„Das versteht sich ganz von selbst. Aber lieber wäre es mir gewesen, Marion hätte freiwillig eingewilligt. Ich glaube, sie hält Sie für feig.“
„Donnerwetter. Ich feig?“ fragte Rallion.
„Ja“, antwortete der Alte ruhig.
Rallion fuhr sich mit der Hand nach dem blessierten Gesicht und sagte:
„Feig? Mit dieser Wunde?“
„Meinen Sie, daß Ihre gegenwärtige Verwundung ein Beweis Ihres Mutes ist?“
„Ganz gewiß.“
„Sie haben den Schnitt nicht im offenen, kühnen Kampf bekommen.“
„Aber doch im Kampf. Ich habe den Menschen, welcher sich eingeschlichen hatte, festhalten wollen. Haben Sie etwa die Absicht, dies eine Feigheit zu nennen?“
„Eine außerordentliche Verwegenheit gehört nicht dazu. Übrigens dürfen wir nicht vergessen, was Marion über Ihre Wunde denken muß.“
„Nun was?“
„Daß sie von einer Sense herrührt, auf welche Sie in der Dunkelheit getreten sind.“
„Verdammte Sense! Hätte es denn keine bessere Erklärung oder Ausrede gegeben?“
„Nein. Junge Mädchen schwärmen gern für Helden. Hätten Sie sich mit Marion in das Wasser gestürzt, so wäre sie in diesem Augenblick die Ihrige.“
„Oder wir wären beide elend ertrunken.“
„Andere sind auch nicht ertrunken.“
„Sie reden verteufelt eigentümlich. Also Marion wäre heute mein, wenn ich sie gerettet hätte?“
„Ich bin davon überzeugt.“
„Alle Teufel. Dann müßte sie ja diesen buckeligen Schulmeister lieben.“
„Unsinn!“
„Er hat sie ja gerettet.“
„Und abermals Unsinn! Marion ist ein hocharistokratischer Charakter. Sie – und ein Hauslehrer; sie, eine Französin von reinsten Wasser – und er, ein Deutscher.“
„Gut! Sie sehen also, daß Ihre Prämissen sehr falsch sind. Und außerdem beweist dieser Müller, daß es keineswegs ein Zeichen von Mut ist, wenn man sich gedankenlos ins Wasser stürzt.“
„Was sonst?“
„Pah! Halten Sie diesen Menschen etwa für mutig?“
„Bedeutend sogar!“
„Sapperment! Warum?“
„Er hat es mir im Fechten und Reiten bewiesen, vielleicht auch noch in anderer Weise.“
Er dachte dabei mit stillem Grimm an die Festigkeit, mit welcher Müller ihm in Beziehung auf den ermordeten Fabrikdirektor entgegengetreten war.
„Das will nichts sagen“, entgegnete Rallion. „Mir gegenüber ist er so feig gewesen, wie man feiger gar nicht sein kann.“
„Wieso?“
„Erinnern Sie sich nicht, was ich ihm sagte, als er mir bei meiner Ankunft hier begegnete?“
„Er schwieg aus Rücksicht gegen uns.“
„Das ist sehr falsch geurteilt. Bei einer solchen Beleidigung kennt ein Mann keine andere Rücksicht, als diejenige, welche er seiner Ehre schuldet. Doch streiten wir uns nicht wegen dieses mir höchst gleichgültigen Menschen. Wir wollen von Marion reden. Haben Sie deutlich mit ihr gesprochen?“
„So deutlich, daß es deutlicher gar nicht geschehen kann.“
„Was antwortete sie?“
„Ein festes Nein.“
„Aus welchem Grund?“
„Sie will ihre Hand nur einem Manne geben, dem es gelingt, sowohl ihre Liebe als auch ihre Achtung zu erwerben.“
„Donnerwetter! Das heißt, ich besitze ihre Liebe nicht?“
„So ist es.“
„Und ihre Achtung?“
„Auch nicht.“
Da richtete Rallion seinen Oberkörper im Bett empor.
„Mich, einen Obersten der Garde, einen kaiserlichen Offizier nicht achten? Das ist stark! Welche Gründe hat sie, mir sogar ihre Achtung zu versagen?“
„Fragen Sie sie selbst!“
„Sie haben nicht gefragt?“
„Ich pflege nicht, Fragen zu tun, von denen ich voraussetzen muß, daß sie mir nicht beantwortet werden.“
„Sie behandeln diese Dame mit unverzeihlicher Milde. Sie können befehlen. Sie können sie zwingen.“
„Wohl! Das werde ich auch.“
„Nun, so tun Sie es doch!“
„Ich bedarf dabei Ihrer Unterstützung.“
„Sie können derselben versichert sein!“
„Ich bin deshalb hier. Ich habe einen Plan. Wir werden Marion zwingen, Ihnen zu gehören, Ihre Frau zu werden.“
„Schön! Teilen Sie mir diesen Plan mit.“
„Wir müssen ihren Widerstand besiegen.“
„Womit?“
„Durch Zwang.“
„Das brauchen Sie mir nicht zu wiederholen, nachdem Sie mir bereits gesagt haben, daß sie nicht freiwillig ihre Zustimmung gibt. Welche Art des Zwanges meinen Sie, Herr Kapitän?“
„Es gibt nur eine: Freiheitsentziehung!“
„Ah! Gefangenschaft?“
„Ja.“
„Sollte nichts anderes vorzuziehen sein?“
„Ich habe bereits alles andere versucht.“
„Das ist fatal, höchst fatal! Widerrechtliche Freiheitsentziehung kann gefährlich werden.“
„In diesem Fall nicht. Ich habe erlaubte Gründe, diese obstinate Person einzusperren.“
„Nun gut, so tun Sie es. Wenn wirklich nichts anderes helfen kann, so sind wir ja gezwungen, dieses letzte Mittel in Anwendung zu bringen. Wo soll sie eingesperrt werden?“
„In einem von unseren Gewölben.“
„Fi donc! Ein häßlicher Aufenthalt.“
„Desto besser! Das wird sie mürbe machen.“
„Wohl gar bei Wasser und Brot?“
„Bei nichts. Sie wird weder Speise, noch Trank bekommen. Sie soll Hunger und Durst leiden. Bis sie sich fügt.“
„Hm! Eigentlich höchst deprimierend für mich.“
„Wieso?“
„Ein Mädchen muß durch Hunger und Durst gezwungen werden, Gräfin Rallion zu werden.“
„Machen Sie es anders.“
„Was werden aber andere dazu sagen?“
„Wer?“
„Die Baronin?“
„Diese wird unser Verfahren gutheißen. Sie haßt Marion; sie wird uns sogar behilflich sein.“
„Der Baron?“
„Der Verrückte? Er zählt ja nicht.“
„Alexander?“
„Der Knabe? Er erfährt nichts.“
„Nanon, die Gesellschafterin und alle die anderen?“
„Auch sie werden nichts erfahren.“
„Aber sie werden doch Marion vermissen!“
„Nein, Marion wird verreist sein.“
„Wie wollen Sie dies anstellen?“
„Das ist einfach. Davon nachher. Nicht so einfach ist die Art und Weise, in welcher wir Marion nach dem Gewölbe bringen. Ich muß dabei auf Ihre Hilfe rechnen.“
„Ich sage Ihnen meine Mitwirkung natürlich zu, vorausgesetzt, daß für mich daraus keine Gefahr erwächst.“
„Nicht die mindeste. Man kann von Ihrer Mitwirkung gar nichts ahnen. Man wird Sie hier in Ihrem Bett vermuten, während wir Marion nach unten schaffen.“
„Sie wird sich sträuben, wird Lärm machen, um Hilfe rufen.“
„Sie wird nicht den geringsten Laut ausstoßen; denn ich werde sie vorher chloroformieren.“
„Chloroformieren?“
„Natürlich.“
„Es soll des Nachts geschehen?“
„Das versteht sich ganz von selbst.“
„Wie wollen Sie da zu ihr kommen? Sie wird sich vermutlich eingeschlossen haben.“
„Hatten Sie sich heute nicht auch eingeschlossen?“
„Allerdings.“
„Und dennoch stehe ich hier vor Ihnen. Auf dieselbe geheimnisvolle Weise werden wir auch in Marions Schlafzimmer Eingang finden. Freilich habe ich Sie da in bauliche Verhältnisse des Schlosses einzuweihen, von denen bisher kein Mensch wußte. Ich hoffe, daß ich Ihrer Verschwiegenheit sicher bin.“
„Also wir treten heimlich und leise bei ihr ein – sie schläft – sie hört uns nicht – ich lege ihr ein mit Chloroform getränktes Tuch über das Gesicht – zwei Minuten genügen, und dann tragen wir sie auf Wegen, welche Sie dann kennenlernen werden, hinab in das Gewölbe.“
„Schön, sehr schön! Und dann?“