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„Bist du schon so weit mit ihr, daß du sie bei ihrem Vornamen rufst?“

„Ja.“

„Herrgott, macht dieser Mensch riesenhafte Fortschritte!“

„Es ist nicht so schlimm. Ich nenne sie beim Vornamen, aber nur ausnahmsweise, nämlich wenn sie nicht dabei ist und es also nicht hört.“

„Das kann ich mit meiner Ella auch, alter Schwede.“

„So tue es; ich habe nichts dagegen.“

„Wollte mir es auch verbeten haben. Aber ich kann noch gar nicht begreifen, daß deine Schwester in Ortry sein soll.“

„Schwester. Hm. Sie ist eine Engländerin.“

„Ah! Wieso?“

„Heißt Miß Harriet de Lissa und ist aus London.“

„Jetzt steht mir der Verstand still. Was will sie denn?“

„Ihre zukünftige Schwägerin kennen lernen.“

„Deine Marion?“

„Ja. Du hast ja gesehen, daß sie schon ganz dicke Freundinnen sind! Aber du hast dich ganz aus der Fassung bringen lassen und den Faden deiner Erzählung verloren.“

„Es ist auch danach. Du weißt doch, daß ich deiner Schwester seinerzeit den Hof machte.“

„Und riesig!“

„Ich liebte sie.“

„Unendlich.“

„Ich betete sie an.“

„Als wäre sie eine Göttin und du ein armer Paria.“

„Ich dichtete sogar Lieder auf sie.“

„Ja, Sonette.“

„Hymnen und Oden.“

„Die Schrift war nicht übel; aber die Gedichte taugten den Teufel. Sie wanderten alle in den Ofen.“

„Wirklich?“

„Gewiß.“

„Ihr Barbaren! Welch ein Undank! Ich ging ganz in deiner Schwester auf.“

„Und ans Billard!“

„Ich schickte ihr täglich einen Strauß.“

„Die Ziege unseres Wirtes bekam ihn zu fressen.“

„Dann stellte sich leider heraus, daß ihr Herz zu klein für mich sei.“

„Weil das deinige zu groß für sie war. Es wohnten stets ein Dutzend andere darin.“

„So ging die Sache futsch.“

„Gott sei Lob und Dank!“

„Aber dennoch halte ich noch große Stücke auf sie.“

„Schneide dir nach Belieben kleine Stücke davon herunter.“

„Du bist herzlos.“

„Desto entwickelter ist das deinige.“

Beide lachten herzlich übereinander, und dann nahmen sie wieder Platz, damit Hohenthal in seiner Erzählung fortfahren möge. So saßen sie, bis das Dunkel des Abends hereinbrach, ihre Gedanken, Meinungen und Erlebnisse austauschend. Sie lernten voneinander, und als sie sich endlich erhoben, um zu scheiden, sagte Müller:

„Wie leid tut es mir, dich nicht zu mir einladen zu können, aber es geht ja nicht.“

„Nein; das dürfen wir nicht wagen, lieber Freund. Wir müssen vorsichtig sein. Ich fahre mit dem letzten Zug nach Metz, da bin ich daheim.“

„Was hättest du getan, wenn ich nicht hier vorübergegangen wäre?“

„Ich hätte bis zum Dunkel gewartet und es dann auf irgendeine Art bewerkstelligt, zu dir zu kommen.“

„Ein anderes Mal gehst du zu Doktor Bertrand und fragst nach dem Kräutersammler Schneeberg.“

„Werde es mir merken. Aber höre, Richard, ist es nicht, daß wir zwei kleine Rittmeisterchen hier im Feindesland stehen mit dem stolzen Bewußtsein, daß im Kriegsfall das Gelingen zum nicht geringsten Teil mit von unserer jetzigen Tätigkeit abhängt?“

„Es mag so sein. Darum wollen wir die Augen offenhalten und nicht müde werden in der Erfüllung unserer Pflicht. Gute Nacht, lieber Arthur.“

„Gute Nacht, lieber Richard. Frohes Wiedersehen!“

SIEBENTES KAPITEL 

Das Druckmittel

Als Müller nach Ortry kam, fand er das Speisezimmer erleuchtet. Seit er sich seinen Platz am Tisch erzwungen hatte, hatte er dort Zutritt, und er säumte heute nicht, sich hinzubegeben. Er fand Marion, Emma, den Amerikaner und die Baronin. Letztere war von der Neugierde herbeigetrieben worden, vor Tisch die Engländerin kennen zu lernen.

Emma spielte ihre Rolle ausgezeichnet und mit wunderbarer Ungezwungenheit. Sie wäre von jeder Engländerin für eine Landsmännin gehalten worden.

Müller wurde von allen außer der Baronin höflich empfangen und als vollständig ebenbürtig behandelt. Er nahm sehr wenig am Gespräch teil und zog es vor, der Unterhaltung zu lauschen und seine Betrachtungen anzustellen.

Marion und Emma nannten sich bereits du. Der Blick des Amerikaners hing bewundernd an der letzteren. Er war ein hochbegabter und fein gebildeter, kenntnisreicher Mann und bemühte sich, Emma Gelegenheit zu geben, die Vorzüge ihres Geistes zur Geltung zu bringen.

Wenn Müller ja einmal in hochachtungsvoller Weise, wie es ihm als Erzieher zukam, sein Wort an Emma richtete und sie ihm dann in jener freundlich auszeichnenden und doch sichtlich herablassenden Weise antwortete, wie der wirklich gebildete Aristokrat einem verdienten Bürgerlichen gegenüber zu tun pflegt, dann glänzten die Augen des Amerikaners vor Freuden über die Meisterschaft, mit welcher diese beiden ihre Rollen spielten.

Während dieser angeregten Unterhaltung öffnete sich leise die eine Tür, welche im Schatten lag und – der Baron trat ein, in jetziger Zeit eine Seltenheit, man hatte wohl vergessen, ihn in seinem Zimmer einzuschließen.

Niemand bemerkte ihn. Er trat leise, unhörbar näher, bis dahin, wo der volle Strahl des Lichts auf den Kopf Emmas fiel. Er stieß einen schrillen Schrei des Entsetzens aus, so daß alle erschrocken aufsprangen.

„Das ist sein Gesicht, aber er ist es nicht ganz!“ schrie er, die Arme abwehrend von sich streckend und die weit aufgerissenen Augen starr auf Emma gerichtet. „Ich kann ihm ja nichts tun! Er ist wieder lebendig geworden! Er wohnt da unten im Keller des Mittelpunktes!“

Diese unerwartete Szene brachte natürlich einen sehr peinigenden Eindruck hervor. Auf Marions Gesicht spiegelte sich das tiefste Mitleid ab. Der Amerikaner blickte ganz erstaunt auf den Mann, von dessen Vorhandensein er keine Ahnung hatte; Müller und Emma wechselten zwei schnelle, unbeobachtete Blicke. Das Gesicht des ersteren war leichenblaß geworden.

„Es ist der Verrückte“, sagte die Baronin kalt. „Schaff ihn fort und schließe ihn ein, Marion.“

Marion nahm den Kranken am Arm.

„Komm, Vater“, sagte sie in mildem Ton.

Er ließ sich von ihr leiten; aber noch unter der Tür drehte er sich einmal um und klagte:

„Ich bin nicht schuld! Er lebt ja noch! Die Kriegskasse, oh, die Kriegskasse!“

Die Tür schloß sich hinter ihm; aber man hörte ihn draußen noch fortwimmern, bis er sein fernes Zimmer betreten hatte und dort eingeschlossen worden war.

Die Unterhaltung war gestört und kam auch nicht wieder in den rechten Fluß, bis die Tafel gedeckt war. Der Kapitän, welcher davon benachrichtigt wurde, ließ sagen, daß man beginnen solle, er werde später kommen.

Jetzt kam auch Alexander, so daß sechs Personen soupierten.

Der Amerikaner saß neben Emma und suchte ihr auf alle Weise seine Aufmerksamkeit zu erweisen. Müller hatte die Baronin und Marion zu bedienen. Die erstere nahm dies hochmütig als etwas ganz Selbstverständliches hin; die letztere aber fühlte sich öfters bewogen, den Erzieher durch einen freundlichen Blick zu belohnen.

Da, fast am Schluß des Mahls, trat der Kapitän ein. Er wußte nichts von Emmas Anwesenheit und kam näher. Er stand gerade hinter ihr, als alle sich zum Gruß erhoben. Sie drehte sich um. Er blickte ihr in das Gesicht, fuhr entsetzt zurück und rief:

„Margot! Schwester! Hölle und Teufel!“

Alle schwiegen vor Schreck; nur zwei blieben sich gleich: Müller und Alexander. Der erstere hatte so etwas erwartet und der Knabe sagte, halb lachend:

„Du irrst, Großpapa! Diese Dame ist ja Miß de Lissa aus London, welche mit verunglückt ist.“

Wohl nie in seinem ganzen Leben hatte der Alte sich in einer solchen Verlegenheit befunden, wie gerade jetzt. Er verbeugte sich tief und stammelte: