„Jedenfalls. Er schweigt natürlich darüber; aber ich vermute, daß einige Kameraden, welche ich mehrere Tage lang nicht zu Gesichte bekam, heimlich bei ihm arbeiten mußten.“
„So bleibt uns nur noch das Trou du bois, wo wir uns versammeln könnten?“
„Jetzt ja. Also heute abend zehn Uhr im Trou du bois. Jetzt muß ich weiter.“
„Ist etwas mitzubringen?“
„Nein. Wir werden einige Befehle erhalten; das ist alles. In einer Viertelstunde ist's abgemacht. Adieu!“
Er gab dem Wirt die Hand und ging. Der letztere begleitete ihn hinaus und kehrte nicht wieder zurück.
Die beiden Lauscher blickten einander an. Dann nickte Fritz wohlgefällig vor sich hin und sagte mit gedämpfter Stimme:
„Bon! Das war famos! Nicht?“
„Sehr gut!“
„Der Wirt muß von unserer Anwesenheit gar nichts wissen.“
„Jedenfalls. Darum wollen wir die Tür zumachen, damit er, wenn er unsere Gegenwart bemerkt, nicht auf die Vermutung kommt, daß wir etwas hören konnten.“
Fritz drückte die Tür ins Schloß, nahm wieder Platz und sagte:
„Also auf mich haben diese Kerls Verdacht! Wie gut; daß ich dies weiß! Jetzt kann ich mich danach verhalten.“
„Und ich freue mich sehr, daß nicht ich es bin, auf den ihr Augenmerk gefallen ist. Seit mich der Kapitän mit dir in den Ruinen sah, war ich überzeugt, daß der Verdacht sich einzig gegen mich richten werde.“
„Heut abend wieder eine Zusammenkunft! Alle Wetter! Wenn man die belauschen könnte!“
„Den Ort wüßten wir. Im Trou du bois.“
„Das heißt auf deutsch im Waldloch. Kennen Sie vielleicht diesen Ort, Herr Doktor?“
„Nein; aber ich muß ihn zu erfahren suchen.“
„Die Erkundigung könnte auffallen!“
„Nein. Ich spreche auf dem Nachhauseweg beim Förster vor.“
„Wenn nun der mit ihnen unter der Decke steckt?“
„Ich halte mich an den Forstgehilfen. Dieser ist ein junger unerfahrener Mensch, vor dem mir nicht bange zu sein braucht.“
„Was werden Sie tun, wenn Sie erfahren, wo dieses Waldloch sich befindet?“
„Das kann ich jetzt noch nicht sagen; ich muß die Umstände berücksichtigen.“
„Vielleicht kommen Sie auf den Gedanken, die Versammlung zu belauschen?“
„Möglich!“
„Donnerwetter! Das ist gefährlich!“
„Allerdings“, antwortete Müller, indem er die Achsel zuckte. „Das kann mich nicht abhalten, meine Pflicht zu tun!“
„Aber Sie haben sich vor allen Dingen zu erhalten, schon um Ihre Aufgabe zu erfüllen.“
„Die erfülle ich ja eben indem ich horche!“
„Aber man jagt Ihnen unter Umständen eine Kugel durch den Kopf!“
„Ich bin auch bewaffnet. Übrigens wirst du mir wohl die nötige Vorsicht zutrauen.“
„Man kann bei aller Klugheit und Vorsicht in die allerdickste Tinte geraten!“
„Ich danke dir für die Besorgnis, welche du für mich zeigst! Aber denke an dich selbst! Hast du etwa gezaubert, als du damals des Nachts dich bei der Ruine befandest?“
„Nein. Ich habe allerdings meine Nase, die sie mir so gern breitschlagen möchten, sofort in die Ruine gesteckt.“
„Und das Leben dabei gewagt!“
„Pah! Man hat mir nichts getan!“
„Aber man hätte dich beinahe ergriffen, und dann wäre es jedenfalls aus mit dir gewesen!“
„Aber ich hätte mich doch vorher ganz gehörig meiner Haut gewehrt, und es ist doch auch ein Unterschied zwischen Ihnen und mir zu machen!“
„Das sehe ich nicht ein!“
„Oh! Ein Rittmeister und ein Wachtmeister, oder ein Doktor der Philosophie und ein Kräutermann! Wenn sie mich wegputzen, so sind Sie immer noch Manns genug, Ihre Aufgabe zu lösen, dreht man aber Ihnen den Kopf auf den Rücken, so ist's aus mit der Laterne. Also, lieber Herr Doktor, schicken Sie lieber mich nach dem Trou du bois!“
„Das geht nicht. Ich muß selbst da sein.“
„So nehmen Sie mich wenigstens mit.“
„Du mußt ausschlafen.“
„Pah! Etwa der morgigen Reise wegen?“
„Natürlich!“
„Das fehlte noch. Ich bitte wirklich von ganzem Herzen, nicht ohne mich zu gehen.“
Das klang so treu und dringend, daß Müller nicht zu widerstehen vermochte. Er antwortete:
„Gut! Wenn ich dir damit einen so großen Gefallen tue.“
„Einen sehr großen. Wo treffen wir uns?“
„Punkt zehn Uhr da, wo vom Schloß aus der Fußweg in den Wald führt.“
„Werden Sie bis dahin wissen, wo das Waldloch zu suchen ist?“
„Ich hoffe es. Natürlich bewaffnest du dich.“
„Das versteht sich ganz von selbst. Befehlen Sie vielleicht, daß ich mich nun zurückziehe?“
„Nein. Wir warten noch. Gehen wir jetzt und der Wirt erblickt uns, so schöpft er Verdacht. Sieht er uns aber erst später, so meint er vielleicht, daß wir erst später gekommen sind. Apropos! Hast du Abu Hassan wiedergesehen? Er ist seit jener Nacht spurlos verschwunden.“
„Aber seine Requisiten befinden sich noch hier im Gasthof.“
„So kehrt er sicher zurück.“
„Auf alle Fälle. Er müßte sonst gewärtig sein, daß man ihn steckbrieflich verfolgt. Er hat ja vor Gericht seine Aussage über den Tod der Schauspielerin zu tun. Bleibt er damit im Rückstand, so wird er gesucht.“
„Solltest du ihn sehen, so benachrichtigst du mich sofort.“
„Sie haben mit ihm zu sprechen?“
„Ja. Ich muß mir über einiges klarwerden. Ich bedaure jetzt, nicht aufrichtiger mit ihm gewesen zu sein. Übrigens möchte ich jetzt am Schluß ein aufrichtiges Wort mit dir reden, Fritz.“
„Ganz wie der Herr Doktor befehlen.“
„Sage mir einmal ohne allen Rückhalt: Liebst du diese Nanon wirklich?“
Der Gefragte wurde rot. Er blickte eine Weile vor sich nieder, hob dann den Kopf, richtete seine treuherzigen, guten Augen auf Müller und antwortete:
„Herr Doktor, das ist eine ganz und gar verdonnerte Frage! Man ist so manchem Gesicht gut gewesen; aber was Liebe ist, wirkliche, richtige Liebe, hm! Wenn Sie mir doch sagen könnten, was das ist?“
„Nun“, antwortete Müller lächelnd, „in diesem Punkt bin ich gerade ebenso gescheit wie du. Auch ich bin nicht imstande, eine Definition von diesem Wort zu geben.“
„Nicht? Da will ich es doch einmal versuchen.“
„Laß dich hören.“
„Ist das Liebe, wenn man ein Mädchen zum ersten Mal sieht und sie doch gleich mit Haut und Haar fressen möchte?“
„Nein; das ist vielmehr der Heißhunger eines Menschenfressers.“
„So! Oder ist das Liebe, wenn man so ein Mädchen an das Herz nehmen und gar nicht wieder von sich lassen möchte?“
„Vielleicht.“
„Wenn man für sie durchs Feuer gehen und tausendmal für sie sterben möchte, wenn das möglich wäre?“
„Hm! Hübscher ist es doch jedenfalls, für die Geliebte zu leben als für sie zu sterben.“
„Das leuchtet auch mir ein. Aber alles in allem gerechnet, bin ich doch wohl auf der richtigen Fährte, wenn ich annehme, daß ich dieser Nanon von ganzem Herzen gut bin.“
„Hast du dir aber auch überlegt, was daraus folgen kann?“
„Eine Hochzeit oder ein alter Junggeselle.“
„Unsinn.“
„Herr Doktor, das ist kein Unsinn. Wenn dieses Mädchen meine Frau nicht werden will, so bleibe ich ledig.“
„Und da tust du noch zweifelhaft, ob du sie wirklich liebst?“
„Gut, so will ich den Zweifel zur Tür hinauswerfen.“
„Dann bedenke, wer sie ist.“
„Ein wunderbar gutes und liebes Mädchen.“
„Eine Gesellschafterin ohne Familie und Vermögen.“
„Habe ich etwa Vermögen oder Familie?“
„Fritz! Du weißt ja, daß ich daran arbeite, das Geheimnis deiner Geburt zu enthüllen.“
„Lassen Sie lieber den Vorhang drüber. Ich bin jetzt ein ganz und gar glücklicher Kerl. Ich habe Sie. Ich habe meine Uniform – wollte sagen, meinen Kräutersack; ich kann zuweilen einige Augenblicke mit Nanon sprechen; ja, ich darf sogar morgen mit ihr verreisen. Das ist bereits mehr, als dazu gehört, zufrieden zu sein.“