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„Das scheint so; ich denke es auch; aber der Alte ist beinahe unberechenbar.“

„Sie berechnen ihn doch auch, und zwar mit Erfolg.“

Müller zuckte die Achsel und antwortete:

„Es hat ein jeder seine eigene Weise im Rechnen; daher gelingt dem einen sehr leicht, worüber sich ein anderer vergebens den Kopf zerbricht.“

Der Amerikaner zog die Brauen zusammen.

„Halten Sie mich vielleicht für einen Dummkopf?“ fragte er.

„Nein, aber für einen heißblütigen Charakter. Es ist das ein Vorzug, kann aber auch leicht zum Schaden ausschlagen.“

„Nun, zunächst bin ich noch im Vorteiclass="underline" Ich habe meinen Verdacht, wovon der Alte gar nichts ahnt, ich habe ferner Ihre Warnung, welche Sie nicht ohne triftigen Grund ausgesprochen haben werden, und ich bin schließlich im Besitz des Geheimnisses, daß es hier verborgene Örtlichkeiten gibt.“

„Dieser Besitz wird Ihnen nicht viel helfen.“

„Ah pah! Ich werde den geheimen Gang, durch welchen der Alte zu mir kam, und durch welchen auch Sie gekommen sind, untersuchen!“

„Ich rate Ihnen sehr, dies zu unterlassen. Verlassen Sie das Schloß. Sie sind überall in Sicherheit, nur hier nicht!“

„Sie mögen recht haben; aber ich fühle mich gereizt, den Kampf mit diesem alten Spitzbuben unmittelbar zu führen. Können Sie mich über den verborgenen Gang aufklären?“

„Ich kenne diese Heimlichkeit selbst noch nicht vollständig.“

„Ah, Sie bleiben zurückhaltend! Das tut mir leid. Ich sagte Ihnen bereits, welche Teilnahme ich Ihnen widme!“

„Ich bin Ihnen dankbar, Monsieur. Ich habe Ihnen bewiesen, daß diese Teilnahme eine gegenseitige ist.“

„Gewiß! Aber wenn Sie ein wenig aufrichtiger sein wollten, würde ich mich viel glücklicher schätzen.“

„Vielleicht ist mir dies später möglich. Sie wissen, daß ich nicht das bin, was ich zu sein scheine. Sie wissen, daß ich den Kapitän genau kenne, daß ich ihn beaufsichtige. Ich bitte Sie, auf meine Warnung zu hören und das Schloß baldigst zu verlassen.“

„Das kann mir keinen Nutzen bringen. Sie wissen, daß ich an diese Gegend gebunden bin –“

„Das begreife ich nicht. Sie kommen, um mit dem Kapitän ein Geschäft abzuschließen; Sie sehen, daß er Sie betrügt, ja, daß er das Schlimmste sinnt – was ist es, was Sie an ihn binden könnte?“

„Ah, ihn meine ich nicht. Es gibt eine ganz andere Person, welche mich veranlaßt, in dieser Gegend zu bleiben. Ich nehme an, daß Sie erraten, wen ich meine. Habe ich nun einmal die Absicht, in dieser Gegend zu bleiben, warum denn nicht auch hier im Schloß?“

„Weil dies für Sie der gefährlichste Ort ist.“

„O nein! In der Höhle des Löwen ist man oft sicherer als außerhalb derselben. Der Kapitän kann mich finden, ob ich hier wohne oder in Thionville.“

Müller erhob sich von seinem Sitz und sagte:

„Ich kann mir ein Recht, auf Ihre Entschlüsse und Bestimmungen einzuwirken, nicht anmaßen; ich habe es gut gemeint.“

„Das sehe ich auch ein. Ich weiß, daß unsere Bekanntschaft zu jung ist, als daß Sie mir alles mitteilen könnten; ich strebe also danach, mir Ihr Vertrauen zu erwerben, und dies wird mir leichter, wenn ich da wohne, wo auch Sie sich befinden – abermals ein Grund, in Ortry zu bleiben.“

„Nun, so habe ich für jetzt nur eine Bitte.“

„Sie ist Ihnen gewährt. Sprechen Sie!“

„Lassen Sie keinen Menschen ahnen, daß Sie von mir gewarnt worden sind.“

„Ich werde schweigen.“

„Und was auch passieren möge, verraten Sie nicht, daß ich den heimlichen Gang kenne und Sie mit Benutzung desselben hier besucht habe!“

„Auch das verspreche ich Ihnen, möchte aber allerdings gern eine Gegenbitte aussprechen.“

„Lassen Sie hören!“

„Ich bemerke, daß Sie in einem Ton mit mir verkehren, wie es zwischen Personen gebräuchlich, welche sich Höflichkeit schulden, aber auch nichts weiter als Höflichkeit. Sie äußern zwar Teilnahme für mich, aber eine Teilnahme, wie man sie für einen jeden Menschen hat, der sich die Freundlichkeit seiner Mitbrüder nicht verscherzt hat. Ich sage Ihnen aufrichtig, daß mir dies nicht genügen kann.“

Über Müllers Gesicht glitt ein sehr bezeichnendes Lächeln.

„Das klingt ja außerordentlich diktatorisch!“ sagte er.

„Sehen Sie, bitte, von dem äußeren Klang ab! Ich strebe nach Ihrer Freundschaft; ich sehe ein, daß diese nicht im Sturm erobert werden kann, aber ebenso deutlich erkenne ich, daß irgend etwas zwischen uns liegt, was ich leider nicht zu bestimmen vermag. Es ist irgend etwas Unwägbares, irgend etwas nicht mit den Händen zu Greifendes, was aber trotzdem da ist und auch trotzdem seine Wirkung äußert. Ich würde Ihnen zum größten Dank verpflichtet sein, wenn Sie mir offen und ehrlich sagen wollten, was dieses unbestimmbare Hindernis eigentlich ist!“

„Ja, ja“, nickte Müller bedächtig; „ich halte Sie für einen Südländer, und ich habe damit jedenfalls das Richtige getroffen. Man will über den Fluß hinüber, und so springt man mit beiden Beinen zugleich in das Wasser, ohne nur vorher zu überlegen, ob man schwimmen gelernt hat oder nicht!“

„Kann ich gegen meine Natur, gegen mein Temperament?“

„Nein, aber mäßigen kann man dieses Temperament! Doch, rechten wir nicht.“

„Wollen Sie sagen, daß ich nicht recht habe?“

„Das behaupte ich nicht.“

„Sie geben also zu, daß irgend etwas zwischen uns liegt, was eine herzliche Annäherung verhindert?“

„Ja, ich gebe es aufrichtig zu.“

„Gott sei Dank! Darf ich nun aber auch dieses so fatale Hemmnis kennenlernen?“

„Sie werden es kennenlernen, zu seiner Zeit; jetzt ist mir noch nicht erlaubt, es zu sagen.“

„Liegt es in meiner Person?“

„Nein; diese wäre mir ja ganz und gar sympathisch, wie ich Ihnen offen gestehe.“

„Oder in meinen Verhältnissen?“

„Nein, denn diese Verhältnisse sind mir unbekannt.“

„Worin dann sonst? Vielleicht in meinen Anschauungen und Intentionen?“

„Ja, das ist das Richtige.“

„Dann wird es mir nicht schwer werden, das, was sie mir noch nicht mitteilen dürfen, zu erraten. Also es handelt sich um meine Anschauungen? Etwa um die religiösen?“

„Nein.“

„Die politischen?“

Müller ließ ein leises Pfeifen hören, wiegte den Kopf hin und her und antwortete dann:

„Mein verehrtester Master Deep-hill, Sie sehen doch ein, daß ich Ihnen Ihre Fragen nicht weiterhin beantworten kann.“

„Warum nicht?“

„Sehr einfach: Wenn ich Ihnen etwas nicht mitteilen darf, so ist es mir jedenfalls auch verboten, es Sie erraten zu lassen. Das eine wäre dann ganz genauso wie das andere.“

„Gut, ich verstehe! Ich glaube aber, bereits beim Erraten zu sein, und versichere Ihnen, über Ihre Worte nachzudenken.“

„Tun Sie das. Ein gutes Nachdenken ist in keiner Lage überflüssig. Es sollte mich freuen, wenn unsere Bekanntschaft eine gewinnreiche für Sie werden könnte!“

„Das ist ja mein Wünschen und Sehnen. Ich habe gelitten, was Tausende nicht zu tragen vermöchten. Ich habe mich elend gefühlt, elend und verlassen, wie selten einer. Ich hatte ein Glück verloren, wie es größer keines geben konnte, und ich wanderte rast- und ruhelos, um es wiederzufinden. Jetzt ist es, als wolle mir nach langer Finsternis eine neue Morgenröte leuchten. Soll es eine Täuschung sein? Soll es für mich allein kein Sternchen geben, wo doch über dem Allerärmsten die Sonne Gottes leuchtet?“

Er hatte aus dem tiefsten Innern heraus gesprochen. Sein Blick hing fast wie mit Angst an Müllers Auge. Dieser war selbst tief gerührt. Er streckte ihm die Hand entgegen und antwortete:

„Warum sollten Sie verzagen? Ich bin gewiß, daß es auch für Sie noch einen Strahl des Lichtes gibt. Aber wenn Sie so sehr und so viel bitten, so sagen Sie mir, in welchem Land Ihr Weh seinen Anfang nahm!“