Выбрать главу

„Lächerlich!“

„Es war allerdings höchst spaßhaft. Wir mußten lachen.“

„Er war natürlich im höchsten Grad verlegen?“

„Das fiel ihm gar nicht ein. Ich glaube, dieser Hieronymus ist durch nichts in Verlegenheit zu bringen.“

„Was tat er denn!“

„Er sprach mir seine Freude aus, daß er, mir zu Füßen liegend, mir seine hochachtungsvolle Ehrfurcht beweisen könne.“

„Allerdings höchst originell. Und dann?“

„Dann kugelte er in höchster Eile dem Gaul nach, welcher inzwischen durchgegangen war. Und heut als ich –“

„Wie?“ wurde sie von Madelon unterbrochen. „Heut haben Sie einen von ihnen auch bereits wiedergesehen?“

„Alle beide.“

„Es ist wahr; Herr Haller ging aus. Aber wo?“

„Ich stand im Begriff, zu Ihnen zu gehen. Ich wollte am Tor des Nachbarhauses vorüber, eben als eine Equipage aus demselben hervorrollte. Ich sah etwas Dickes durch die Luft fliegen; vor mir lagen eingerahmte Bilder an der Erde; ein mächtiger Kalabreserhut rollte mir zwischen die Füße, und mitten unter den Bildern lag – nun, wer an der Erde.“

„Der kleine Dicke?“

„Ja, er!“

„Aber wie ist das denn gekommen?“

„Er hat an den Pferden vorüber springen wollen und dabei sowohl die Balance als auch die Bilder und den Hut verloren.“

„Der Allerärmste. Er raffte sich doch sofort empor?“

„O nein! Er fluchte zunächst ein wenig, hob dann das ehrwürdige Haupt, nickte mir, noch immer an der Erde liegend, sehr freundlich zu und erklärte sich für den glücklichsten Menschen, daß es ihm abermals vergönnt sei, mir zu Füßen seine Huldigung darzubringen.“

Die drei Damen, die Erzählerin mit inbegriffen, brachen in ein herzliches Lachen aus.

„Aber nun stand er doch auf?“ frage Madelon, noch immer lachend.

„Allerdings. Er gab Haller den strengen Befehl, die Bilder aufzulesen und –“

„Wie, Haller war dabei?“

„Natürlich. Diese beiden scheinen unzertrennlich zu sein, wenn es sich um etwas Lustiges handelt. Aber das beste war, daß Haller ging, der Kleine aber bei mir blieb und mir abermals eine Liebeserklärung machte.“

„Auf offener Straße?“

„Natürlich.“

„Sie haben ihn doch stehenlassen?“

„Nicht sogleich. Er verlangte von mir, daß ich mich legitimieren solle. Er wollte meinen Namen wissen, wo ich diene, was meine Eltern sind, und was weiß ich alles!“

„Das ist denn doch sehr stark, ja unverschämt!“

„Nein. Sie müssen wissen, daß er mich für eine Gouvernante hält, für eine Erzieherin oder so etwas!“

„Mein Gott! Aus welchem Grund denn?“

„Weil ich im Wald einfach gekleidet war und der Tante aus dem Buch vorlas.“

„Davon hat Herr Haller freilich kein Wort erzählt.“

„Er wird sich hüten. Er wirft dadurch kein sehr empfehlendes Licht auf sich selbst. Also Sie haben sich vorgenommen, ihn mir vorzustellen, liebe Madelon?“

„Ich habe es ihm sogar versprochen, wie ich Ihnen ja bereits erzählt habe.“

„Wann soll das geschehen?“

„Wenn er jetzt von seinem Ausgang zurückkehren und hier Zutritt nehmen sollte, müßte es ja doch geschehen.“

„Das ist wahr. Wir werden da gleich bemerken, ob er wirklich ein feiner Mann ist.“

„Wieso?“

„Wird er verlegen, oder läßt er sich merken, daß er mich bereits gesehen hat, so stellt er sich in Beziehung seiner gesellschaftlichen Eigenschaften ein schlechtes Zeugnis aus.“

„Das macht mich höchst neugierig. Ich wollte, daß er sogleich zurückkäme.“

„Und ich wünsche ihm keine solche Eile, da ich Ihnen vorher eben die wichtige Mitteilung zu machen habe, von welcher ich vorhin sprach. Ich nannte ihn einen gefährlichen Menschen, und Sie wollen das nicht zugeben, liebe Madelon.“

„Ich bin auch jetzt noch meiner Ansicht.“

„Nun, so will ich meinen Ausspruch steigern, indem ich ihn nicht nur für einen einfach gefährlichen, sondern sogar für einen gemeingefährlichen Menschen erkläre.“

Madelon erblaßte. Sie kannte die Freundin genau; sie wußte, daß diese nicht ohne einen guten Grund sich solcher Ausdrücke bedienen werde. Sie faltete die Hände und sagte:

„So wäre er ja ein Verbrecher.“

„Das ist er auch. Das, was er tut, verdient Strafe.“

„Und wir haben ihn für einen so feinen, anständigen Herrn gehalten. Wie man sich doch irren kann! Er hat so gute, treue Augen und so ehrliche Züge. Man könnte ihm gut sein, wenn man ihm nur in das Gesicht blickt.“

„Das habe ich alles auch bemerkt. Und doch ist er gemeingefährlich. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn ein Mensch nicht nur einem einzelnen, sondern dem ganzen Vaterland, dem ganzen Deutschland gefährlich wird?“

„Dem ganzen Vaterland? Das verstehe ich nicht. Ist er etwa ein verkleideter russischer Nihilist?“

„Nein.“

„Ein sozialdemokratischer Führer?“

„Auch nicht.“

„Ein Dynamitverschwörer, ein Massenmörder à la Thomas?“

„Das alles nicht; aber er ist einfach – ein Spion.“

Da sprang die Witwe vom Stuhl auf. Sie hatte die Führung des Gesprächs bisher den beiden Mädchen überlassen. Was sie hörte, das gab ihr zu denken. Aber jetzt! Sie, die gute preußische Untertanin, die loyale Berlinerin, beherbergte einen Spion bei sich. Das war ja entsetzlich!

„Ein Spion?“ schrie sie auf. „Ist das wahr?“

„Ja, meine Liebe.“

„Wissen Sie es genau?“

„Ganz genau. Dieser Maler Haller ist mir avisiert worden. Ich habe ihn bereits erwartet; nur dachte ich nicht, daß er sich zufällig gerade bei Ihnen einlogieren werde.“

„Von wem wurde er avisiert?“

„Von meinem Bruder.“

„Das genügt. Ihr Herr Bruder ist ein tüchtiger Mann. Was er sagt und behauptet, das ist wie ein Evangelium. Dieser Haller muß fort, fort, sogleich fort von hier. Ich sage es ihm, sobald er kommt. Ja, ich lasse ihn sogar arretieren.“

„Das alles werden Sie nicht tun.“

„Nicht? Ah! Warum? Soll ich einen Spion bei mir dulden und dadurch mit der Behörde in Konflikt geraten?“

„Sie werden ihn weder fortjagen noch ihn arretieren lassen, noch mit der Behörde in Konflikt geraten.“

„So? Wirklich? Was werde ich denn tun?“

„Sie werden ihn bei sich behalten, ihn gut bedienen und ihm gar nicht merken lassen, was sie von ihm wissen.“

„Das ist ja eine Unmöglichkeit.“

„Nein; das ist sogar Ihre Pflicht und Schuldigkeit! Soll ich Ihnen das erklären?“

„Ich bitte sehr darum, Fräulein von Königsau!“

„Nun, so hören Sie. Ich kann, ohne auszuplaudern, Ihnen sagen, daß mein Bruder das Vertrauen der allerhöchsten militärischen Behörde genießt –“

„Das ist nicht ausgeplaudert, denn das wissen wir ja alle. Ihr Herr Bruder erfährt vielleicht Dinge, von denen selbst ein General nichts zu hören bekommt.“

„Nun, so muß ich Ihnen sagen, daß ein baldiger Krieg mit Frankreich zu befürchten ist.“

„Man spricht davon.“

„Frankreich will vorsichtig sein und sich vorher überzeugen, ob seine Kräfte den unseren gewachsen sind. Auf öffentlichem Weg kann es diese Überzeugung aber nicht erlangen, und so greift es zu dem einzigen Mittel, welches noch bleibt: Es überschwemmt Deutschland mit seinen Spionen.“

„Und dieser Haller ist ein solcher? Er ist also ein Franzose?“

„Natürlich!“

„Und nicht aus Stuttgart?“

„Keineswegs. Man weiß in Paris ebensogut wie hier, daß mein Bruder das Vertrauen seiner Vorgesetzten genießt, und daß man ihm Arbeiten aufträgt, welche eine bedeutende Einsicht in Deutschlands Verhältnisse zu Frankreich voraussetzen. Bei ihm ist also am besten und – wie man denkt – am leichtesten etwas zu erfahren. Daher hat man diesem Haller den Auftrag gegeben, nach Berlin zu gehen und meinen Bruder auszuhorchen. Er soll sich in unsere Familie einführen lassen und so viel wie möglich zu erfahren suchen.“