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„Hier, in Frankreich.“

„Warum kehrten Sie zurück? Warum werfen Sie sich mit Gewalt der bösen Erinnerung in die Arme? Warum bringen Sie einem Land Opfer, dem Sie bereits das größte Opfer, Ihr Lebensglück, gebracht haben?“

Deep-hill blickte sinnend vor sich nieder.

„Es liegt in Ihrer Frage etwas mir Unverständliches“, sagte er; „aber obgleich ich es nicht verstehe, fühle ich doch, daß es ein Fingerzeig für mich sein soll, eine Mahnung, eine Warnung, der ich gern gehorchen möchte.“

„Sie raten ganz richtig, Monsieur! Ich meine, Sie haben ein Herzensglück verloren. Suchen Sie sich jetzt ein solches, warum werfen Sie sich denn äußeren Eventualitäten in die Arme, von denen Sie ein Glück niemals zu erwarten haben? Wenn Sie jetzt dem König Schach bieten, so haben Sie doch nicht nötig, auch va banque zu spielen. Sie erfahren es an dem alten Kapitän, daß Sie dabei doch nur zugrunde gehen! Hier meine Hand! Ich fühle, daß ich Sie liebhaben könnte! Denken Sie über meine Worte nach und finden Sie das Richtige, so wird es sicherlich zu Ihrem Glück sein! Jetzt gute Nacht!“

„Gute Nacht!“ wiederholte der Amerikaner mechanisch.

Sein Blick folgte Müller, wie dieser sich durch den geheimen Eingang entfernte und dann das Getäfel wieder in die rechte Lage brachte. So stand er eine ganze Weile. Endlich ging ein helles Leuchten über sein Gesicht.

„Es wird sicherlich zu Ihrem Glück sein!“ wiederholte er. „Ah, sie liebt mich! Er hat mit ihr gesprochen. Sie liebt mich; er hat es erfahren. Ich werde glücklich sein – aber nur dann, wenn ich das Richtige finde! Was aber ist das? Was hat er damit gemeint? Ich muß mir ein jedes seiner Worte wiederholen. Er hat mit ganzer Überlegung gesprochen, und ein jedes seiner Worte hat Bedeutung. Er ist ein ganzer Mann, und ich muß erfahren, was er gemeint hat!“ –

Der nächste Tag verging ohne besondere Ereignisse. Müller hatte sich mit seinem Schüler zu beschäftigen, und am Nachmittage fuhr Marion nach Thionville, um ihre neue Freundin, Miß de Lissa, zu besuchen. Der alte Kapitän hatte sich nur während des Mittagessens sehen lassen und kam auch während des Abendbrots nur für wenige Augenblicke in den Speisesaal. Rallion, der jüngere, hütete das Zimmer; sein Vater war abgereist.

So nahte die Zeit, in welcher man zur Ruhe zu gehen pflegt. Müller verschloß seine Wohnung und schlich sich nach derjenigen Marions.

Das schöne Mädchen hatte bereits auf ihn gewartet.

„Willkommen!“ sagte sie. „Sind Sie mit allem versehen?“

„Ja.“

„Die Laterne?“

„Ich habe sie mit.“

„Waffen?“

„Zwei Revolver, also mehr als genug.“

„So wollen wir uns auf unseren Beobachtungsposten zurückziehen. Kommen Sie!“

Sie verlöschte das Licht und führte ihn in die Garderobe, in welcher eine Kerze brannte. Sie verschloß die Tür hinter sich. Man konnte von hier aus durch die dünnen Gardinen alles bemerken, was im Schlafzimmer vor sich ging.

„So, setzen wir uns“, sagte Marion. „Ich habe diese beiden Sessel selbst heimlich herbeigeschafft.“

In der Nähe der Tür standen zwei solche nebeneinander, auf denen die beiden Platz nahmen.

„So! Nun kann es beginnen“, meinte die Baronesse, nachdem sie das Licht ausgeblasen hatte.

„Wird die Zofe hier schlafen?“

„Ja. Ich habe freilich ein – ein gewisses Opfer bringen müssen.“

„Das bedaure ich sehr.“

„Es ging nicht anders; es gab keinen stichhaltigen Grund als nur diesen einzigen.“

Sie sprach nicht weiter. Müller hätte diesen Grund sehr gern kennengelernt, unterließ aber jede Frage, da dies als zudringlich erschienen wäre. Doch sie fuhr freiwillig fort:

„Sie müssen nämlich wissen, daß ich ein sehr romantisch gestimmtes Wesen bin.“

„Davon habe ich noch nichts bemerkt.“

„Oh, doch“, lachte sie leise vor sich hin. „Denken Sie sich: Ich habe über mein Herz verfügt!“ *

„O wehe!“

„Ich bin in dem glücklichen Besitz eines heimlich Angebeteten.“

„Der Beneidenswerte!“

„Es ist mir aber verboten worden, ihm zu gehören.“

„Das ist sehr traurig.“

„Darum sehen wir uns auch nur heimlich.“

„Wie rührend, aber unvorsichtig!“

„Auch heute erwartet er mich!“

„Der Ritter Toggenburg!“

„Ich fliege zu ihm!“

„Glückliche Schwalbe!“

„Aber die Baronin hat eine Ahnung. Sie könnte sich überzeugen wollen, daß ich anwesend bin, daß ich schlafe.“

„Der Knoten löst sich mehr und mehr.“

„So muß also die Zofe an meiner Stelle schlafen.“

„Haben Sie ihr das alles geradeso gesagt?“

„O nein! Das würde mir eine Unmöglichkeit gewesen sein. Ich habe sehr, sehr wenig gesagt, sie aber viel erraten lassen. Hat sie ihre Phantasie zu sehr in Tätigkeit gesetzt, so ist das nun nicht meine Schuld.“

„Sie wird übrigens sehr bald in Erfahrung bringen, weshalb sie veranlaßt wurde, Ihre Stelle einzunehmen. Ah! Sehen Sie? Die Zofe kommt!“

Die Genannte trat ein, mit einem Licht in der Hand. Sie sah sich um, verschloß die Tür des Wohnzimmers und machte es sich dann im Schlafzimmer bequem. Sie nahm einige Bücher aus dem Schrank und blätterte nach Bildern, bis sie müde zu werden schien. Dann entkleidete sie sich, verlöschte das Licht und legte sich schlafen.

Während der letzten zehn Minuten hatte Müller sich vom Stuhl erhoben und war an das Fenster getreten. Als das Licht verlöschte, kehrte er zu seinem Sitz zurück.

„Es ist bereits halb zwölf“, flüsterte Marion. „Wann denken Sie, daß sie kommen?“

„Wer weiß es! Jedenfalls kommen sie nicht eher, als bis sie denken, daß Sie fest schlafen, gnädiges Fräulein.“

„Das ist eine kleine Geduldsprobe für uns.“

„Bitte, ruhen Sie immerhin. Ich werde wachen.“

„Oh, meinen Sie, daß ich schlafen könnte? Nein. Ich bin in so gespannter Erwartung, daß es mir unmöglich wäre, auch nur zwei Augenblicke zu schlafen.“

Von nun an schwiegen beide. Es verging Viertelstunde um Viertelstunde, bis die erste Stunde nahe war. Man hörte die Zofe leise schnarchen. Da zuckte Marion zusammen.

„Hören Sie?“ flüsterte sie.

„Ja. Sie kommen. Sie haben an einen Stuhl gestoßen.“

Beide lauschten mit angehaltenem Atem. Während der Zeit von einigen Minuten war nichts zu hören; dann aber vernahmen sie ein Geräusch, wie wenn Federbetten bewegt werden. Nachher waren Schritte zu vernehmen, auf welche jetzt nicht mehr die vorige Sorgfalt verwendet wurde. Dann wurde es wieder still.

„Es ist geschehen“, sagte Marion leise.

„Sie werden ihren Irrtum bemerken und bald wiederkommen.“

„Gott! Erst jetzt fühle ich so deutlich, welcher Gefahr ich entgangen bin. Monsieur, wie sehr, sehr danke ich Ihnen.“

Er fühlte seine Hand ergriffen. Er faßte ihr Händchen und wagte es, dasselbe an seine Lippen zu ziehen. Sie duldete es. Er küßte diese schöne warme Hand wieder und immer wieder, und sie entzog sie ihm nicht. Er gab die Hand nicht wieder frei; er hielt sie fest zwischen seinen Händen, und sie widerstrebte auch jetzt noch nicht. Ja, nach einiger Zeit fühlte er eine Berührung seiner Schulter. Eine wahrhaft himmlische Wonne durchströmte seinen ganzen Körper. Ihr Köpfchen war auf seine Achsel niedergesunken, und da ließ sie es ruhig und vertrauensvoll liegen.

War sie ermüdet? War sie doch noch eingeschlafen? Er fragte es sich gar nicht. Er hatte gar keinen Raum für diese Frage; er war ja ganz erfüllt von der Wonne, die ihn durchflutete.

So saßen sie nun abermals Viertelstunde um Viertelstunde, ohne zu sprechen, ja sogar ohne sich zu bewegen, bis sich dann unten vom Hof herauf Pferdegetrappel hören ließ.