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„Und wie sie es aufnimmt.“

Sie schritten während dieses Gesprächs nebeneinander auf dem Trottoir dahin.

„Wie sie es aufnimmt?“ fragte der Dicke. „Gut, außerordentlich gut.“

„Ja, vielleicht drollig.“

„Unsinn! Eine Gouvernante, welche mit einem unverheirateten Junggesellen auf der Straße stehen bleibt, um mit ihm vom großen Mogul zu sprechen, hat sich in ihn verschnappt, ist in ihn verliebt, riesig verliebt. Sie hat mir die eingehendste, ausführlichste Auskunft gegeben. Sie hat sich legitimiert. Habe ich also nicht recht gehabt, als ich vorhin bei mir sagte, daß sie sich legitimieren müsse?“

„Hm! Also König heißt sie?“

„Ja.“

„Ist sie wirklich Gouvernante bei der Generalin?“

„Ja.“

„Woher stammt sie?“

„Das weiß ich nicht.“

„Was sind ihre Eltern?“

„Das alles geht mich jetzt nichts an. Sobald sie meine Frau ist, werde ich es erfahren.“

„Gratuliere.“

„Danke. Die Sache ist so gut wie abgemacht. Aber hier ist die Nummer sechzehn. Bezahlen Sie Ihren Dienstmann. Ich werde die Bilder selbst wieder nehmen.“

„Und mit ihnen die vier Treppen hinauffallen.“

„Na, wenn Sie so besorgt sind, so wollen wir teilen. Jeder trägt die Hälfte. Das wird Sie zugleich bei dem Alten empfehlen.“

Der Dienstmann wurde abgelohnt. Sie begaben sich mit den Bildern nach dem Hinterhaus und stiegen die vielen Stufen empor. Oben an einer Tür, an welcher kein Name zu lesen war, klingelte der Dicke. Es dauerte eine Weile, dann ließ sich ein Schlürfen vernehmen, und die Tür wurde um ein Lückchen geöffnet, während die Sicherheitskette hängen blieb.

„Wer ist draußen!“ frage eine halblaute, harte Stimme.

„Ich, Hieronymus Schneffke.“

„Gut, gut. Sie kommen wie gerufen.“

Die Kette wurde abgenommen und die Tür völlig aufgestoßen. Vor ihnen stand ein hagerer, graubärtiger Mann. Er war in einen alten Schlafrock gekleidet und trug an den Füßen sehr zerfetzte Pantoffeln. Er hatte kein Haar mehr auf dem Kopf. Sein Gesicht war eingefallen, und in seinen tiefliegenden Augen zuckten irre, unheimliche Lichter. Er erblickte Haller, griff sofort und schleunigst wieder nach der Sicherheitskette und rief mit völlig veränderter heiserer Stimme:

„Verrat, Verrat! Sie bringen einen zweiten mit.“

„Ich konnte doch die Bilder nicht allein tragen, mein verehrtester Herr Untersberg“, entschuldigte sich der Dicke.

„Sie haben sie ja auch allein fortgetragen.“

„Nein; ich mußte mir gestern einen Dienstmann nehmen. Macht fünf Silbergroschen.“

„Die sollen Sie erhalten. Warum haben Sie denn heute nicht auch einen Dienstmann genommen?“

„Weil dieser Herr zufällig bei mir war und mir seine Hilfe anbot. Wenn man fünf Silbergroschen sparen kann, soll man es tun. Das ist so gewiß und fest wie Pudding.“

„Ich werde ihm das Geld geben, dann mag er sich entfernen.“

„Das geht nicht. Er würde sich beleidigt fühlen.“

„Wenn er Geld bekommt?“

„Ja; er ist kein Dienstmann.“

„Was denn?“

„Ein Maler.“

„Ah, das ist etwas anderes. Er mag also einstweilen eintreten.“

Untersberg trat zurück, und die beiden folgten ihm. Sie befanden sich in einer Stube, an deren vier Wänden hohe mit Büchern gefüllte Stellagen aufgerichtet waren. Der Wirt schloß die Tür zu, legte die Kette vor und langte dann nach den Bildern.

„Zeigen Sie her“, sagte er.

Er betrachtete eins nach dem andern und sagte dann:

„Ich bin zufrieden! Können Sie auch Kolibris malen?“

Diese Frage war an Haller gerichtet.

„Ja“, antwortete dieser.

„So haben Sie sich bereits an Vögeln versucht?“

„Sehr oft.“

„Sehr oft? Mille tonnerres! So sind Sie also kein Anfänger?“

„Nein!“ lautete die Antwort, welche mit einem gewissen Selbstgefühl gegeben wurde.

Da trat der Alte einen Schritt zurück. Sein vorher bleiches Gesicht rötete sich vor Zorn, und in seinen Augen leuchtete es unheimlich auf.

„Haben Sie das gewußt?“ fragte er den Dicken.

„Nein. Er hat sich mir als Maler Haller vorgestellt und mir einige Zeichnungen sehen lassen. Da diese nicht viel taugten, habe ich angenommen, daß er ein Anfänger ist.“

„Das ist Ihr Glück! Ich hätte Sie von meinem Hund zerreißen lassen. Sie wissen, daß ich nur Anfänger protegiere. Von anderen mag ich nichts wissen, absolut nichts! Wie heißt dieser Mann?“

„Haller, aus Stuttgart.“

„Schön! Herr Haller, ich ersuche Sie, mein Lokal zu verlassen.“

„Aber, mein Herr“, versuchte Haller, ihn zu beruhigen, „ich komme in der besten Absicht der Welt und bin mir nicht bewußt –“

„Was Sie sich bewußt sind oder nicht, das ist mir ganz gleich“, fiel da der Alte ein. „Für mich ist das die Hauptsache, was ich weiß und will. Gehen Sie!“

„Ich versichere Ihnen aber, daß – – –“

„Gehen Sie, oder – – –!“

„Aber so lassen Sie sich doch gefälligst sagen, daß ich –“

„Tiger!“

Er rief diesen Namen laut und gellend aus und ließ dann einen schrillen Pfiff hören. Sofort kam durch die offenstehende Tür des Nebenzimmers eine riesige Dogge herbeigesprungen.

„Diesen da meine ich.“

Als der Alte diese Worte sagte und dabei auf Haller zeigte, stellte sich das Tier zähnefletschend vor den Genannten hin.

„Nun, werden Sie gehen oder nicht?“ fragte Untersberg. „Mein Türhüter hier weiß ganz genau, was er im letzteren Fall zu tun hat.“

Haller erkannte, daß er es mit der Dogge nicht aufzunehmen vermochte. Selbst wenn er geglaubt hätte, den Hund meistern zu können, wäre es doch nicht geraten gewesen, den Zorn des Alten, mit dem er schon noch bekannt zu werden hoffte, zu vergrößern. Darum antwortete er:

„Ich versichere Sie, daß ich in der freundlichsten Absicht kam. Ich hörte von ihrer berühmten Kolibrisammlung und –“

„Was gehen Sie meine Kolibris an“, rief da der Alte voller Wut. „Was wissen Sie, warum ich Kolibris malen lasse. Sehen Sie den Hund. Wenn Sie noch ein einziges Wort sagen, wird er sich auf Sie stürzen. Hinaus! Hinaus! Paß auf, Tiger.“

Diese Worte waren in einem Zorn geschrien, der nicht natürlich genannt werden konnte. Das Wort Kolibri hatte ihn mehr als aufgeregt; es hatte einen unheimlichen, einen geradezu diabolischen Eindruck auf ihn gemacht. Seine Stimme bebte; seine Gestalt zitterte, und seine Augen sprühten Blitze.

Haller sah, daß hier jede Entgegnung vergebens sein werde.

„Adieu“, sagte er und ging.

„Adieu. Kommen Sie mir nicht wieder.“

Bei diesen Worten schloß der Alte Tür und Kette wieder, welche beide der Maler geöffnet hatte. Dann wendete er sich zu dem Dicken:

„Warum bringen Sie diesen Menschen mit?“

„Ganz ohne Absicht, Herr Untersberg“, antwortete der Gefragte in möglichst unbefangenem Ton.

„Wirklich?“

Sein Blick schien bei dieser Frage das Gesicht des Kleinen völlig durchbohren zu wollen. Dieser machte ein gleichgültiges Gesicht und sagte:

„Pah! Ich möchte wissen, welche Absicht ich hätte haben können.“

„Das will ich hoffen. Ich hasse die Schleicher. Ich dulde keine Spione, welche nur kommen, um bei mir zu sehen und zu horchen. Sie sind ein lustiger Kauz, und lustige Leute sind niemals falsche oder gar heimtückische Katzen. Darum dulde ich Sie bei mir. Aber ich befehle Ihnen, mir niemals wieder einen Fremden zu bringen. Ich würde Sie selbst durch Tiger hinausbeißen lassen, und nie, niemals dürften Sie wieder zu mir kommen.“

„Schön! Ich werde mir das merken.“

„Ich hoffe und verlange es. Eigentlich wollte ich heute mit Ihnen nach dem Dokument du divorce suchen; auch habe ich die ganze Nacht an meinem Kopf gezeichnet; aber ich habe etwas anderes für Sie.“