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Als er quer über die Straße hinüberschritt, erblickte er Müller, seinen Herrn, welcher langsam, mit den Schritten eines Spaziergängers, dahergeschlendert kam. Ein kurzer Wink zwischen beiden genügte zum Verständnis, daß Fritz mit dem jetzigen Erzieher zu sprechen habe. Der erstere trat in den Gasthof ein. In dem Gastzimmer befand sich kein Mensch; dennoch aber begab er sich nach dem erwähnten kleinen Stübchen, um vor etwa noch ankommenden Gästen ungestört zu sein. Müller war so vorsichtig, die Straße vollends hinaufzugehen und durch zwei Nebengassen zurückzukehren. Auch er begab sich nach dem hinteren Zimmerchen, da er in der vorderen Stube niemanden erblickte. Gerade als er dort eintrat, erhielt Fritz die bestellte Flasche Wein. Er grüßte, als ob er den letzteren nicht kenne, und bestellte sich ebenso Wein. Als derselbe gebracht worden war, und die Kellnerin sich entfernt hatte, fragte er in halblautem Ton:

„Du hast mir etwas zu sagen?“

„Ja, Herr Doktor.“

„Etwas Wichtiges?“

Fritz zuckte die Achsel, machte ein schelmisches Gesicht und antwortete:

„Hm! Für mich vielleicht, für Sie aber wohl weniger. Es ist eine private Angelegenheit.“

„So, so! Laß doch einmal hören!“

„Ich brauche sehr notwendig einen kurzen Urlaub.“

„Weshalb?“

„Na, weil der Pflegevater gestorben ist!“

„Der Pflegevater?“ fragte Müller erstaunt. „Doch wohl nicht der deinige?“

„Nein. Zweimal stirbt bekanntlich keiner. Ich meine nämlich den Pflegevater von Mademoiselle Nanon.“

„Ah! Das verstehe ich nicht!“

„Nun, sie hat in der Gegend von Etain einen Pflegevater, welcher gestorben ist. Sie will ihn begraben lassen, und ich soll die Ehre haben, sie zu begleiten.“

„Du, du!“ drohte Müller mit dem Finger. „Was soll ich davon denken? Ich will doch nicht hoffen, daß –“

Er hielt inne, und Fritz fiel schnell ein:

„Daß ich etwa nicht der Kerl bin, eine Dame zu begleiten und zu beschützen?“

„Eine alte, eine recht alte, ja; aber eine so junge und zugleich hübsche? Nein!“

„Donnerwetter! Ein königlich preußischer Ulanenwachtmei –“

„Pst!“ warnte Müller.

„Ach so! Ich wollte sagen, ein französischer Kräuterfex, der mit Blumen und Blättern umzugehen weiß, wird wohl auch verstehen, eine junge Dame zart genug anzufassen!“

„Also beim Anfassen bist du schon?“

„Warum nicht?“

„Duldet sie das?“

„Was will sie machen?“

„Hm! Wie kommt sie denn gerade auf dich?“

„Da ist jedenfalls nur der Kräutersack schuld.“

„Wieso?“

„Weil der ihr stets als Kanapee dient.“

„Ach so! Ich beginne zu begreifen! Ihr trefft euch zuweilen im Wald?“

„Freilich.“

„So ganz zufällig?“

„Ganz und gar.“

„Dann setzt ihr euch nieder und plaudert?“

„Natürlich.“

„Sie sitzt auf dem Sack?“

„Gewöhnlich.“

„Und du daneben?“

„Zuweilen. Es kommt auch vor, daß ich liege. Wir haben nämlich bei unseren Konferenzen jede Etikette verbannt.“

„Das ist sehr praktisch. Und wovon unterhaltet ihr euch?“

„Vom Wetter, von Frostballen, von Klarinetten und auch wohl von sauren Gurken und hölzernen Pantoffeln.“

„Schlingel. Gibt es keinen besseren und interessanteren Unterhaltungsstoff?“

„O doch!“

„Nun?“

„Wir gucken uns an. Das ist das Liebste und Interessanteste, was wir machen können.“

„Fritz, du bist verliebt!“

„Donnerwetter, ja, das ist wahr!“

„Und sie, die Nanon?“

„Die wohl schwerlich. Leider! So ein kleines Mäuschen wird sich in so einen großen Bären vergaffen!“

„Das ist richtig. Du hast übrigens auch ganz und gar nichts an dir, was geeignet sein könnte, das Herz eines jungen, hübschen Mädchens zu erobern!“

„Ah! Wirklich? Ja, das kann wahr sein. Es fehlt mir das Haupterfordernis, um Liebe und Anbetung zu erwecken.“

„Was?“

„Der Buckel, den Sie haben.“

„Du bist ein Galgenstrick! Aber lassen wir diese heikle Angelegenheit. Deine Bekanntschaft mit Nanon Köhler kann uns sehr nützlich werden. Wie lange soll der Urlaub währen?“

„Das weiß ich nicht. Doch wohl nicht länger als bis übermorgen abend oder den nächsten Vormittag.“

„Wann fahrt ihr ab?“

„Morgen mit dem Mittagszuge.“

„Nun gut! Du sollst den Urlaub haben, und hier auch das Reisegeld. Da, nimm!“

Er zog die Börse und reichte dem Wachtmeister einige Goldstücke hin; dieser nahm sie mit lachender Miene in Empfang und sagte:

„Großen Dank, Herr Doktor! Auf diese Weise kann ich nobel auftreten und mich sehen lassen. Das ist mir besonders deshalb lieb, weil eine alte, gute Bekannte mitfahren wird.“

Müller horchte auf.

„Eine Bekannte?“ fragte er. „Von hier?“

„Nein, sondern von Berlin.“

„Das wäre?“ fragte Müller erstaunt.

Fritz streckte behaglich die Beine aus, machte ein höchst wichtiges Gesicht und sagte:

„Ja, mein verehrtester Herr Doktor, das ist eine ganz verteufelte Geschichte. Wir können gewaltig in den Käse fliegen. Wer hätte aber auch so etwas denken können.“

„Du machst mich besorgt. Was gibt es denn?“

„Hm. Sie kennen doch die Familie des Husarenrittmeisters von Hohenthal?“

„Natürlich! Ich bin ja mit dem Rittmeister innig befreundet. Wir besuchen uns sogar.“

„Das weiß ich. Sie kennen also auch die Gesellschafterin seiner gnädigen Frau Mutter?“

„Die kleine Madelon? Ja.“

„Fällt Ihnen nicht auf, daß sie gerade Madelon heißt?“

„Warum sollte mir das auffallen? Wohl weil dieser Vorname ein französischer ist?“

„Ja. Nanon und Madelon, Madelon und Nanon. Ist Ihnen der Familienname dieser kleinen Dame bekannt?“

„Hm. Ich glaube, ihn gehört zu haben. Ah, jetzt fällt er mir ein. Ich glaube, daß der Rittmeister ‚Fräulein Köhler‘ zu ihr sagte.“

„So ist es. Und Nanon heißt auch Köhler. Daraus folgt, daß –“

„Daß sie verwandt sind?“ fiel Müller schnell ein.

„Sogar, daß sie Schwestern sind.“

„Sapperment. Ist das wahr?“

„Ja. Nanon hat es mir selbst gesagt.“

„Und ich habe keine Ahnung davon gehabt. Wer hätte das denken können. Du willst doch nicht etwa sagen, daß diese Madelon kommen wird?“

„Gerade das will ich sagen. Auch sie ist von dem betreffenden Pflegevater erzogen worden. Nanon hat ihr telegraphiert, und nun wird sie morgen mit dem Mittagszug in Thionville eintreffen, um sich ihrer Schwester anzuschließen.“

„Das ist unangenehm, höchst unangenehm.“

„Allerdings. Du wirst Nanon nicht begleiten können.“

„Das habe ich mir auch gesagt. Man dürfte sich eigentlich gar nicht sehen lassen; aber – hm – ich habe mir das Ding genau überlegt; ich habe es nach rechts und links gewendet und bin da zu der Ansicht gekommen, daß es doch wohl besser ist, wenn ich mich vor ihr zeige. Erstens habe ich Nanon mein Wort gegeben. Es ließe sich zwar eine Ausrede nicht schwer finden, aber es könnte auffallen und, aufrichtig gestanden, fahre ich doch gar zu gern mit.“

„Deine persönlichen Gefühle müssen hier vor den Rücksichten der Klugheit zurücktreten.“

„Das wäre richtig, wenn es richtig wäre. Aber die beiden Schwestern haben einander seit Jahren nicht gesehen. Madelon wird dieser kleinen Nanon einige Tage widmen; sie wird nach dem Begräbnis ganz sicher mit nach Schloß Ortry kommen, und dann ist es ja gar nicht zu vermeiden, daß Sie von ihr bemerkt oder gesehen werden.“