Выбрать главу

ACHTES KAPITEL 

Im Gewölbe

Die Baronin hatte sich nämlich gerade angeschickt, Nachttoilette zu machen, als sich der Kapitän bei ihr anmelden ließ. Erstaunt über einen so ungewöhnlichen Besuch, hatte sie ihn empfangen.

„Sind wir allein und unbelauscht?“

„Sie sehen, daß wir allein sind“, antwortete sie. „Zu lauschen wagt bei mir kein Mensch.“

„Dann habe ich Ihnen eine wichtige Neuigkeit mitzuteilen.“

Sie war seine Freundin nicht; sie haßte ihn, und nur in ihrem Haß gegen andere waren sie einig. Darum vermutete sie auch jetzt nichts Gutes.

„Eine Neuigkeit?“ fragte sie. „Ich glaube nicht, daß sie mich erfreuen wird.“

„Sie irren. Es ist eine sehr gute Botschaft. Sie werden nämlich verreisen, Frau Baronin.“

„Ich? Verreisen? Wann?“

„Noch während dieser Nacht.“

„Was fällt Ihnen ein! Wohin?“

„Bis vor das Schloßtor.“

Sie begann zornig zu werden.

„Herr Kapitän!“ rief sie.

Er musterte sie mit überlegenem Blick und fragte:

„Was beliebt?“

„Soll ich etwa annehmen, daß ich der Gegenstand irgendeines Ihrer schlechten Witze sein soll?“

„Nein, obgleich es ein besonderer Spaß ist, den ich heute entrieren werde. Sie sollen nämlich an Stelle Marions verreisen.“

„Ich verstehe Sie nicht!“

„Ich bin es leider längst gewöhnt, bei Ihnen kein Verständnis zu finden. Dieses Mal aber wird es Ihnen hoffentlich nicht schwer werden, mich zu begreifen. Sie wissen, daß Marion sich weigert, dem Obersten Rallion ihre Hand zu geben –“

„Ich habe ihr leider nichts zu befehlen, würde ihren Widerstand aber schon zu brechen wissen.“

„Wirklich? Was würden Sie tun?“

„Sie zwingen! Sehr einfach!“

Der Alte ließ ein kurzes, verächtliches Lachen hören und fragte:

„Darf ich wohl erfahren, welcher Art der Zwang sein würde, den Sie in Anwendung zu bringen gedächten?“

„Ich habe jetzt noch nicht an etwas Spezielles gedacht, bin aber sicher, daß ich ein passendes Mittel finden würde.“

„Nun, während Sie noch gar nicht nachdenken, bin ich bereits beim Handeln. Ich werde Marion so lange bei Wasser und Brot einsperren, bis sie gefügig wird.“

Diese Nachricht war der Baronin hoch willkommen.

„Das wäre allerdings das klügste“, sagte sie, „aber ich glaube nicht, daß Sie diesen guten Vorsatz auch wirklich zur Ausführung bringen!“

„Sie irren abermals. Heute nacht wird Marion eingesperrt.“

„Wohin?“

„Das ist meine Sache. Soviel ist aber gewiß, daß kein Mensch den Ort entdecken wird, dafür haben eben Sie zu sorgen! Marion wird verreisen. Es ist eine Nachricht gekommen. Es wird angespannt, und ich bringe sie nach dem Bahnhof, ich selbst, nicht der Kutscher. An ihrer Statt aber steigen Sie ein. Man wird diese Verwechslung gar nicht bemerken, da es finster ist. Es genügt, daß eine Dame einsteigt. Sie nehmen den großen Schlüssel mit. Draußen lasse ich Sie absteigen, und Sie kehren mit Hilfe des Schlüssels möglichst unbemerkt in Ihre Wohnung zurück. Später komme ich natürlich ohne Marion vom Bahnhof.“

Sie nickte ihm beistimmend zu.

„Gut ausgedacht!“ sagte sie. „Aber wird Marion sich gutwillig einsperren lassen?“

„Das ist abermals meine Sache. Hat sie sich in meinen Befehl gefügt, so werde ich dafür sorgen, daß sie von ihrer Reise zurückkehrt. Sind Sie bereit, zu helfen?“

„Gewiß! Wann werden Sie anspannen lassen?“

„Der Zug geht kurz nach vier. Sie werden um drei bereit sein müssen.“

„Schön. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.“

Man sah ihr die Freude an, welche sie über diesen Streich fühlte, der ihrer verhaßten Stieftochter gespielt werden sollte. Der Kapitän machte ihr eine ironisch-achtungsvolle Verbeugung und sagte:

„Ich bin Ihnen sehr verbunden, würde mich aber glücklich fühlen, wenn die Frau Baronin die Güte haben wollte, auch in anderen Angelegenheiten von so harmonischer Gesinnung mit mir zu sein.“

Er ging und wartete bei sich, bis alles zur Ruhe war; sodann begab er sich durch den geheimen Gang zu Rallion, der ihn bereits mit Ungeduld erwartete. Der Gedanke, nun mit Sicherheit auf Marions Besitz rechnen zu können, ließ ihn das Verwerfliche der geplanten Tat vollständig übersehen.

„Endlich!“ sagte er. „Ich dachte, Sie würden viel früher kommen, Herr Kapitän.“

„Wir haben noch nichts versäumt. Vielleicht kommen wir sogar noch zu früh. Hier, nehmen Sie!“

Er gab dem Grafen ein Paar Filzschuhe, wie er selbst auch welche angezogen hatte.

„Wozu das?“ fragte Rallion verwundert.

„Um das Geräusch unserer Schritte zu dämpfen. Es darf uns natürlich niemand hören. Ziehen Sie die Schuhe an, und dann wollen wir gehen.“

Der Graf kam dieser Aufforderung nach und folgte dann dem Alten durch die geheime Tür hinaus nach den verborgenen Treppengängen. So gelangten sie beim Schein der Laterne, welche der Alte trug, nach dem Wohnzimmer Marions. Vor der Täfelung blieb der Alte halten, schloß die Blendlaterne und steckte sie ein.

„Jetzt nicht das geringste Geräusch!“ sagte er. „Ich werde erst nachsehen, ob sie vielleicht noch wach ist.“

„Wo befinden wir uns?“ fragte der Oberst.

„Vor dem Wohnzimmer. Aus diesem geht es durch Portieren nach der Schlafstube. Warten Sie.“

Er schob die Täfelung ganz leise zurück. Der Raum, in den er blickte, war vollständig dunkel. Er trat ein und schlich sich nach der Portiere. Auch das Schlafzimmer war ohne Licht. Er huschte lautlos nach dem Bett und horchte. Die leisen, regelmäßigen Atemzüge, welche er deutlich hörte, bewiesen ihm, daß der Schlaf seines Opfers ein fester sei. Er brachte das Chloroform in Anwendung. Dies nahm eine ziemliche Zeit in Anspruch, so daß der Graf ungeduldig wurde. Er sah und hörte nichts, und so lag ihm der Gedanke nahe, daß irgend etwas nicht in Ordnung sei. Endlich hörte er das leise Heranschleichen des Alten.

„Wo haben Sie nur gesteckt?“ flüsterte er diesem zu.

„Bei Marion natürlich! Denken Sie etwa, das Chloroform wirkt bereits nach einigen Sekunden?“

„Nein, aber mir scheint, es sind mehrere Viertelstunden vergangen. Ich dachte bereits, daß Ihnen etwas geschehen sei.“

„Pah! Mir geschieht nichts.“

„So ist alles in Ordnung?“

„Alles.“

„Dann will ich mit hinein ins Zimmer.“

„Halt, warten Sie noch. Wir müssen uns erst sagen, auf welche Weise wir das Mädchen fortschaffen.“

„Nun, tragen müssen wir es natürlich.“

„Das versteht sich ganz von selbst. Die Anwendung des Chloroforms ist nicht ganz ungefährlich. Darum habe ich mit der Dosis gespart. Es ist möglich, daß Marion unterwegs erwacht.“

„Das schadet nichts.“

„Mir nicht, aber Ihnen.“

„Wieso?“

„Wollen Sie etwa, daß sie bemerkt, wer es ist, dem sie ihre Gefangenschaft zu verdanken hat?“

„Hm. Sie haben recht. Sie soll wenigstens nicht wissen, daß ich auch bei dieser Ortsveränderung mitgewirkt habe.“

„Ja. Wir müssen Ihnen vorerst die Chance offenhalten, als ihr Retter aufzutreten. Darum dürfen wir während der kurzen Zeit kein Licht brennen.“

„Aber ich kenne die Örtlichkeit gar nicht, und es ist ja so finster, daß ich unbedingt Licht brauche.“

„Sie brauchen keins. Ich werde Ihnen genau sagen, wie wir zu gehen haben.“

„Aber Marion ist doch – hm.“

„Nun, was ist sie denn?“

„Entkleidet.“

„Das kann uns nicht stören. – Die Kleider liegen auf dem Sofa; die nehmen Sie, während ich das Mädchen nehme. Ich binde Marion ganz einfach in das Bettuch. Vorerst kann ich sie allein tragen. Später werden Sie freilich mit zuzugreifen haben. Jetzt vorwärts.“