppte ihn, indem er die Spitze seines Bowie gegen Ve-nables Nasenspitze drückte.
»Jederzeit, kleiner Mann. Wann immer du willst, Mann gegen Mann, ohne eine Kompanie, die dir hilft.«
Venable drohte dem im Schlamm liegenden Charles mit dem Finger. »Dieser Hundesohn ist fertig in der U.S. Army. Erledigt!«
Der bärtige Mann drehte das Messer. Ein kleiner Tropfen Blut tauchte auf Venables Nase auf. »Verschwind, du Schleimer. Und zwar auf der Stelle.«
Venable zwinkerte und zwinkerte und brachte irgendwie ein hämisches Lächeln zustande. Er drehte sich um und hinkte zum Egyptian Palace zurück. »Folgt mir, Jungs. Die Runde geht auf mich.«
Sie ließen ihn hochleben und schleppten Hazen nach drinnen, ohne sich umzublicken.
Es regnete nun stärker. Der Mann im Wildledermantel schob sein Messer in die Scheide und sah zu, wie Charles sich hochkämpfte, es nicht schaffte und wieder mit dem Gesicht in den Schlamm fiel.
Der Mann, der so um die Fünfzig sein mochte, ging auf die dem Wind abgewandte Seite des Zeltes. Der Hund, der hinter ihm trottete, war ziemlich groß; sein Fell war grau und weiß mit schwarzen Markierungen. Sein linkes Auge war von einem schwarzen Kreis umgeben, wie die Augenklappe eines Piraten. Er schüttelte sich zweimal, versprühte Wasser. Dann jaulte er. Sein Herr sagte lediglich: »Halt die Klappe, Fen!«
Im Schatten des Zeltes stand ein großer, fetter fünfzehnjähriger Junge, blaß und bartlos. Er trug einen alten Wollmantel und kräftig geflickte Jeans. Seine klaren, dunklen Augen standen leicht schräg, über seinen Augenbrauen und Ohren wölbte sich sein Kopf viel größer hervor, rund und ganz oben fast flach.
Der Junge sah verängstigt aus. Der Mann legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung, Boy. Der Kampf ist vorbei. Du brauchst keine Angst zu haben.«
Der Junge umklammerte mit beiden Händen die rechte Hand des älteren Mannes, auf seinem Gesicht ein pathetischer Ausdruck von Dankbarkeit. Der Mann streckte die linke Hand aus und tätschelte den Jungen beruhigend. »Tut mir leid, daß ich meinem Durst nachgegeben und dich hier draußen habe warten lassen. Aber jetzt brauchst du keine Angst mehr zu haben.«
Der Junge beobachtete ihn, bemühte sich zu verstehen. Auf dem Weg stöhnte Charles auf und rammte seine Fäuste in den Schlamm. Er hob Kopf und Brust zwei Fuß vom Boden hoch und schaute trübe auf den Sprecher. Der Mann im Wildledermantel wußte, daß der Soldat ihn nicht sah.
»Hartnäckiger Bursche«, sagte er. »Ne Menge Mumm. Und in die Armee kann er jetzt auf keinen Fall mehr. Vielleicht haben wir unseren Mann gefunden. Wenn nicht, dann können wir uns wenigstens wie gute Christenmenschen benehmen und ihm in unserem Tipi Unterkunft geben.«
Er drückte die Hände des Jungen nach unten und griff sanft nach einer Hand. »Komm, Boy. Hilf mir, ihn aufzusammeln.« Hand in Hand gingen sie los.