„Ja, ersuchen dürfen Sie mich; aber ich werde mich hüten, es zu tun. Ich will Sie nur warnen. Unglückliche Liebe soll ein gar bitteres Abendessen sein. Ist Ihnen das alte Lied bekannt:
Wenn sich zwei Herzen scheiden,
Die sich dereinst geliebt,
Das ist ein großes Leiden,
Wie's größer keines gibt?“
„Ich habe es oft gesungen.“
„Schön! Singen Sie es, so oft Sie wollen; aber erleben Sie es nicht! Wie schlimm das ist, das habe ich sehr, sehr oft an mir erfahren, mein Lieber!“
„So, sehr oft?“
„Ja, leider!“
„Und sind doch so dick dabei geworden.“
„Das liegt weniger an der unglücklichen Liebe als vielmehr an meiner glücklichen Konstitution. Die Körbe, welche ich bekommen habe, haben mich gemästet. Ich bin eben keine so ätherische Natur.“
„Ich auch nicht.“
„Ich warne Sie dennoch.“
„Aber Sie müssen doch Gründe haben, anzunehmen, daß diese Traube für mich zu hoch hängt?“
„Die habe ich allerdings, und es sind sehr triftige.“
„Bitte, sie mir mitzuteilen!“
„Später, vielleicht. Jetzt habe ich keine Zeit dazu.“
„Kennen Sie denn Fräulein Nanon, oder ihre Schwester?“
„Näher auch nicht.“
„Aber ihre Verhältnisse?“
„Nein.“
„Nun, es könnte doch nur einen einzigen Grund geben, und dieser müßte in den Verhältnissen liegen.“
„Das geht mich weiter nichts an. Vielleicht sprechen wir näher darüber, denn –“
Er hielt inne und machte sofort in französischer Sprache eine gleichgültige Bemerkung, denn der Wirt trat ein. Er richtete an diesen die Frage, ob er hier ein Zimmer erhalten könne, worauf der Wirt bejahend antwortete und sich mit ihm in ein Gespräch einließ.
Fritz sah ein, daß es jetzt unmöglich sei, die Unterhaltung, welche zuletzt, so interessant für ihn geworden war, weiter fortzusetzen, und entfernte sich.
Der Maler erhielt sein Zimmer angewiesen, welches er aufsuchte, um seine Toilette ein wenig zu restaurieren. Dann unternahm er einen Ausflug hinaus vor die Stadt. Es lag ihm daran, den Steinbruch noch bei Tag zu finden, um heute abend mit dem Terrain vertraut zu sein.
Als er die Häuser hinter sich hatte, erblickte er die von dem Kräutermann bezeichnet Baumgruppe und fand auch den schmalen Fußweg, welcher an ihr vorüber nach dem Bruch führte. Dort angekommen, durchwanderte er denselben in allen Winkeln und setzte dann, da das Wetter einladend war, seinen Spaziergang noch weiter fort.
Er kam in den Wald und drang, ohne sich an die Wege zu halten, in denselben ein. In Gedanken versunken, schritt er weiter und immer weiter, bis er plötzlich überrascht stehenblieb, denn gar nicht weit von sich hörte er eine allerliebste weibliche Stimme singen:
„Zieht im Herbst die Lerche fort,
Singt sie leis Ade.
Sag' mir noch ein liebend Wort,
Eh' ich von dir geh!
Sieh die Träne, wie sie quillt;
Höre, was sie spricht!
Lieder hat die Lerche wohl,
Tränen hat sie nicht!“
„Nein, Tränen hat die Lerche nicht“, murmelte Schneffke leise vor sich hin. „Sie hat auch gar keine Veranlassung dazu. Es kommt kein Exekutor, um sie auszupfänden; sie spielt auch nicht in der Lotterie, wobei sie über die Nieten weinen könnte, und der Schneider kann ihr auch nicht die Hosen verderben, daß sie vor Grimm darüber in eine Tränenflut ausbrechen möchte. Die Lerche ist viel glücklicher als Hieronymus Aurelius Schneffke, denn – Sapperment, wer antwortet denn da?“
Von der anderen Seite her sang nämlich jetzt eine kräftige, männliche Stimme:
„Bei des Frühlings Wiederkehr
Kommt die Lerch' zurück,
Und Erinnerung bringt sie her
Vom vergangenen Glück.
Brächte sie von dir ein Wort,
Mir so hold, so licht!
Lieder hat die Lerche wohl,
Grüße hat sie nicht!“
„Hm, hm!“ brummte Schneffke. „Das Ding ist höchst interessant! Da rechts singt sie, und da links er. Beide singen deutsch, hier in Frankreich. Ich glaube, dieser Er und diese Sie geben sich hier ein Stelldichein und melden sich durch diese verblümte Lerche einander an. Wollen doch einmal sehen, wo sie zusammentreffen! Ich bin neugierig, ob sie da auch nur von der Lerche singen oder ob sie den Mund zu etwas besserem brauchen. Ah, da knackt und knistert es!“
Er hörte, daß jemand in der Nähe vorüberging, und folgte leise. Man hätte es bei seiner dicken Person gar nicht vorausgesetzt, daß er mit solcher Gewandtheit so unhörbar schleichen könne. Da hörte er die weibliche Stimme:
„Ah, Monsieur Schneeberg! Guten Tag!“
„Guten Tag, Mademoiselle!“ antwortete die männliche Stimme. „Wie wunderbar, daß wir uns hier treffen.“
„Wunderbar?“ dachte Schneffke. „Und dabei brüllen sie von ihrer Lerche, daß man es sechs Meilen weit hört!“
„Wollen Sie weiter, Mademoiselle?“ hörte der Maler fragen.
„Nein, ich suche nach Waldblumen.“
„Darf ich helfen?“
„Gern. Sie wissen ja, wo die schönsten stehen.“
„Oh, wo die beste und schönste steht, das weiß ich ganz genau, Mademoiselle.“
„Sapperment, ist der Mensch galant! Mit dieser etwas abgetragenen Redewendung will er ihr den Kopf verdrehen. Die Waldblume muß ich sehen.“
Er kroch weiter vorwärts und verstand die Worte:
„So lassen Sie uns suchen, aber nicht sofort; ich bin ermüdet und muß zuvor einige Minuten ruhen.“
„So nehmen Sie Platz! Hier!“
„Auf dem Sack?“
„Ja, bitte.“
„Aber ich werde Ihnen Ihre Pflanzen verderben.“
„Nein. Es sind nur Wacholderspitzen, Huflattich und Otternzungen; denen tut es nichts.“
„Donnerwetter“, brummte der Maler. „Ein Stelldichein mit Wacholderspitzen, Huflattich und Otternzungen! Das ist wirklich eine Neuigkeit. Und einen Sack hat der Kerl mit. Ob's etwa gar der Kräutermann ist? Werden sehen.“
Er schob sich durch das Buschwerk weiter und gewahrte nun eine kleine, tiefer liegende Lichtung. Am schräg ablaufenden Rand derselben saß Fritz Schneeberg, und neben ihm hatte Nanon auf dem Kräutersack Platz genommen.
„Wie ist Ihnen die Reise bekommen?“ fragte er.
„Ich danke! Ausgezeichnet.“
„Aber Sie sehen blaß aus.“
„Ich schlief in der letzten Nacht nicht gut. Das mag der Grund sein.“
„Sie müssen sich schonen, Monsieur Schneeberg! Es gibt Personen, die es sehr betrüben würde, Sie krank zu sehen.“
„Hm! Diese Personen sitzen neben ihm“, dachte Schneffke. „Das Mädchen ist gar nicht übel. Ich hätte diese Nanon nicht mit einer Traube, sondern vielmehr mit irgendeiner hübschen Blume vergleichen sollen. Aber dennoch hängt sie ihm zu hoch. Ich werde horchen. Machen wir es uns also bequem.“
In der Nähe stand eine abgestorbene Birke, die sehr schief gewachsen war. Schneffke schob sich an ihr empor. Sie bog sich durch seine Last noch tiefer, und so erhielt er eine Stellung, halb sitzend und halb auf dem elastischen Stamm liegend. Auf diese Weise kam sein Kopf in gleiche Höhe mit den Spitzen des Gesträuchs, welches ihn von dem Paar trennte, und er konnte alles sehen und hören, ohne selbst bemerkt zu werden.
„Wie geht es auf dem Schloß?“ fragte Schneeberg.
„Gut. Der Kapitän war krank, so daß man Besorgnis hegte: aber sein Zustand hat sich sehr gebessert.“
„Geht er aus?“
„Noch nicht. Madelon wollte mich begleiten, aber –“
Sie stockte, und eine leichte Röte breitete sich über ihr hübsches, allerliebstes Gesichtchen. Er blickte sie fragend an, und darum fuhr sie fort: