„Halten Sie mich denn wirklich für so einen Schwachkopf? Ich glaubte bis vorhin allerdings, die verlorenen Schlüssel hinter den Kisten suchen zu müssen, jetzt aber weiß ich, daß sie in Ihre Hände gelangt sind.“
„Aber, Kapitän, Mensch, Freund. Sind Sie denn ganz und gar des Teufels? Ich habe keine Schlüssel!“
„Wirklich nicht?“
„Bei meiner Ehre. Und wenn ich sie hätte, was würden sie mir nützen? Ich kann doch nicht da hinaus!“
Er deutete dabei nach dem geheimen Ausgang.
„Sie sind nicht da hinaus?“
„Nein. Sie haben doch verriegelt.“
„Schön. Wollen sehen.“
Er trat zur Täfelung und untersuchte dieselbe. Er hatte vielleicht in seinem ganzen Leben kein so verblüfftes Gesicht sehen lassen wie jetzt.
„Donnerwetter!“ sagte er. „Es ist alles in Ordnung hier!“
„Nun, was weiter?“
„Ich dachte, Sie hätten die Täfelung aufgesprengt.“
„Wie könnte ich mir so etwas einfallen lassen!“
„Dann ist mir die Geschichte geradezu unbegreiflich.“
„Ich kann nicht nur die Geschichte, sondern auch Sie nicht begreifen, mein Lieber!“
Da schlug der Alte mit der Faust auf den Tisch und sagte:
„Soll ich dann etwa gar annehmen, daß ich geträumt habe? Sie waren ja dabei. Waren wir nicht heute nacht in Marions Zimmer?“
„Natürlich.“
„Und haben sie nach dem Gewölbe gebracht?“
„Freilich.“
„Und dort eingeriegelt?“
„Gewiß.“
„Da denken Sie sich nun meinen Schreck, als ich sie vorhin in das Speisezimmer eintreten sah!“
„Verdammt! Wir sind doch nicht verhext!“
„Das keinesfalls.“
„Aber wie kam sie frei?“
„Das weiß der Teufel!“
„Haben Sie sie denn nicht gefragt?“
„Konnte ich das? Sie verhielt sich ganz unbefangen, ganz so, als ob sie gar nichts wisse. Ein einziges Wort, welches sie sagte, könnte mich vermuten lassen, daß sie Komödie spielte.“
„Vermutungen können uns nichts nützen. Wir müssen Gewißheit haben. Wir können beide beschwören, daß wir Marion geholt und da unten eingesperrt haben. Auf welche Weise sie entkommen ist, können wir nur erfahren, wenn wir ihr Gefängnis untersuchen.“
„Ja. Ziehen Sie sich schnell an und kommen Sie. Ich habe Sie wirklich im Verdacht gehabt.“
„Ich bin sehr unschuldig, mein Lieber; aber wir werden den Schuldigen entdecken.“
„Ich hoffe es, und wehe ihm! Wer unsere Gefangene befreit hat, der muß in unsere Geheimnisse eingedrungen sein. Er wird auf alle Fälle unschädlich gemacht. Also, legen Sie Ihre Kleider an. Ich werde sogleich wieder hier sein.“
Er ging, öffnete aber bereits nach einigen Minuten von außen die Täfelung. Der Graf war eben mit seinem Anzug fertig geworden. Der Kapitän hatte die brennende Laterne bei sich. Sie begaben sich in den Gang hinab und eilten dann nach dem Ort, von welchem ihrer Meinung nach Marion entwichen war.
Sie fanden unterwegs nicht die leiseste Spur, daß ein menschliches Wesen hier gewesen sei. Als der Kapitän das Gewölbe öffnete, in dessen hinterem Teil sich das Gefängnis befand, war es ihm, als ob er ein Geräusch vernehme. Er blieb stehen, ergriff den Grafen beim Arm und fragte:
„Hören Sie etwas?“
„Ja. Man klopft.“
„Das ist da hinten, wo wir Marion eingesperrt hatten.“
„Es scheint so.“
„Donnerwetter! Da kommt mir ein Gedanke, ein ganz und gar miserabler Gedanke.“
„Mir auch.“
„Ihnen auch? Ah, was denken Sie?“
„Wir haben eine Falsche eingesperrt.“
„Es hat den Anschein ganz danach. Aber wie könnte das möglich gewesen sein?“
„Das frage ich auch.“
„Wir waren ja in Marions Zimmer!“
„Es war natürlich auch Marions Bett!“
„Ohne allen Zweifel.“
„Wer sollte denn in diesem Zimmer und in diesem Bett geschlafen haben? Wer anders als eben Marion?“
„Natürlich!“
Sie sahen einander ganz ratlos an. Hinten ließ das Pochen nicht nach. Der Kapitän meinte endlich:
„Es ist und wird nicht anders. Wir haben eine Unrechte erwischt und hier eingeschlossen.“
„Aber wie war das möglich?“
„Das wird sich sofort aufklären, sobald wir sehen, wer diese Unrechte eigentlich ist.“
„Ich bin verteufelt begierig, das zu erfahren.“
„Das wird sogleich geschehen. Wir müssen so tun, als ob wir von gar nichts wissen. Kommen Sie.“
Je weiter sie nach hinten kamen, desto lauter wurde das Klopfen. Endlich hörten sie eine rufende Stimme. Während einer Pause, welche die Zofe machte, hörte sie die Schritte der beiden Männer.
„Macht auf!“ rief sie. „Laßt mich heraus.“
„Gleich, gleich!“ antwortete der Kapitän.
Der Kapitän schob den Riegel zurück und öffnete. Die so unfreiwillig Gefangene trat ihnen entgegen. Sie hatte ihre Kleider angelegt. Ihr Gesicht war leichenblaß; man sah ihr die Angst, welche sie ausgestanden hatte, deutlich an. Der Alte leuchtete ihr in das Gesicht.
„Sapperment, Sie sind es?“ fragte er. „Wie kommen Sie denn in diesen Keller?“
„Mein Gott, ich weiß es nicht!“ antwortete sie.
„Sie wissen es nicht? Das klingt ja fabelhaft! Sie müssen doch wissen, wann und wie Sie hierher gekommen sind?“
„Ich habe keine Ahnung davon, Herr Kapitän. O Gott, welche Angst ich ausgestanden habe!“
„Sie sind also nicht freiwillig hier?“
„Nein, nein! Ganz und gar nicht!“
„Das verstehe der Teufel, aber ich nicht! Was haben Sie denn eigentlich hier unten zu suchen? Wer hat Ihnen erlaubt hier einzudringen?“
Sie schlug ganz bestürzt die Hände zusammen und antwortete:
„Herr Kapitän, ich bin unschuldig, vollkommen unschuldig!“
„Das kann kein Mensch glauben! Wer hat Sie denn hierher begleitet?“
„Ich weiß es nicht.“
„Hören Sie, wenn Sie nicht ein freiwilliges Geständnis ablegen, werde ich Mittel finden, Sie zum Sprechen zu bringen!“
Die arme Zofe zitterte vor Aufregung und Furcht.
„Ich schwöre Ihnen bei allen Heiligen, daß ich nicht einmal weiß, wo ich bin!“ beteuerte sie.
„Aber erklären Sie mir doch Ihre Anwesenheit!“
„Das bin ich ja selbst nicht imstande! Ich ging gestern abend schlafen, und als ich erwachte, befand ich mich hier.“
„Das klingt ganz wie ein Märchen, welches Sie sich ausgesonnen haben. Wo legten Sie sich schlafen?“
„Beim gnädigen Fräulein.“
„Bei Baronesse Marion? Im Zimmer derselben?“
„Ja.“
„Was! Sie haben im Bett des gnädigen Fräuleins geschlafen, und wo befand Marion sich inzwischen?“
„Das weiß ich nicht.“
„Hat sie selbst Ihnen erlaubt, in ihrem Zimmer zu schlafen?“
„Sie hat es mir sogar befohlen.“
„Weshalb?“
„Das weiß ich nicht.“
„Sie muß doch einen Grund angegeben haben!“
Die Zofe wollte das, was Marion mit ihr gesprochen hatte, nicht verraten, darum antwortete sie:
„Ich bin die Dienerin und habe zu gehorchen, ohne nach Gründen zu fragen.“
„Hm! So sind Sie das Opfer irgendeines dummen Spaßes geworden. Ich werde die Sache untersuchen und den Schuldigen sehr streng bestrafen. Also Sie wissen nicht, wo Sie sich befinden?“
„Nein. Ich habe keine Ahnung davon.“
„Nun, so wollen wir sehen, wie sich die Sache arrangieren läßt. Können Sie schweigen?“
„Oh, ich will gern kein Wort sagen, wenn ich nur wieder frei sein kann.“
„Das letztere soll geschehen. Aber wenn ich erfahre, daß Sie einem einzigen Menschen erzählen, was geschehen ist, so haben Sie es mit mir zu tun! Verstanden?“