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„Das ist leider sehr richtig.“

„Das kann gefährlich werden; das kann alles verraten. Im Augenblick des Erkennens hat man sich nicht so wie zu anderer Zeit in der Gewalt. Wie nun, wenn die kleine junge Dame vor Überraschung mit Ihrem wirklichen Namen herausplatzte.“

„Das wäre verteufelt.“

„Das meine ich auch, und darum ist es besser, daß ich mich vor ihr sehen lasse und sie vorbereite.“

„Das mag sein. Aber womit wollen wir unsere Anwesenheit, unser Inkognito begründen?“

„Dies zu bestimmen überlasse ich Ihnen. Die Wahrheit dürfen wir auf keinen Fall sagen.“

„Natürlich nicht. Du kennst wohl einiges aus der Vergangenheit meiner Familie?“

„Ja, was ich so hier und da gehört und weggeschnappt habe.“

„Der alte Kapitän spielt da eine große Rolle –“

„Ich weiß es. Sie meinen, daß ich ihr auf diese Weise unsere Anwesenheit erklären soll?“

„Ja, es wird dies das Beste sein.“

„Jedenfalls. Aber, was soll ich ihr da sagen?“

„Das überlasse ich dir. Du bist klug und vorsichtig genug, um das richtige zu treffen und weder zuviel noch zuwenig zu sagen. Ich kann dir keine Vorschriften machen, da ich ja nicht weiß, wie sich euer Zusammentreffen gestalten wird.“

„Und darf Nanon davon hören?“

„Kein Wort!“ antwortete Müller schnell.

„Sie darf also gar nicht wissen, daß ihre Schwester mich kennt. Das erschwert die Sache.“

„Ich halte diese Madelon für klug, verschwiegen und gewissenhaft.“

„Ich auch. Ich hoffe, daß sie selbst gegen ihre Schwester nicht plaudern wird. Aber, hm, da macht mir eben der Augenblick des Zusammentreffens Sorge.“

„Du hast dich mit Nanon auf dem Bahnhof bestellt?“

„Freilich. Ihre Schwester weiß, daß sie dort von ihr erwartet wird. Da wird sich die Coupétür öffnen; die beiden Schwestern fliegen sich in die Arme; ich stehe dabei wie ein Ölgötze, Madelon erkennt mich und schreit: Ei potz Blitz, bist du nicht der Gustel von Blasewitz? Ich bin erkannt und entlarvt; die Butter fällt mir vom Brot; Nanon staunt mich an und fragt nach meinem Heimatschein – es wird eine Szene, welche wir auf alle Fälle vermeiden müssen.“

„Sehr richtig.“

„Aber das Mittel. Es will mir augenblicklich nichts einfallen.“

„Es gibt da nur ein einziges Mittel, vorzubeugen, daß wir nicht verraten werden.“

„Und das wäre?“

„Du mußt ihr entgegenfahren.“

„Alle Wetter. Das ist richtig. Und ich Dummkopf komme nicht selbst darauf. Aber wie weit fahre ich?“

„Der Zug trifft nach zwölf Uhr hier ein. Auf einem kleinen Anhaltepunkt, wo es keinen Aufenthalt gibt, hast du keine Zeit, ihr Coupé zu entdecken. Du mußt ihr unbedingt bis Trier entgegenfahren, und das ist nur mit dem Morgenzug möglich.“

„Gut. In Trier hält der Zug zehn Minuten; das genügt, um einen Passagier ausfindig zu machen, zumal ich annehmen kann, daß sie nicht in dritter Klasse fahren wird.“

„Du brauchst dich nur an die Schaffner zu wenden. Du steigst bei ihr ein, und bis du hier ankommst, ist die Angelegenheit in Ordnung gebracht. Ich weiß, daß ich keine Befürchtung zu hegen gebrauche, da ich mich auf dich verlassen kann.“

„Keine Sorge, Herr Doktor. Aber wie kommt es, daß Sie sich jetzt in der Stadt befinden?“

„Ich kam, um beim Buchhändler einige Bücher zu kaufen. Horch! Es scheinen Gäste gekommen zu sein.“

Die Kellnerin hatte die nach dem großen Zimmer führende Tür nicht fest zugemacht, sondern nur angelehnt. Die beiden hörten Schritte, und eine Stimme fragte:

„Ist der Wirt zu Hause?“

„Ja“, antwortete das Mädchen.

„Gib mir einen Absinth und rufe ihn. Dich aber brauchen wir nicht dabei.“

Das Mädchen ging.

„Ah, eine heimliche Unterredung, wie es scheint“, flüsterte Müller.

Er trat an die Tür, warf einen Blick durch die Spalte und gewahrte einen Mann, dessen Gesicht durch einen dunklen Vollbart verhüllt war. Er trug ganz gewöhnliche Kleidung, doch war der Eindruck, den er machte, ein martialischer. Er hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und trank von dem Schnaps, den ihm das Mädchen gegeben hatte, ehe es aus der Stube gegangen war.

Müller und Fritz verhielten sich unwillkürlich ganz schweigsam. Es währte eine ziemliche Zeit, bis der Wirt eintrat.

„Du läßt mich lange warten“, sagte der Mann zu ihm. „Und meine Zeit ist kurz bemessen.“

„Kann ich dafür? Was gibt's?“

„Versammlung.“

„Ach so. Dann hast du allerdings gehörig zu laufen. Versammlung für alle?“

„Nein, nur die Anführer sollen kommen.“

„Wann?“

„Punkt elf Uhr.“

„In den Ruinen?“

„Nein; das ist nicht mehr möglich, seit wir damals belauscht worden sind. Möchte nur wissen, welchem Subjekte es gelungen ist, sich einzuschleichen. Einen Verdacht hat man.“

„Ah! Wirklich? Wer?“

„Es läuft ein fremder Kerl den ganzen Tag im Wald herum, um Kräuter zu sammeln. Man hat ihn auch bei den Ruinen gesehen. Vielleicht ist der es gewesen.“

Der Wirt schüttelte den Kopf und antwortete:

„Der? Das fällt ihm gar nicht ein.“

„Kennst du ihn?“

„Ja. Er ist der Pflanzensammler von Doktor Bertrand. Ich kenne ihn genau, da er bei mir viel verkehrt.“

„Was ist es für ein Mensch?“

„Der ist ebenso dumm, wie er lang und stark ist. Saufen kann er wie ein Loch. Aber sonst ist ganz und gar nichts mit ihm. Er tut das Maul nicht auf, spielt weder Billard noch Karten; der hat für nichts Sinn als für seinen Kräutersack.“

„Das ist sein Glück. Wollte er seine Nase in unsere Angelegenheiten stecken, so würde sie ihm bald breitgedrückt werden. Woher stammt er?“

„Aus Genf, überhaupt aus der französischen Schweiz, glaube ich. Um den brauchen wir uns nicht zu grämen.“

„Schön. Der Kapitän hat ihm mißtraut und will ihn beobachten lassen. Ich werde ihn also beruhigen.“

„Das kannst du getrost tun. Also in den Ruinen kommen wir nicht zusammen? Folglich beim alten Turm?“

„Auch nicht. Wo denkst du hin. Wie können wir so etwas wagen! Hast du denn die Kerls vergessen, welche damals das Grab geöffnet haben?“

„Ah, richtig. Ihr hättet sie erschießen sollen.“

„Pah! Du hast gut reden. Der Kapitän hatte den Klingeldraht falsch angebracht; es läutete zu spät. Wir waren nur drei Personen am Wachen, und als wir kamen, ging eben der Spektakel los, mit dem Donnern und Blitzen.“

„Diese Kerls mögen schön erschrocken sein.“

„Und wie! Der eine riß sofort aus. Der schrie etwas in einer fremden Sprache, welche der Teufel vielleicht versteht, ich aber nicht.“

„Habt ihr keinen erkannt?“

„Nein. Es waren drei. Also einer riß aus, aber die beiden anderen blieben furchtlos stehen. Natürlich kam der Kapitän dazu, von den Glockenzeichen herbeigerufen. Er befürchtete, daß diese zwei bleiben würden, um zu lauschen, was nun von unserer Seite geschehen werde; darum mußten wir uns vollständig still verhalten. Und wirklich. Ein Rascheln, welches später zu hören war, überzeugte uns, daß sie sich zwar entfernt hatten, aber wiedergekommen seien.“

„Schlauköpfe.“

„Ja. Ich möchte wissen, wer es gewesen ist. Erst am Morgen entfernten sie sich, und von da an hatten wir Gelegenheit, das Loch wieder zuzuwerfen und die Zerstörung, welche sie angerichtet hatten, zu beseitigen.“

„Hoffentlich aber ist der Alte so klug gewesen, das Arrangement verändern zu lassen!“