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„Ich kann die heiligsten Eide geben, daß ich schweigen werde.“

„Auch gegen die Baronesse?“

„Auch gegen diese.“

„Aber Sie sind jedenfalls von ihr vermißt worden. Auf welche Weise werden Sie sich entschuldigen?“

„Das weiß ich noch nicht.“

„Hm! Nicht wahr, Sie haben im nahen Dorf Ihre Eltern?“

„Ja.“

„Nun, Sie haben heute früh gehört, daß Ihr Vater oder Ihre Mutter krank geworden sei, und sind hingegangen. Sie kehren erst jetzt zurück. Verstanden?“

„Ja, das werde ich sagen.“

„Und mir werden Sie alles wieder sagen, was Marion spricht – jedes Wort?“

„Sehr gern!“

„Nun, ich will es glauben. Kommen Sie einmal her!“

Er zog sein Taschentuch hervor und verband ihr die Augen.

„Haben Sie keine Angst, es geschieht Ihnen nichts“, sagte er dabei. „Sie brauchen nicht zu sehen, welchen Weg wir gehen. Das ist die einzige Ursache, daß ich Ihnen die Augen verbinde. Kommen Sie jetzt! Ich führe Sie.“

Er verriegelte die Tür und faßte die Zofe bei der Hand. Sein Weg führte ihn jetzt nach dem Gartenhäuschen, aus welchem er sie in das Freie brachte. Dort führte er sie zwischen den Büschen einige Male im Kreis und nahm ihr dann das Tuch wieder von den Augen weg.

„So“, sagte er. „Jetzt sind Sie frei. Gehen Sie an Ihre Arbeit und schweigen Sie.“

Sie entfernte sich, so schnell es nur möglich war. Der Graf war natürlich mit ihnen gegangen. An ihn wendete sich der alte Kapitän:

„Was sagen Sie dazu?“

„Eine Dummheit von uns, sogar eine sehr große.“

„Wieso?“

„Wir hätten uns überzeugen sollen, ob wir auch wirklich Marion hatten. Aber Sie bestanden ja darauf, kein Licht sehen zu lassen. Ich bin nicht schuld.“

„Ich auch nicht. Wer konnte ahnen, daß Marion auf die ganz und gar ungewöhnliche Idee kommt, die Zofe in ihrem Zimmer schlafen zu lassen!“

„Mir auch ganz unbegreiflich.“

„Oh, nicht nur unbegreiflich, sondern sogar verdächtig.“

„Verdächtig? Wieso?“

„Hm! Eine Baronesse pflegt ihr Lager nicht ohne ganz besondere Gründe ihrer Dienerin zu überlassen.“

„So ist es unsere Aufgabe, die Gründe zu erfahren.“

„Das werden wir. Für jetzt freilich können wir nichts als nur Vermutungen hegen.“

„Ich habe keine Ahnung. Oder sollte Marion vielleicht eine Ahnung gehabt haben?“

„Wovon?“

„Von unserem Vorhaben.“

„Wie wäre das erklärlich?“

„Das weiß ich freilich nicht. Es wird Ihre Sache sein, das zu erfahren, lieber Kapitän.“

„Ich werde mich sofort erkundigen. Kommen Sie!“

„Wohin? Nach dem Schloß?“

„Ja. Natürlich.“

„Danke bestens! Ich habe keine Lust, mein zerfetztes Gesicht öffentlich sehen zu lassen, bevor es wenigstens einigermaßen wieder heil geworden ist.“

„Sie denken, wir kehren durch den unterirdischen Gang zurück.“

„Ja; ich bitte darum.“

„Gut; der Umweg ist ja nicht so groß.“

Sie verschwanden miteinander wieder im Gartenhäuschen. –

Marion befand sich auf ihrem Zimmer, als die Zofe zurückkehrte. Als sie das Mädchen erblickte, wußte sie sofort, daß der alte Kapitän sich nach dem Gewölbe begeben hatte, um eine Erklärung zu suchen.

„Ich habe nach dir geklingelt und dich gesucht“, sagte sie im Ton des Vorwurfs.

„Verzeihung“, antwortete die Zofe. „Ich erhielt kurz nach meinem Erwachen die Nachricht, daß meine Mutter unwohl sei.“

„So bist du jetzt zu Hause gewesen?“

„Ja.“

„Bis wann hast du hier geschlafen?“

„Bis ungefähr nach fünf Uhr.“

„Es ist gut. Du hast deine Pflicht als Kind tun müssen.“

Das Mädchen war außerordentlich froh, glimpflich davongekommen zu sein. Marion aber war weit entfernt, an die vorgebrachte Entschuldigung zu glauben. Nur befand sie sich über das einzuschlagende Verfahren im unklaren. Daher begab sie sich nach Müllers Wohnung. Es gelang ihr, unbemerkt dorthin zu kommen.

Müller saß an seinem Tisch und arbeitete. Er schrieb an einem fingierten militärischen Gutachten, welches er mit Hilfe seines Großvaters in die Hände des vermeintlichen Malers Haller zu spielen gedachte. Als Marion bei ihm eintrat, erhob er sich in sichtlicher Überraschung vom Stuhl.

„Sie, mein Fräulein?“ fragte er.

„Ja, ich. Ich muß mir Verhaltungsmaßregeln holen.“

„Wegen unseres Erlebnisses?“

„Ja.“

„Das ist gefährlich. Der Kapitän kann uns hier beobachten.“

„Kann er auch hören, was wir sprechen?“

„Deutlich vielleicht nicht.“

„Nun, so denke ich, daß wir es wagen können.“

„Wollen es versuchen. Bitte sich zu plazieren! Wir nehmen ein Buch in die Hand und geben uns den Anschein, als ob wir uns über den Inhalt desselben unterhalten.“

Er griff nach einem Buch, öffnete dasselbe und fragte, ohne das Auge von den Zeilen zu wenden:

„Welche Verhaltungsmaßregeln meinten Sie, gnädiges Fräulein?“

„Betreffs der Zofe, welche soeben zurückgekehrt ist.“

„Ah, er hat sie befreit.“

„Das war leicht zu denken.“

„Was sagte sie?“

„Sie gab vor, bis nach fünf Uhr geschlafen zu haben. Dann hat sie die Nachricht erhalten, daß ihre Mutter, welche im nahen Dorf wohnt, erkrankt sei. Dorthin sei sie gegangen.“

„Diese Aussage ist ihr vom Kapitän eingegeben worden.“

„Ganz gewiß.“

„Was haben Sie dazu gesagt?“

„Ich habe getan, als glaube ich es.“

„Das war vielleicht das richtige.“

„Sie meinen also nicht, daß ich merken lasse, daß ich weiß, wo sie sich befunden hat?“

„Man möchte allerdings gern erfahren, welcher Art ihre Unterhaltung mit dem Kapitän gewesen ist; aber es ist jedenfalls für uns vorteilhafter, so zu tun, als ob wir gar nichts wissen.“

„Auch wenn der Kapitän mich wieder fragt?“

„Er hat Sie bereits gefragt?“

„Ja. Er verlangte, zu wissen, wo ich mich während dieser Nacht befunden habe.“

„Welche Auskunft gaben Sie?“

„Ich antwortete: In Sicherheit.“

„Das war ein wenig zweideutig. Es erlaubt ihm, zu ahnen, daß Sie von seinem Plan gewußt haben.“

„So war es wohl ein Fehler?“

„Nein. Er befindet sich doch im Zweifel, und das ist gut für uns. Ein Mensch, der nicht weiß, woran er ist, wird auch nicht wissen, wie er sich zu verhalten hat. Übrigens war der Augenblick, an welchem Sie eintraten, für mich ein geradezu unbezahlbarer.“

„Für mich ebenso. Aber nun befinde ich mich doch wohl noch ganz in derselben Gefahr!“

„Für die nächsten drei Tage nicht; dafür werde ich Sorge tragen, gnädiges Fräulein. Ich hoffe, daß Sie dieser meiner Versicherung Glauben schenken.“

„Ganz gern, Monsieur. Ich habe Sie als einen Mann kennengelernt, welcher weiß, was er spricht. Jetzt aber muß ich mich zurückziehen. Ich möchte nicht weniger vorsichtig sein als Sie.“

Sie reichte ihm die Hand, welche er an seine Lippen führte; dann entfernte sie sich. Das geschah gerade zur richtigen Zeit; denn kaum hatte sie ihr Zimmer erreicht, so trat der Kapitän bei ihr ein. Das war um so auffälliger, als es außerordentlich selten zu geschehen pflegte, daß er sich persönlich zu ihr bemühte.

Sein Blick flog scharf und forschend im Zimmer umher. Dann setzte er sich nieder und fixierte sie mit finsterem, unfreundlichem Blick. Sie blieb stehen und hielt seinen Blick ruhig aus, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Du wunderst dich, mich hier zu sehen?“ begann er.

„Beinahe“, sagte sie.

„Es ist allerdings kein gutes Zeichen, wenn man gezwungen ist, denjenigen, welche zu gehorchen haben, nachzulaufen.“