„Ja, ganz anderer.“
„Hast du Gründe dazu?“
„Vielleicht.“
„Alle Wetter! So hast du etwas bemerkt? Sollte mich freuen!“
„Bemerkt nicht, aber erfahren, und zwar aus dem sichersten Mund, nämlich von ihm selbst.“
Der Rittmeister fuhr sich mit beiden Händen in den Schnurrbart, drehte die Spitzen weit hinaus und fragte:
„Was? Er selbst sollte geplaudert haben?“
„Er selbst.“
„So hat er dich zum Narren gehabt!“
„Mich, der Richard? Sicherlich nicht! So etwas hat er nie getan!“
„Und er soll gesagt haben, daß er eine Liebste hat?“
„Wenigstens so ähnlich er hat mir einmal etwas erzählt, worüber ich nun allerdings das tiefste Stillschweigen beobachten sollte.“
„Du hast ihm auch Verschwiegenheit versprochen?“
„Ja, wie das Grab.“
„So schweige, Mädchen!“
„Oh, jetzt liegen die Verhältnisse so, daß ich doch reden möchte.“
„So sage mir vorher, ob du nicht bereits geplaudert hast.“
„Nur der Tante habe ich es erzählt.“
„Da hat man's! Verschwiegenheit wie das Grab, und der Tante schwatzt sie es vor! Weißt du denn nicht, daß man gerade den Tanten nichts sagen darf?“
„Oh, sie hatte so große Freude darüber!“
„Natürlich! Welches Weibsbild würde sich nicht freuen, etwas zu hören, was Geheimnis bleiben soll!“
„Sie hat sich sogar mit mir die betreffende Gegend angesehen.“
„Nun werde mir einer klug, was das Mädchen meint! Grab, Verschwiegenheit, Liebster, Richard, Tante, Gegend! Wer soll sich daraus einen Vers machen?!“
„Du, alter Blücher! Ich meine nämlich die Gegend, in welcher Richard sich verliebt hat.“
„Ach so! Sapperment, er hat sich also wirklich verliebt? Na, für so gescheit hätte ich ihn nicht gehalten. Die Liebe ist nämlich der Senf für die Pfeffergurke des Lebens. Das eine ist ohne das andere nicht zu verdauen.“
Der sonst so stille und wortkarge Mann hatte heute seinen guten Tag. Er war ungewöhnlich gesprächig geworden und zeigte eine Laune, wie sie bei ihm seit Margots Tod und dem Verlust seines Sohns höchst selten war.
„So flunkerst du also wirklich nicht?“ fragte er.
„Nicht im geringsten!“
„Das freut mich! Das läßt mich doch noch frohes Leben erhoffen. Komm her, Emma! Dafür sollst du einen Kuß bekommen.“
Er drückte sie herzlich an sich und küßte sie auf den Mund. Es war eine wirklich schöne Gruppe, dieser ehrwürdige, trotz seines Alters noch immer rüstige Greis und dieses blühende, lebensvolle Mädchen!
„Ich darf also reisen, Großpapa?“
„Bist du denn wirklich gar so darauf versessen?“
„Ganz und gar!“
„Hm!“
Er brummte noch einiges vor sich hin, was die beiden Mädchen nicht verstehen konnten, und begann dann seine Promenade durch das Zimmer von neuem. Das dauerte eine ziemliche Weile, dann drehte er sich scharf auf dem Absatz herum, so recht nach altgewohnter Husarenweise, und sagte:
„Gut! Du sollst gehen!“
Da flog sie ihm jubelnd an den Hals und küßte ihn viele, viele Male und streichelte ihm die Wangen.
„Na gut! Schon gut!“ schmunzelte er. „Du erdrückst mich ja und beißt mir den Schnurrwichs weg! Du hast wirklich ein Stück von meiner seligen Margot. Geradeso machte die es auch, wenn sie mich einmal herumgekriegt hatte!“
Es war rührend, wie der alte Veteran bei jeder Gelegenheit an diejenige dachte, welche das Licht und die Sonne seines Lebens gewesen war.
„Aber klug mußt du sein“, fügte er hinzu.
„Oh, da habe nur keine Angst.“
„Willst du nur nach Diedenhofen oder vielleicht gar nach Ortry?“
„Das muß sich zeigen, Großpapa. Ich werde tun, was ich für notwendig halte.“
„So nimm dich um Gottes willen in acht! In Ortry darf kein Mensch ahnen, daß du eine Königsau bist.“
„Ich weiß das ganz genau.“
„Und den Richard darfst du nicht in Verlegenheit bringen. Eine Erkennungsszene könnte alles verraten, euch beide in die größte Gefahr bringen und sein ganzes Werk zunichte machen. Darum sei vorsichtig.“
„Keine Sorge. Aber das Reisegeld, Großpapa?“
„Ja, wann fährst du denn?“
„Um ein Uhr geht der Zug, den Madelon benutzen muß.“
„Und da willst du mit?“
„Freilich.“
„Schon! Das geht ja riesig schnell.“
„Weißt du nicht, daß wir seit der neuen Heeresverfassung in unserem Mobilisationsplan unübertrefflich sind?“
„Hexe! Na, mir soll es recht sein. Auf diese Weise haben wir nicht mehrere Tage lang den gewöhnlichen Skandal, den bei euch das Einpacken verursacht.“
„Oh, ich bin augenblicklich fertig. Den Koffer her, einige Kleider und Weißzeug hinein, in die Droschke und dann fort.“
„Gut so! Basta! Abgemacht“, sagte der Rittmeister.
Jetzt ging es sofort ans Einpacken, und auch Madelon eilte fort, um ihre Vorbereitungen noch zu vollenden. Kurz vor Abgang des Zugs trafen sie auf dem Bahnhof zusammen. Sie freuten sich königlich, miteinander reisen zu können.
„Nehmen wir Damencoupé?“ fragte Madelon.
„Nein, sondern nur Coupé für Nichtraucher. Bei so weiten Reisen ist es oft angenehm, sich des Rates und der Hilfe eines erfahrenen Passagiers bedienen zu können.“
Das Gepäck wurde aufgegeben; die Billets waren gelöst. Der alte Rittmeister, welcher seine Enkelin nach dem Bahnhof begleitet hatte, brachte beide in das Coupé. Es klingelte bereits zum zweiten Mal, da wurde die schon geschlossene Tür abermals geöffnet, und man hörte die Stimme des Schaffners:
„Coupé für Nichtraucher. Hier herein.“
Der, welcher einstieg, war sehr kurz und sehr dick. Er trug einen feinen, hechtgrauen Reiseanzug und einen neuen riesigen Kalabreser. Auf der Nase hatte er einen goldenen Klemmer und in der Hand eine ziemlich umfangreiche Mappe.
„Ihr Diener, meine Damen“, grüßte er. „Bitte, nicht zusammenrücken. Ich brauche wenig Platz.“
Emma ließ ein leises, aber bezeichnendes Räuspern hören, wodurch Madelon aufmerksam gemacht wurde.
„Kennen Sie ihn?“ flüsterte die letztere unter ihrem dichten Schleier hervor.
„Oh, nur zu gut.“
„Wer ist er?“
„Herr Hieronymus Aurelius Schneffke.“
„Mein Gott.“
„Ich befürchte sehr, daß der Waggon zusammenbrechen wird, nur um dem Pechvogel Gelegenheit zu geben, mir parterre zum vierten Mal seine Huldigung zu erweisen.“
„Verlassen wir doch das Coupé.“
„Nicht doch. Versuchen wir es eine Weile. Er ist zu drollig. Vielleicht fährt er nicht sehr weit mit.“
Der Dicke hatte seine Mappe untergebracht und sich zurechtgesetzt. Da machte er plötzlich eine Bewegung des Schreckes.
„Sapperlot! Mein Regenschirm“, sagte er. „Der liegt an der Kasse. Das ist so sicher wie Pudding.“
Er fuhr von seinem Sitz auf, langte durch das offene Fenster, öffnete die Tür und drängte seinen umfangreichen Leib hinaus.
„Das Pech geht an!“ lachte Emma.
„Wir sind ihn los!“ meinte Madelon. „Es läutet zum dritten Mal. Er kommt nicht zur Zeit retour.“
„Himmel, Pinsel und Palette!“ rief es draußen. „Wer hält mich denn da hinten.“
Herr Hieronymus war mit einer inneren Seitentasche seines Rockes hängengeblieben. Ein kräftiger Ruck, und sein gewichtiger Leib war frei; er plumpste auf die Erde nieder. Aber der rechte Schoß seines neuen Rocks hing oben über ihm. Er raffte sich auf, ohne den Verlust zu bemerken, und wollte davonspringen, um den Schirm zu holen. Da aber faßte ihn ein schneller Schaffner beim Arm und fragte:
„Wohin denn noch!“