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Dem Alten wollte die Sprache versagen. Nur ganz mühsam stieß er hervor:

„Nach dem – Leben habe – ich Ihnen getrachtet?“

„Ja.“

„Beweisen Sie das!“

„Warum etwas beweisen, was Sie selbst besser wissen als ich! Das ist unnötig.“

„Aber bin denn ich toll, oder sind Sie es?“

„Keiner von beiden. Ich sage die Wahrheit, und Sie spielen ein wenig Komödie.“

„Mir will der Verstand stillstehen. Ich Ihnen nach dem Leben getrachtet! Selbst wenn das, was Sie bisher behaupteten, wahr wäre, liegt doch darin ganz und gar nichts Lebensgefährliches für Sie. Ich wäre dann in Ihr Zimmer gekommen, um zu sehen, welcher Art Ihre Papiere sind, nicht aber in der Absicht, Ihnen nach dem Leben zu trachten.“

„Das gebe ich ja zu, aber ich meine nicht gerade dieses.“

„Was denn sonst?“

„Die Entgleisung des Zuges.“

Der Kapitän fuhr zurück, als ob er einen Abgrund vor sich sähe.

Seine Hände durchstrichen die Luft, wie wenn sie nach einem festen Halt suchten.

„Nun, Sie wanken ja vor Schreck?“ sagte Deep-hill.

„Ich? Vor Schreck? Fällt mir gar nicht ein. Wenn ich vor Ihnen zurückschrecke, so ist es nur aus Entsetzen über eine solche Anschuldigung, die eine geradezu teuflische ist. Was wollen Sie denn eigentlich mit Ihrer Erwähnung des Bahnunglücks behaupten?“

„Daß Sie dasselbe verschuldet haben!“

„Ich?“

„Ja.“

„Mein Gott! Woher nehme ich nur die Kraft, das auszuhalten? Was kann mir denn an diesem Unglück liegen?“

„Scheinbar gar nichts, in Wirklichkeit aber sehr viel.“

„Erklären Sie mir dieses Faktum.“

„Sie wußten, mit welchem Zuge ich kommen würde?“

„Ja. Sie hatten es mir gemeldet.“

„Sie glaubten, ich würde das Geld bar bei mir führen, vielleicht in hohen englischen Banknoten.“

„In welcher Art Sie die Summe besaßen, das konnte mir sehr gleichgültig sein.“

„Warum veranlaßten Sie denn da die Entgleisung?“

„Ich weiß ja gar nichts von einer solchen Veranlassung.“

„Auch nicht, daß Sie drei Männer beauftragten, das Unglück hervorzubringen?“

„Nein.“

„Der eine sollte die Steine auf den Bahnkörper werfen, während die beiden anderen den Bahnwärter beschäftigten.“

„Kein Wort weiß ich.“

„Die letzteren sollten den Amerikaner unter den Toten hervorsuchen –“

„Schrecklich.“

„Ihm, wenn er noch leben sollte, den Garaus machen –“

„Schweigen Sie. Das sind die Phantasien eines Tollhäuslers.“

„Und das alles nur, um ihm die Brieftasche abzunehmen. Stimmt es, oder stimmt es nicht?“

„Monsieur, mir graut vor Ihnen. Ich habe noch niemals Angst gehabt, jetzt aber fühle ich Furcht vor Ihnen.“

„Ganz natürlich.“

„Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich fürchte mich vor Ihnen, wie sich der Gesunde vor demjenigen fürchtet, der von einem tollen Hund gebissen worden ist.“

„Beruhigen Sie sich. Ich beiße Sie nicht, wenigstens jetzt nicht und so wörtlich nicht. Aber Sie können sich denken, daß es mir nicht einfallen wird, weiter für eine Sache zu schwärmen, an deren Spitze ein solcher Satan steht.“

„Monsieur, ich vermag nicht, Ihnen zu antworten.“

„Und ich vermag nur, Ihnen zu sagen, daß ich Frankreich aufgebe, weil es solche Söhne hat.“

„Aber wenn ich Ihnen nun beweise, daß Sie mich vollständig unrechtmäßigerweise beschuldigen?“

„Das vermögen Sie nicht.“

„Sogar sehr leicht.“

„Wie denn?“

„Gehen wir hinauf. Ich werde Ihnen die Beweise in Ihr Zimmer bringen.“

„Ich halte das für ein leeres Versprechen, werde aber noch eine ganze Stunde auf Schloß Ortry verweilen, um Ihnen Zeit zu geben, Ihre Gegenbeweise zu bringen.“

„Gut. Sie werden mir Ihre wahnsinnigen Beschuldigungen baldigst abbitten. Haben Sie vielleicht vorher noch etwas zu erwähnen?“

„Nein.“

„So kommen Sie. Bitte.“

Um wieder auf den Gang hinauszukommen, mußten sie natürlich dieselbe Tür benutzen, durch welche sie in das Gebäude getreten waren. Der Amerikaner gab nicht acht auf die Richtung, in welcher diese lag. Das Dunkel täuschte und er war von dem Gespräch zu sehr erregt. Er folgte dem Mann, welcher die Lampe genommen hatte und auf eine ganz andere Tür zuschritt. Er öffnete dieselbe, blieb stehen und sagte:

„Bitte, Monsieur. Ich muß wieder schließen.“

Da verstand es sich ganz von selbst, daß Deephill voranging. Er hatte aber noch nicht zwei Schritte getan, so tat es hinter ihm einen lauten Schlag, es wurde dunkel, und Riegel rasselten. Er fuhr herum und zu der Tür zurück. Sie war hinter ihm verschlossen worden. Er tastete nach den drei anderen Seiten und gewahrte nun zu seinem Entsetzen, daß er sich in einer engen Zelle befand, aus welcher es keinen zweiten Ausgang gab.

„Halt!“ schrie er, mit beiden Fäusten die Tür bearbeitend. „Was soll das heißen?“

„Daß Sie gefangen sind“, antwortete der Alte draußen.

„Schurke!“

„Dummkopf!“

„Sie werden doch nichts erreichen.“

„Alles, alles werde ich erreichen!“ lachte der Alte höhnisch.

„Ich werde Sie bestrafen lassen.“

„Durch wen?“

„Durch die Gerichte!“

„Wie wollen Sie zu den Gerichten kommen? Sie stecken ja hier fest.“

„Man wird mich befreien.“

„Pah. Ich möchte den sehen, der das fertigbringt. Es gibt nur einen einzigen Weg in die Freiheit zurück für Sie, mein geehrter Monsieur Deep-hill.“

„Welchen?“

„Sie unterzeichnen Ihre Anweisungen. Sobald ich das Geld in den Händen habe, werden Sie frei.“

„Nie!“

„Gut, so verschmachten Sie hier.“

„Teufel!“

„Mag sein, daß ich ein Teufel bin. Sie erhalten weder zu essen noch zu trinken. Hunger tut weh und Durst noch mehr. Alle drei Tage komme ich, um einmal anzufragen. Sagen Sie ja, dann gut; sagen Sie nein, so mögen Sie mit Ihren Millionen verschmachten. Adieu, Monsieur, adieu, und viel Vergnügen.“

Für den ersten Augenblick wollte Deep-hill an diesen satanischen Streich nicht glauben; bald aber leuchtete ihm ein, daß der Alte grausigen Ernst mache, und es wurde ihm entsetzlich angst. Er schrie und schlug an die Tür – umsonst. Der Kapitän entfernte sich und führte dabei ein halblautes Selbstgespräch.

„In die Falle gegangen, Gott sei Dank, oder vielmehr, dem Teufel sei Dank. Er kommt nicht wieder lebendig an das Tageslicht, mag er nun unterschreiben oder nicht. Aber wie ist er hinter das alles gekommen? Er weiß alles, alles. Unbegreiflich. Ich werde es noch zu erfahren wissen. Aber er ist so gefährlich, daß er für immer verschwinden muß. Seit einiger Zeit werden meine Pläne durchkreuzt; ich habe einen unsichtbaren Gegner, der mir in die Karten guckt. Wer mag das sein? Wehe ihm, wenn er in meine Hände fällt. Und das wird er auf jeden Fall!“