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„Willkommen, Herr Haller! Sie haben meinem lieben Enkelkind einen großen Gefallen erwiesen. Nehmen Sie Platz! Willkommen auch, liebe Madelon. Der Herr kennt mich doch, Emma?“

„Ich glaube schwerlich.“

„So nenne mich ihm.“

Haller winkte mit der Hand und sagte:

„O bitte, es bedarf keiner Vorstellung. Die Dame nannte Sie ja Großpapa.“

„Der bin ich ihr.“

„Also wohl Herr König?“

„König?“ fragte der Rittmeister erstaunt. Und nach einem Blick auf Emma, um deren Lippen ein verhaltenes Lachen zuckte, fuhr er, sich leise den gewaltigen Schnurrbart streichend, fort: „Gewiß wieder einer deiner kleinen Streiche! Nicht? Sie wissen, Herr Haller, junge wilde Damen sind nicht leicht zu zähmen. Mein Name ist nicht König, sondern Königsau. Oder sollten Sie die letzte Silbe vielleicht überhört haben?“

Haller zuckte zusammen.

„Königsau?“ fragte er. Er deutete auf Emma und fuhr fort: „Fräulein Köhler hat mir diese Dame als Fräulein König vorgestellt.“

„So handelt es sich also wirklich um einen jugendlichen Übermut! Emma, Emma! Wie soll ich dich da bestrafen!“

„Ich bitte um Gnade, bester Großpapa! Es war so wunderbar interessant, für eine Gouvernante gehalten zu werden!“

„Für eine Gouvernante?“

„Ja, nämlich für diejenige der Tante Goldberg.“

„Wer hält dich dafür?“

„Dieser Herr und sein Freund, der Maler Hieronymus Aurelius Schneffke. Ich habe es dir ja gestern erzählt!“

Haller wurde rot bis hinter die Ohren. Das war ja eine ganz und gar fatale Lage, in welche er da geraten war, er, ein Offizier der französischen Garde! Wenn sie das gewußt hätten! Er beeilte sich, zu entgegnen:

„Entschuldigung, meine Herrschaften. Nicht ich war es, der die Dame für eine Gouvernante hielt, und ich habe auch keineswegs Veranlassung, diesen Kollegen für meinen Freund auszugeben. Mein Zusammentreffen mit ihm war ein rein zufälliges und wird auf jeden Fall auch nur ein vorübergehendes bleiben.“

„Nicht Sie haben um Entschuldigung zu bitten, Herr Haller“, meinte der Greis. „Das ist vielmehr die Pflicht dieser überlustigen Damen. Über die eine habe ich leider keine Macht; aber die andere werde ich bestrafen. Sie soll sechs Tage Hausarrest erhalten, damit sie wenigstens für diese Zeit nicht imstande ist, neue Streiche auszuführen.“

„Großpapa! Bin ich denn wirklich ein so schlimmer Springinsfeld?“

„Herr Haller mag entscheiden.“

„Ich bitte um Gnade für die Dame!“ sagte dieser, indem er sich gegen beide höflich verbeugte.

„Nun so will ich von meinem Recht, zu verzeihen, noch einmal Gebrauch machen, keineswegs aber aus Nachsicht für dich, du wilder Vogel, sondern aus Rücksicht für unseren Gast, dem ich doch seine Bitte nicht abschlagen darf. König anstatt Königsau! Wer sollte das denken!“

„Gestatten Sie!“ bat Haller. „Königsau oder von Königsau?“

„Von, von, mein Herr. Ich bin pensionierter Rittmeister.“

Ah, da befand er sich ja inmitten der Familie, an die er adressiert war. Welch ein glücklicher Zufall! Er hatte freilich gar keine Ahnung, daß er allen bereits bekannt sei, und daß das neckische Mädchen nur ihr Spiel mit ihm getrieben habe. Mit Emma und dem Alten hoffte er bald fertig zu werden. Ging er nur einigermaßen auf ihr munteres Naturell ein, und schmeichelte er dem Alten dadurch, daß er dessen Kriegserlebnisse mit Begeisterung anhörte, so glaubte er leichtes Spiel zu haben. Er wußte freilich nicht, daß Emma ein sehr ernster Charakter war, daß sie von dem Großvater nur im Scherz als Spaßvogel bezeichnet worden war, und daß er auch dem Greis nicht beizukommen vermochte, weil dieser bereits wußte, welche Absicht ihn herbeigeführt hatte.

„Rittmeister also!“ sagte er. „So sind Sie wohl jener bekannte Herr von Königsau, welcher sich während der Befreiungskriege in der unmittelbaren Nähe von Marschall Vorwärts befand?“

„Ja; ich hatte das Glück, seine Teilnahme zu besitzen. Wir haben es damals den Franzosen heißgemacht.“

„Und gehörig. Hoffen wir, daß sie es sich gemerkt haben.“

„Hm. Der Mensch ist vergeßlich, und die Herrn von jenseits des Rheins sind ja auch nur Menschen.“

„Sie denken, daß sie auf Revanche sinnen?“

„Wegen der Napoleonischen Kriege wohl schwerlich, noch vielleicht eher wegen Sadowa. Aber das wäre ein Unglück für Deutschland.“

„Wieso?“

„Weil uns der Franzose einfach in die Pfanne hauen würde.“

„Ich als guter Deutscher möchte das denn doch bezweifeln!“

„Meinen Sie, daß ich ein weniger guter Patriot bin als Sie, Herr Haller? Aber Sie sind Künstler, und ich bin Militär. Unsereiner sieht alles anders als Sie. Und selbst wenn ich mich nicht mehr mit den Verhältnissen der deutschen Armeen beschäftigen wollte, so bietet mir doch mein Enkel oft Gelegenheit, zu hören und zu urteilen.“

„Dieser Enkel ist Offizier?“

„Er ist Ulanenrittmeister und beim Generalstab angestellt. Leider ist er gegenwärtig verreist, auf Urlaub fort, die Aufgaben, welche er zu lösen hatte, haben mir den Beweis geliefert, daß wir auf jeden Fall den Krieg mit Frankreich vermeiden müssen. Die Manuskripte liegen noch in seinem Arbeitszimmer. Ich würde mich mehr mit ihnen beschäftigen, aber meine Augen sind schwach geworden, und Emma besitzt nicht die nötige Geduld, mir solche militärische Essays, Gutachten und so weiter vorzulesen. Man lebt zu einsam. Vielleicht haben Sie die Güte, sich zuweilen sehen zu lassen.“

Das war es ja, was Haller ersehnt hatte. Eine Einladung. Vielleicht durfte er dem Alten die wichtigen Essays und Gutachten vorlesen. Er sagte darum schnelclass="underline"

„Herzlichen Dank, Herr Rittmeister! Ich bin hier fremd und also in der Lage, gesellschaftlich erst Fuß fassen zu müssen. Ihre freundlichen Worte erfüllen mich mit Dankbarkeit.“

„Das freut mich. Sie sind willkommen, sooft und wann es Ihnen beliebt. Wir spielen Schach; wir lesen und plaudern. Hast du heute gewöhnliche Küche, Emma?“

„Ich denke, daß wir nicht darben werden, Großpapa.“

„Das ist schön. Wollen Sie Ihr Abendbrot bei uns einnehmen, Herr Haller? Wir müssen den Streich, der Ihnen gespielt worden ist, möglichst gutmachen.“

„Ich stehe gern zur Verfügung, Herr Rittmeister!“

„Acht Uhr wollen wir sagen?“

„Wie Sie befehlen.“

Der Greis hatte sich erhoben, zum Zeichen, daß er die gegenwärtige Unterredung zu beendigen wünsche. Darum fügte Haller hinzu:

„Für jetzt bitte ich um die Güte, mich zu beurlauben! Ich empfehle mich den Damen. Nochmals innigen Dank, Herr von Königsau.“

Er gab dem Rittmeister die Hand, küßte Emma die Fingerspitzen, nickte Madelon einen Abschied zu und ging. In seiner Freude gab er draußen dem Diener, der ihm den Hut reichte, einen Taler Trinkgeld, und unten auf der Straße murmelte er leise vor sich hin:

„Bei Gott, das ist ein Glückstag. Was hatte ich für Sorge, ob es mir gelingen werde, Zutritt zu erlangen! Nun aber geht alles gut. Es hat sich so leicht, so glatt gemacht. Dieser alte Kriegsmann scheint außerordentlich umgänglich zu sein. Er hält mich für einen militärischen Ignoranten, vor dem er kein Geheimnis zu haben braucht. Er wird sicher plaudern, ganz ohne Rückhalt. Ich merke bereits jetzt, daß ich gewonnenes Spiel habe.“

Was aber wurde über ihn für ein Urteil gefällt? Als er sich entfernt hatte, sagte der Rittmeister:

„Also das ist deine Begegnung aus dem Tharandter Wald! Und du hast wirklich keine Ahnung gehabt, was er war?“

„Nicht die mindeste. Wie sollte ich auch?“

„Und wie kommst du denn jetzt mit ihm zusammen?“

„Er wohnt ja bei Geheimrats in Madelons Haus, wo ich zuweilen bin. Ich war soeben dort und hatte meinen Fächer zurückgelassen.“