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Nachdem Charles das Angebot von Holzfuß Jackson angenommen hatte, brachte der Händler den Schecken am nächsten Tag zum Veterinär. Er ließ Boy beim Pferdedoktor zurück und machte sich zusammen mit Charles auf in die Stadt. Um Soldaten aus Jefferson Barracks, die Charles vielleicht erkannt hätten, aus dem Wege zu gehen, schlugen sie einen Bogen und ritten von Westen her in die Stadt. Der Collie rannte nebenher.

Zu Zeiten der ersten kreolischen Siedler war der Ort ein reines Pelzhandelszentrum gewesen, doch die Zeiten hatten sich geändert. Auf der von Platanen und Linden gesäumten Straße kamen sie an Farmwagen vorbei, auf denen sich Äpfel oder Kornsäcke türmten. Sie ritten um zwei Farmer herum, die eine Schweineherde trieben, die laut quiekend mit ihrem charakteristischen Gestank die Luft verpesteten.

Kurz darauf tauchten Dächer vor ihnen auf, über denen eine graue Wolke hing. »Atme nicht zu tief durch in St. Lou«, riet Holzfuß. »Sie bauen mehr Gießereien und Gerbereien und Mühlen, als ich im Auge behalten kann. Ich glaube, Amerikanern ist es egal, ob sie am Fabrikrauch ersticken, solange sie nur reich dabei werden.«

Der Tag war hell und strahlend. Charles fühlte sich gut. Die Auswirkungen der Prügel ließen nach, und der Flickenmantel hielt ihn warm. Sein erster Eindruck von Holzfuß war richtig gewesen; der Händler war ein sympathischer Mann, dem man vertrauen konnte. Vielleicht würde sich seine Stimmung in den nächsten Wochen heben, vielleicht mußte er erst einmal ins Indianerterritorium reiten.

Sie ritten in das geschäftige Herz der Stadt, vorbei an alten kreolischen Steinhäusern, Grenzlandhütten aus handgeschlagenen Stämmen und neueren Häusern aus Schnittholz mit quergeteilten Türen, erbaut von den Angehörigen einer großen deutschen Kolonie. Ungefähr hundertfünfzigtausend Menschen lebten in St. Louis, sagte Holzfuß.

Als sie die Third Street erreichten, konnten sie bereits das Geschrei, den Lärm des Wagenverkehrs und der Schauermänner von dem anderthalb Meilen langen Uferdamm vor ihnen hören. Die Pfeife eines Flußbootes schrillte, als Holzfuß Charles ein Banknotenbündel in die Hand drückte.

»Ich kümmere mich um unseren Warenvorrat, während du dir Winterkleidung kaufst. Und ein Messer. Außerdem ein Gewehr, das dir paßt, und massenhaft Munition. Knausere nicht. Da draußen, wo wir hingehen, gibt's keinen Laden, und du wärst verdammt unglücklich, wenn du ein Dutzend verrückte Cheyenne am Hals und keine Patronen mehr in der Tasche hättest, bloß weil du ein paar Pennies sparen wolltest. Oh«, er grinste, »kauf dir ein paar von den Zigarren, die du so magst. Ein bißchen Vergnügen braucht der Mensch in der Wildnis. Die Winternächte sind verflucht lang.«

Er winkte, bog vor einem Ochsenkarren an der Ecke links ab und war verschwunden.

Zehn Minuten später kam Charles mit drei Holzkistchen unter dem Arm aus einem Tabakladen in der Olive Street. Er schob sie in eine alte Satteltasche, die Holzfuß ihm gegeben hatte.

Eine Zigarre ließ er draußen, um sie gleich zu rauchen. Als er sie anzündete, bemerkte er einen Armeeoffizier auf dem gegenüberliegenden Gehsteig. Er kannte den Namen des Offiziers nicht, erinnerte sich aber von Jefferson Barracks her an das Gesicht. Er blieb regungslos stehen. Das Streichholz brannte nieder, versengte seine Finger.

Der Offizier bog um die Ecke, ohne ihn zu sehen.

Charles atmete tief aus, schnippte das abgebrannte Streichholz weg und rieb sich die schmerzenden Finger am Bein. Mit dem zweiten Streichholz zündete er seine Zigarre an, als ein Wagen vor einem großen, zweistöckigen Gebäude an der Ecke hielt. Im zweiten Stock war eine Tafel so angebracht, daß man sie von beiden Straßen aus lesen konnte; in roten Lettern stand da

TRUMPS ST.-LOUIS-THEATER.

Der Wagen war mit rohen Brettern beladen. Der Kutscher, ein Spitzbauch, der die vordere Krempe seines schwarzen Hutes hochgesteckt hatte, band die Zügel an einen Pfosten und zog dem alten Karrengaul eins über, als er abstieg - eine unnötige Gemeinheit, die Charles die Stirn runzeln ließ. Der Kutscher schaute mürrisch drein, aber das war keine Entschuldigung.

Der Mann trat durch eine mit >Bühne< gekennzeichnete Tür. Er brüllte irgendwas, kam dann wieder heraus und begann die Bretter vom Wagen zu zerren. Er sah aus, als haßte er seine Arbeit und die ganze Welt.

Eine schwarze Katze streunte aus dem Theater und näherte sich dem Karrengaul. Das Pferd wieherte und wich seitlich aus. Die Katze machte einen krummen Buckel und fauchte. Das Pferd bäumte sich auf, wieherte wild und galoppierte auf die Straße, wo es beinahe einen Zusammenstoß mit einem grünweißen Hotelomnibus verursacht hätte, der Passagiere und Gepäck vom Uferdamm transportierte. Einer der Fahrgäste lehnte sich hinaus, um den Gaul mit einem Schlag zu verscheuchen. Wieder stieg das Pferd hoch.

Als der Omnibus weiterratterte, ließ der Kutscher drei Bretter auf den Gehsteig fallen und schlug mit seinem schwarzen Hut auf das Hinterteil des Pferdes ein. »Du gottverdammter elender Klepper.« Wieder schlug er zu und wieder und wieder.

Während er zusah, veränderte sich Charles' Gesichtsausdruck. Das Pferd schnappte nach seinem Peiniger. Der Kutscher griff unter den Sitz, holte eine Peitsche hervor und schlug wild auf den alten Gaul ein.

Um den Kopf seines Pferdes herum rannte Charles auf die Straße, konnte gerade noch einem Reiter ausweichen. Der Kutscher peitschte weiter. »Ich werd' dir's zeigen, mich beißen zu wollen, du verfluchter Klepper.«

Ein Gentleman in Begleitung einer Lady verbat sich diese Ausdrucksweise. Der Kutscher wirbelte herum und bedrohte ihn mit der blutigen Peitsche. Der Mann zog die Frau schnell davon.

Das schwächliche Aufbäumen des alten Gauls amüsierte den Kutscher. Wieder schlug er das Tier.

»Noch einen Schlag, und ich jage dir eine Kugel zwischen die Augen.«

Der Kutscher schaute auf und sah Charles vor sich auf dem Gehsteig, mit ausgestreckten Händen den Armeecolt umklammernd. Charles Wangen waren tiefrot. Der Anblick der Peitschenstriemen versetzte ihn in Wut. Sein Herz hämmerte, das Blut rauschte ihm in den Ohren. Er spannte den Schlagbolzen.

»Herrgott noch mal, das ist mein Pferd«, protestierte der Kutscher.

»Das ist bloß ein Tier. Laß deine schlechte Laune an einem menschlichen Wesen aus.«

Vom Theatereingang links von Charles sagte eine Frauenstimme: »Was geht hier vor?« Charles machte den Fehler, einen Blick in ihre Richtung zu werfen, und der Kutscher zog ihm die Peitsche über die Schulter.

Charles taumelte zurück. Der Kutscher schlug ihm den Colt aus der Hand. Irgendwas explodierte in Charles' Kopf.

Er entriß dem Kutscher die erhobene Peitsche und schleuderte sie beiseite. Dann sprang er den Mann an und riß ihn herunter auf den hölzernen Gehsteig. Sein rechter Arm schoß vor und zurück. Jemand aus der sich ansammelnden Menschenmenge packte ihn bei den Schultern. »Schluß! Aufhören!«

Charles hämmerte weiter.

»Aufhören! Sie bringen ihn ja um.«

Zwei Mann schafften es, ihn wegzuzerren. Der rote Nebel in seinem Kopf lichtete sich, und er sah das zerschlagene, blutige Gesicht des auf dem Rücken liegenden Kutschers. Einer aus der Menge sagte zu dem Kutscher: »Du lädst besser ab und verschwindest hier.«

Charles warf dem Kutscher ein blaues Halstuch aus seiner Gesäßtasche zu. Der Mann stieß es beiseite und belegte Charles mit einem Schimpfnamen. Charles massierte seine schmerzende rechte Hand, während der Kutscher auf die Beine taumelte und die restlichen Bretter vom Wagen zu zerren begann.

»Ganz schöne Bestrafung wegen eines bißchen Prügel fürs Pferd«, sagte einer der Zuschauer zu Charles.

»Der Mann hat mich angegriffen.« Er starrte ihn an, bis der Zuschauer etwas murmelte und sich abwandte.

Die Frau sagte zu jemandem im Inneren des Theaters: »Arthur, hilf bitte beim Abladen des Holzes.« Charles wandte sich ihr zu; ihr Anblick traf ihn vollkommen unerwartet: eine Frau von vielleicht zwanzig Jahren, so hübsch wie ein Bild, schlank, aber doch wohlgeformt, mit blauen Augen und so hellblondem Haar, daß es schon silbern glänzte. Sie trug ein schlichtes, gelbes, teilweise staubiges Kleid. In ihren Armen hielt sie die schwarze Katze.